Es wird empfohlen, Abstand zu halten. Es wird empfohlen, seine Kontakte zu begrenzen. Es wird empfohlen, von zu Hause aus zu arbeiten. Freiwillige Maßnahmen: Das ist das Besondere am schwedischen Sonderweg in der Corona-Pandemie.
Dass es kaum Verbote gibt und gab liegt vor allem daran, dass Schweden kein Gesetz für zivile Notlagen hat.¹ Diesem Problem begegnete man bereits im Frühjahr mit einem vorläufigen Pandemiegesetz, das allerdings zu spät kam, um überhaupt zur Anwendung zu kommen. Im Herbst war dieses wieder ausgelaufen und so kamen wieder behördliche Empfehlungen. Diese wurden dann im November und Dezember immer schärfer und mittlerweile sind auch bei uns Schulen ab der 7. Klasse geschlossen, an der Kulturschule unterrichten wir auf Distanz, in Stoßzeiten soll man in öffentlichen Verkehrsmitteln eine Maske tragen, ins Restaurant darf man nur noch zu viert… und am 10. Januar wurde ein Gesetz beschlossen, mit dem die Regierung echte Verbote aussprechen kann – das allerdings noch nicht angewendet wurde.
Das hauptsächliche Mittel Schwedens gegen die Pandemie sind und bleiben Empfehlungen. Das Problem ist nur, dass es in Schweden rekommendation und rekommendation gibt.
Wenn ich eine Kollegin nach einer guten Saite für meine Dienstgeige frage, könnte das so klingen: Kan du rekommendera en fiolsträng? Dann wird sie mir etwas empfehlen und es wäre natürlich gescheit, dieses Produkt zu kaufen – schließlich hat sie Ahnung von Geigensaiten und ich nicht, schließlich bin ich Kontrabassist. Eine rekommendation könnte auch für eine gute Serie auf Netflix oder einen leckeren Wein gelten. Ein anderes Wort wäre hier att tipsa, also einen Tipp geben. Wenn dagegen eine myndighet (Behörde) eine rekommendation ausspricht, dann würde der Thesaurus ein ganz anderes Synonym ausspucken: anbefalla. Das klingt schon ganz anders, fast nach Befehl, und die Empfehlung ist dann auf einmal sehr dringend. Ich muss mich nicht daran halten, mich erwartet keine Strafe bei Missachtung, aber okay ist das nicht. Und die Gesellschaft schaut mich vorwurfsvoll an und ist menschlich sehr enttäuscht von mir.
Aber Spaß beiseite. Aus Sicht einer myndighet ist eine rekommendation eben keine freiwillige Empfehlung, sondern eher so wie ein schwedischer Chef, der mich fragt, ob ich heute noch die Fahrtkostenabrechnung vorbeibringen könnte. Oder ein deutscher Chef, der mir mitteilt, dass die Fahrtkostenabrechnung spätestens heute abend 17 Uhr auf seinem Schreibtisch liegen soll. Also eine klare Anweisung, nur kulturbedingt unterschiedlich formuliert.
Allerdings ist dieser Sprachgebrauch selbst vielen Schweden nicht bewusst, denn wenn nicht gerade Pandemie ist, begegnet dem Durchschnittsbürger eher ein Buchtipp als eine dringende behördliche Empfehlung. Zwar wurde in den letzten Monaten das Thema in allen Medien wieder und wieder durchgekaut – wenn behördlicher Sprech aber so sehr gegen das Sprachgefühl der Allgemeinheit geht, hilft das nicht viel. Das musste ich letzte Woche wieder einmal erleben, als ich mir im Rahmen meines Chorleitungsstudiums (hatte ich das hier schon einmal erwähnt?) von einem Prüfer anhören musste, dass ich für mein Abschlussprojekt doch einfach einen kleinen Chor zusammentrommeln könne, es sei ja nicht verboten. Naja, ist es halt irgendwie doch, aber eben auf dezentestem Behördenschwedisch. Und zum Glück/leider wissen das auch die meisten Chorsänger. Nur anscheinend nicht alle Professoren… Am Freitag werde ich jetzt mit meinem Betreuer über das weitere Vorgehen sprechen – mal schauen, was er mir empfiehlt.
¹ Deshalb wurde im schwedischen Pendant zu heute-show der Vorschlag gemacht, man könne doch Norwegen bitten, uns den Krieg zu erklären, ein paar Soldaten auf einem Campingplatz direkt hinter der Grenze einquartieren um dann mit Hilfe des Kriegsrechts einen Lockdown zu erlassen.
Ich lerne gerade viel. Über Schweden und die Welt. Über mich selbst. Wie tief es in meiner Erziehung sitzt, dem Staat ein gesundes Misstrauen entgegenzubringen (und ich bin ein vertrauensseliger Mensch…). Darüber, was es heißt, diametral anders zu denken, als die Menschen um einen herum.
Ich versuche, ein paar zugängliche Kollegen mit Argumenten zu erreichen, warum das Agieren unserer Regierung und der Folkhälsomyndighet problematisch ist: Dass hier Risiken eingegangen werden, die völlig unverantwortlich sind; dass es Experten gibt, die schon seit Wochen und Monaten vor Untätigkeit warnen; dass andere Länder uns warnen; dass es einen Unterschied gibt zwischen Facebook-Gerüchten und seriösen Wissenschaftlern, die in der Presse eine öffentliche Debatte zu führen versuchen. Die meisten gucken mich schief an, als ob ich ein Flat Earther wäre. Andere stimmen mir sofort zu und regen sich mit mir zusammen auf. Dabei mache ich immer wieder die gleiche Beobachtung: Fast alle, die das schwedische Agieren mit Sorge betrachten, haben irgendeinen familären Kontakt ins Ausland, sind dort geboren, haben Eltern oder Partner aus anderen Ländern, sind gut darüber informiert, wie man außerhalb Schwedens die Pandemie bewertet. Die „reinen“ Schweden vertrauen auf ihre Folkhälsomyndighet. Was soll man denn sonst machen?
Seit gestern abonniere ich das Svenska Dagbladet, eine der größten und seriösesten schwedischen Tageszeitungen. Ich glaube, dass diese zu mir ungefähr so gut passt wie die FAZ, aber im Moment bietet sie Forschern ein großartiges Forum für eine öffentliche Debatte. Beide Seiten werden gehört und publizieren Kommentare, Aufrufe und öffentliche Briefe. Das unterstütze ich. Gerade diese Debatte wird hier nämlich von Seiten der Folkhälsomyndighet unterdrückt, indem man andere Stimmen diskreditiert und vor allem die eigenen Daten nicht öffentlich macht – in Schweden, dem Land des Öffentlichkeitsprinzips. Daher fordert eine Gruppe von Forschern, die gerade gegen das Informationsmonopol der Folkhälsomyndighet ankämpft, dass eine Expertengruppe eingesetzt werden muss, die als zweite Stimme die Regierung berät, zusammen mit der öffentlichen Behörde.
Gerade habe ich diesen Artikel gelesen, der eine Beobachtung analysiert, die ich bisher nur in Teilen begriffen habe. Denn es ist faszinierend, wie weit ein guter Teil der Bevölkerung geht, um den Empfehlungen der Fölkhälsomyndighet zu folgen: Kratzen im Hals? Dann bleibe ich mal lieber zu Hause. Am morgen gehustet? Drei Tage nicht zur Schule gehen. Hände waschen? Bis die Haut weg ist. Vielleicht braucht es in Schweden keine ganz so drastischen Maßnahmen, weil man sich wirklich an die Vorgaben hält; weil man ja der Behörde vertraut. Zu einhundert Prozent.
Warum gehen nun trotz aller Vertrauensbekundungen so viele Schweden viel weiter in ihren Taten, als es die Folkhälsomyndghet ihnen empfiehlt? Weil man mehr Rücksicht auf die Schwachen in der Gesellschaft nimmt als anderswo? Oder hat man vielleicht doch mehr Angst vor der Krankheit, als man es zugeben möchte? Auf jeden Fall spricht das Verhalten vieler Schweden nicht gerade dafür, dass man der Folkhälsomyndighet wirklich zu einhundert Prozent vertraut. Es klingt eher so, als ob man durchaus auch auf andere Stimmen aus den In- und Ausland hört, die zu größerer Vorsicht mahnen. Aber warum fällt dann wiederum kaum jemandem dieser Widerspruch auf?
Ich weiß nicht, was ich mit diesen Erkenntnissen machen soll und welche Bedeutung sie haben. Wie gesagt, ich lerne. Und was ich auch lerne, ist dass das viele Lernen unglaublich müde macht. Zum Glück ist jetzt erst einmal Wochenende und die Osterferien sind nicht mehr weit. Ich brauche jetzt schon eine Coronapause und denke an die Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern, die wohl noch einige Monate auf die nächste Auszeit warten müssen.
Schon vor einigen Wochen hatten wir im Briefkasten eine offizielle Einladung der Kommune zu den Nationaltagsfeierlichkeiten am 6. Juni. Am Tag der Schwedischen Flagge (Svenska flaggans dag) heißt das Land seine neuen Staatsbürger*innen willkommen. Unsere schwedische bzw. doppelte Staatsbürgerschaft und unsere Pässe haben wir seit Oktober letzten Jahres.
Im Stadtpark war ein große Bühne aufgebaut, sowie ein eigenes Zelt just für sogenannte „Neuschwed*innen“ wie uns. Dort erwarteten uns einige Lokalpolitiker*innen mit Kaffee und Sahnetörtchen und jede*r Neuschwed*in bekam ein Stofftüte mit Borås-Devotionalien (Werbebroschüren, Schlüsselband, etc.), sowie einen Anstecker. Auch die obligatorische Urkunde (schwed.: Diplom) durfte natürlich nicht fehlen.
Svensk medborgare – Schwedischer Staatsbürger
„Vi gratulerar dig till ditt svenska medborgarskap förvärvat 2018“ – Wir gratulieren dir zur schwedischen Staatsbürgerschaft, die du 2018 erhalten hast.
Am Nachmittag marschierte dann die Boråser Hemvärnet, der schwedische Reservistenverbund in Flecktarn bzw. das Blasorchester in Gardeuniform ein.
Kann man mögen. (Muss man aber nicht.)
Flaggenparade über den Viskan
Bühne im Boråser Stadtpark
Auf der großen Bühne im Stadtpark war dann eine gute Stunde Festakt mit Kinderchor, Militärorchester, Gesangssolist, und Festrede. Letztere wurde gehalten von der Vorsitzenden des regionalen Feuerwehr- und Rettungsverbundes und handelte von Präventivmaßnahmen bei Brand und anderen Unglücksereignissen und endete mit der Ermahnung, dass man die 112 nicht zum Spaß anrufen solle. Eine sehr festliche Themenwahl… Oder so.
Die letzten Jahre hatte ich jedes Jahr am Nationalfeiertag einen Gig in der Nachbarstadt Ulricehamn und bin froh, dass der Tag nicht überall so militärisch begangen wird wie in Borås, sondern der Aspekt der Integration in anderen Kommunen weitaus mehr betont wird.
Wie auch immer, es ist der Gedanke, der zählt. Für uns ist das Kapitel Einbürgerung damit jedenfalls endgültig abgeschlossen, zumindest formal.
Pirrigt – nervös, aufgeregt, Bauchkribbeln haben. So habe ich mich heute morgen gefühlt, als um zehn Uhr der Mann vom Bauamt vorfuhr, um unseren Wintergarten abzusegnen; um zu prüfen, ob der Bau mit der Baugenehmigung übereinstimmt, ob alle Vorschriften eingehalten wurden und alle Installationen korrekt vorgenommen wurden. Ich hatte mir dafür bis zum Mittagessen frei genommen. Wer weiß schon, in welche Ecken so ein Baubeamter gucken will, wie lange genau er das Dach von oben begutachtet oder ob er auf den Zentimeter oder den Millimeter genau nachmisst.
Nach zehn Minuter war er dann wieder weg. Vielleicht waren es auch nur fünf. Kurzer Blick von außen: „Ach stimmt, ich erinnere mich, so sah das auf der Zeichnung aus. Passt ja.“ Blick von innen: „Das sieht ja gemütlich aus. Und mit dem Kamin… Schließt nur die Schiebetüren ab, bis die Grube aufgefüllt ist. Nicht das ein Besucher aus Versehen runter fällt.“ Kurzer Zwischenstopp in der Küche: „Ah, gut, die Betriebsgenehmigungen von Schornsteinfeger und Elektriker und der Kontrollplan. Dann noch frohe Weihnachten und ein gutes neues Jahr!“ Und weg war er.
Unser fertiger Wintergarten heute morgen – inklusive Weihnachtsbaum. Fehlt nur noch etwas Farbe an den Wänden.
Ich sah uns schon heute Abend putzen und die Möbel reintragen. Aber zuerst musste ich noch einmal in die Kulturschule, einer Kollegin mit einem Notensatzprogramm helfen und meinen Unterrichtsraum aufräumen. Dort angekommen klingelte mein Telefon: Der Maler fragte, ob er morgen bei uns weitermachen könnte, die grob gespachtelten Wände schleifen und einmal malen – Erste Reaktion: Na toll, dann wird das ja doch nichts mit Weihnachten im Wintergarten. Die decken den Boden wieder ab, stellen ein Gerüst auf, machen den Raum unbewohnbar. Nächster Gedanke: Obwohl, dann kann ich ja am Wochenende die Wände fertig malen. Dann können wir allen Baumüll wieder rechtzeitig rausschmeißen und die Möbel reinstellen. Weihnachten gerettet. Aber das Wochenende wird stressig… Hmm, ich hab ja morgen frei genommen, ich könnte beim Malen helfen, vielleicht schaffen wir dann doch alles… Ich könnte ja sogar schon heute Abend abkleben…
Und die gleiche Perspektive heute Abend. Der Maler muss nur noch die Deckenleiste und die Oberlichter abkleben, auf dem Gerüst wollte ich heute um zehn nicht mehr herumturnen.
Ich bin ganz guter Dinge, dass wir morgen schon fertig werden. Die Farbe muss nur zwei Stunden trocknen; selbst wenn die Maler keine zwei Anstriche schaffen, kann ich abends noch einmal malen. Dann fehlen nur noch die Fensterrahmen und für die muss man den Wintergarten ja nicht komplett leer machen oder gar den Boden abdecken. Eigentlich gefällt mir diese Lösung jetzt viel besser, als nach Weihnachen noch einmal alles rauszuräumen. Ob das alles klappt? Det är pirrigt!
Der schwedische Sommer ist kurz (gut, vielleicht nicht 2018 aber so grundsätzlich), und auf einen warmen Sommertag können ganz schön kalte Nächte folgen. Das ist für den Schweden an sich ein Problem, denn nach einem langen Winter, während dem man sich in seinem Haus eingeigelt hat, möchte man im Sommer am liebsten immer draußen sein. Nach einem gemütlichen Abendessen auf der Terrasse ins Wohnzimmer zu gehen, nur weil es draußen zu kalt wird, kommt da gar nicht in Frage. Erste Abhilfe schaffen Fleecedecken, von denen jeder Haushalt mindestens ein Dutzend hat, aber bei einem leichten Schauer oder Wind helfen die auch nicht weiter. Daher hat gefühlt jedes zweite Haus in Schweden einen uterum, einen Draußenraum.
Die beste deutsche Übersetzung wäre eigentlich Wintergarten, aber das trifft es irgendwie nicht richtig. Der uterum dient nämlich nicht als Überwinterungsort für empfindliche Pflanzen, sondern der Verlängerung des Sommers. Hier will man vor allem am Abend noch quasi-draußen sitzen, geschützt vor Wind, Regen und Mücken, und die Sommersaison etwas nach vorne und hinten verlängern. Viele der Anbauten sind auch gar nicht wärmeisoliert, stehen auf einer einfachen Bretterkonstruktion, werden mit Infrarotstrahlern beheizt und sind im Winter überhaupt nicht nutzbar. Natürlich gibt es auch avanciertere Modelle bis hin zum richtigen Wintergarten, aber der durchschnittliche uterum ist eher eine verglaste Terrasse.
Heutzutage gibt es diese Anbauten als fertige Bausätze für wenige tausend Euro, bestehend aus einem einfachen Holzrahmen, in den große Schiebefensterpartien eingesetzt werden und der mit einem isolierten, transparenten Kunststoffdach gedeckt wird. Ältere Modelle dagegen haben oft ziemlich grobschlächtig zusammengezimmerte halbhohe Wände mit durchgehenden, nicht zu öffnenden Fenstern und obendrauf ein Dach aus gewelltem Plastik. So ungefähr sah auch der uterum an unserem Haus aus. Mit einem wichtigen Unterschied: Die Fenster fehlten. Zugegeben, es gab Fenster, zwei nach Westen und zwei nach Norden, dazu eins in der Tür. Aber eine durchgehende Fensterfront? Fehlanzeige. Und die riesige Südwand, auf die quasi den ganzen Tag die Sonne schien? Fensterlos. Kein einziges Guckloch – abgesehen von den Ritzen zwischen den Brettern…
Blick nach Süden in unserem alten uterum: Wie Sie sehen, sehen Sie – nichts
Ein richtiges drinnen-fast-wie-draußen-Gefühl stellte sich da natürlich nicht ein. Zusätzlich zu dem fehlenden Lichteinfall waren die Wände auch noch allesamt in einem depressiven Dunkelbraun gestrichen, damit es auch ja nicht zu hell werden konnte. Und zu guter Letzt sorgte die sorgfältige Platzierung vor den drei großen Fenstern zum Wohnzimmer und südlich der Terrasse dafür, dass sich auch im Haus ja kein Sonnenstrahl zuviel zeigen konnte.
Unser Haus von Südwesten gesehen
Gebaut hatte dieses Ungetüm übrigens unser Vorvorbesitzer. Der mochte anscheinend keine Sonne, dafür aber Wärme. Nach Erzählungen unseres Nachbarn saß er am liebsten im Hochsommer in seinem dunkelbraunen „Wintergarten“ – der sich durchaus ziemlich aufheizen konnte – am offenen Kamin und heizte drauflos.
Der aufmerksame Leser wird gemerkt haben, dass ich von unserem uterum im Imperfekt schreibe und hat daraus vielleicht schon die richtige Schlussfolgerung gezogen: Die braune Bausünde steht nicht mehr. Schon als wir unser Haus gekauft haben, wussten wir, dass der Bretterverschlag weg sollte. Zum einen, weil er uns deutlich mehr störte als nutzte – die Male, die wir ihn genutzt haben, lassen sich wahrscheinlich an zwei Händen abzählen –, zum anderen war die Drainage darunter nicht mehr in Ordnung, die Kellerwand an dieser Stelle feucht.
Was also tun? Einfach nur abreißen? Oder stattdessen einen neuen uterum bauen? Und falls ja: wohin? Und wie gut soll der isoliert sein? Nach langem Hin und Her haben wir uns für einen richtigen Wintergarten mit isolierter Betonplatte entschieden, der dort gebaut werden sollte, wo bisher die Terasse war. Noch länger als diese Überlegungen dauerten dann meine vielen verschiedenen 3D-Zeichnungen von unterschiedlichen Wintergärten.
Mein allererster Versuch, als uns das Haus noch gar nicht gehörte.
Die konservative Variante, wie sie an vielen Häusern zu sehen ist.
Einfach zu montierender Bausatz, kaum Eingriffe am Haus nötig – aber irgendwie hässlich. Und völlig unisoliert.
Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht?
Manchmal muss man eine Idee einfach ausprobieren, um zu merken, dass sie dämlich ist.
Und was wird jetzt gebaut? Ein schlichtes Pultdach, quer ans Haus gesetzt, dass eine große Glasfassade nach Süden ermöglicht. Der ungewöhnlich Anschluss der eigentlich einfachen Form und die Aussicht auf viel Glas in Richtung Sonne überzeugten uns.
In diesem Frühjahr waren wir dann soweit: Wir hatten eine Zeichnung, die uns gefiel, eine Baufirma und ein ungefähres Startdatum. Zeit, um eine Baugenehmigung zu beantragen. Dieser Prozess war erstaunlich unkompliziert, dauerte nur ein paar Wochen, lief (fast) vollständig digital und komplikationslos, so dass Ende August alles bereit für das Abrisskommando war. Mit etwas Glück könnte der Wintergarten bis Weihnachten stehen.
27. August 2018: Dem Bretterverschlag gehts an den Kragen, Dach und Fenster sind schon weg
Die Operation „Mehr Licht“ dauerte nur wenige Stunden, an einem Vormittag war der komplette Bretterverschlag abgerissen und zu einem kleinen Häuflein auf unserem Rasen zusammengeschrumpft. Und in unserem Wohnzimmer hatte man plötzlich das Gefühl, jemand hätte das Licht angeknipst.
Die sterblichen ûberreste der Bretterbude – wir trauern ihr nicht nach
Noch am selben Tag erschien dann auch der etwas-größer-als-erwartet Bagger, der der Terrasse und der alten Fundamentmauer im Eiltempo den Garaus machte und wenig später war das komplette Loch für das neue Fundament und die Dränage ausgehoben.
Filigrane Feinarbeit mit schwerem Gerät
Jonas steht vor dem „Abgrund“, der mal unsere Terrasse war
Riiiiesige Maulwurfshügel!
In deutlich geringerem Tempo ging es weiter: Kies einfüllen, verdichten, Drainagerohre legen, mehr Kies einfüllen, verdichten, Holzrahmen für Sockel bauen, Armierungsstahl einsetzen, Sockel gießen, Mauer mauern, Kies und Sand auffüllen, Isoliermaterial auflegen, Armierungsgitter einsetzen, Betonplatte gießen, Betonplatte gegen Regen abdecken. Und dann: Warten, bis die Platte ausgehärtet war (ging schnell) und ein Zimmermannteam Zeit hatte (dauerte deutlich länger).
Wir bekommen Kies.
Die Drainagerohre werden verlegt.
Der Rahmen für den Fundamentsockel.
Fliegende Mauer (Bausatz).
Mauerbausatz fast fertig montiert.
Alles fertig für den Beton. Kies und Sand, darauf Styropor, darauf Stahlgitter.
Betonieren.
Die Zimmerleute kamen, sahen und… diskutierten: „Hmm, der Dachüberhang da, da war ja ne Säule, die Last müssten wir dann über einen Balken abführen… das könnte man so machen… wie dick muss der denn sein… wir müssen mal mit unserem Statiker reden, den Balken berechnen… und bestellt werden muss der dann wohl auch, glaub nicht, dass das Lagerware ist…“ Sagten’s, und verschwanden wieder. Und tauchten nicht wieder auf. Wusste ja vorher keiner, dass man da einen Balken eniziehen muss. Hatte ich vorher auch nicht erwähnt, nein nein. (Ironiemodus aus.) „Das gucken wir uns dann an, wenn es so weit ist.“ Zwei Wochen Pause – doof für uns, denn die Glaspartien können erst bestellt werden, wenn der Rohbau steht und genau Maß genommen wurde; Lieferzeit: sechs Wochen. Langsam wurde es eng mit unserem Traum vom Wintergarten als Weihnachtsgeschenk.
Der Vorteil an Holzbauten: Die Wände stehen innerhalb kürzester Zeit. Natürlich ohne Fassade, Innenleben und Verkleidung, aber das braucht man alles auch nicht für die Vermessung der Fenster. Zwei Tage brauchten die Zimmerleute für das Ständerwerk, davon einen für das Diskutieren der besten Methode und einen für den eigentlichen Aufbau. Dann wurde das Glas bestellt, und mit dem Liefertermin Ende November könnte es doch noch alles klappen.
Das noch halbfertige Ständerwerk.
Jetzt schon mit Dach.
Mittlerweile hat der Anbau ein fertiges Dach, eine wetterdichte Membran, eine Fassade, ist schon teilweise isoliert und das alte Dach, das jetzt ja nicht mehr gebraucht wird, ist auch verschwunden. Ein Kamin ist bestellt, der Laminatboden wartet im Keller auf seinen Einsatz und hoffentlich, hoffentlich klappt das noch mit dem Weihnachtsbaum im Wintergarten. Dann können wir den Sommer nicht nur ein bisschen verlängern, sondern das ganze Jahr draußen sitzen.
Freitag: Online einen Termin bei der Passstelle der Polizei gebucht.
Montag: Mit dem Chef zur Passstelle gegangen, der dort eine eidesstattliche Erklärung ausfüllen musste, die unsere Identität bestätigt, und einen schwedischen Personalausweis („nationellt ID-kort“) beantragt.
Mittwoch: SMS bekommen, dass der Ausweis zur Abholung bereit liege.
Damit ist das Thema Einbürgerung gut sieben Jahre nach unserem Umzug nach Schweden jetzt endgültig abgeschlossen. Wir haben jetzt beide die doppelte Staatsbürgerschaft.
Gut einen Monat zu spät hatten wir heute eine Benachrichtigung im Briefkasten, dass an der Tankstelle ein Einschreiben auf uns wartet…
Rückblick
Im Herbst 2016, genau 5 Jahre nach unserem Umzug nach Schweden und damit zum frühestmöglichen Zeitpunkt, hatten wir beim Migrationsverket, quasi dem schwedischen BAMF, einen Antrag auf schwedische Staatsbürgerschaft gestellt. Dafür mussten wir Einkommensnachweise der vorausgegangenen 5 Jahre sowie unseren deutschen Pass einsenden und 1500 Kronen Bearbeitungsgebühr zahlen.
Damals gab die Behörde die durchschnittliche Bearbeitungsdauer mit 2-6 Monaten an, und wir flaxten noch, dass das ja gerade so reichen müsste bis zur Wahl 2018…
Immer wenn wir jedoch gerade die maximale durchschnittliche Bearbeitungsdauer erreicht hatten, war die Homepage wieder aktualisiert und die Bearbeitungszeit um ein paar Monate nach oben korrigiert worden.
Wie bereits erwähnt, reichte es tatsächlich nicht mehr bis zur Parlamentswahl letzten Monat – das Wahlergebnis war auch dementsprechend… hmpf. Hätten wir da schon wählen dürfen, wäre das Ergebnis selbstverständlich gaaaanz anders ausgefallen.
Letzte Woche bekamen wir dann beide Post vom Migrationsverket und waren schon hocherfreut… aber leider wurden wir nur gebeten, weitere Einkommensnachweise für die zwei Jahre seit Antragstellung nachzureichen.
Doppelte Staatsbürgerschaft
Aber heute – 25 Monate nach Antragstellung – kamen dann zwei heißersehnte dicke Einschreiben, die unsere deutschen Pässe und das hier enthielten:
Auf dokumentenechtem Papier mit Wasserzeichen und allem Pipapo: unsere Staatsbürgerschaftsurkunden
Unsere Staatsbürgerschaftsurkunde mit dem schwedischen Wappen mit den drei Kronen („Tre Kronor“) gedruckt auf säurefreiem Archivpapier mit Wasserzeichen!
Jetzt haben wir also offiziell die schwedische und die deutsche Staatsbürgerschaft und dürfen 2022 bei der nächsten Riksdagsval wählen – sofern nicht aufgrund der verfahrenen politischen Situation demnächst Neuwahlen ausgerufen werden. Aber das will man ja auch nicht hoffen, nutzt ja im Zweifel auch nur der falschen Partei.
Neben dem vollen Wahlrecht (für Gemeinderat und Bezirksparlament durften wir auch 2014 schon wählen) stehen uns jetzt auch Polizei und Militär als potentielle Arbeitgeber offen. Letzteres ist jetzt für uns eher so mittelinteressant.
Der bürokratische Marathon ist damit aber noch nicht zu Ende, denn natürlich müssen wir jetzt noch einen schwedischen Pass und/oder einen schwedischen Personalausweis beantragen.
Das macht man, indem man online bei der Polizei einen Termin bucht, bei dem Fingerabdrücke genommen und ein biometrisches Foto geschossen wird. Eigentlich ganz easy, das Ganze kostet nur 400 Kronen, nach einer Woche kann man den Pass auch schon abholen. Zu diesem Termin muss man ein gültiges Ausweisdokument mitbringen. Klar, doppelte Staatsbürgerschaft, wir haben ja noch unseren deutschen Pass oder Perso… denkste! Die Polizei akzeptiert nämlich nur bestimmte Ausweisdokumente, also z.B. einen schwedischen Pass, einen schwedischen Perso oder einen schwedischen Führerschein. Keine ausländischen Ausweisdokumente.
Schwedischen Pass beantragen? Kafka lässt grüßen
Alternativ akzeptiert man auch eine Identitätskarte für in Schweden lebende Nichtschweden des Finanzamtes, die aber nur das Finanzamt in Göteborg ausstellt. Das würde bedeuten, wir müssten uns beide mindestens einen halben Tag frei nehmen, um die 70 Kilometer nach Göteborg zu fahren, und jeweils 400 Kronen berappen, und das nur für eine ausweisähnliche Karte, die wir dann genau einmal anwenden würden, nämlich um einen schwedischen Perso zu beantragen. Ist so mitteltoll.
Eine andere Möglichkeit gibt es noch: eine andere Person kann die eigene Identität bezeugen. Toll!, das macht die Sache doch irgendwie einfacher. Diese Person muss lediglich einen schwedischen Pass besitzen und kann sein: Ehepartner, eingetragener Lebenspartner, unverheirateter Lebenspartner im selben Haushalt, Eltern, Erziehungsberechtigte, Großeltern, volljährige Geschwister oder volljährige Kinder. Nicht toll, denn nichts davon haben wir, und wir können auch nicht gegenseitig unsere Identität bezeugen, weil wir ja beide noch keinen schwedischen Pass haben.
Doch die Liste der vertrauenswürdigen Personen geht noch weiter. Wenn man also keine leiblichen Verwandten mit schwedischem Pass hat, kann man auch noch mit Pflegeeltern (hamwanich), einem gesetzlichen Vormund (hamwaauchnich) und… aaaaah, endlich! … seinem Arbeitgeber dort vortanzen. Jetzt müssen Jonas und ich also unseren Chef überreden, bevor der im Dezember in den Ruhestand geht, mit uns zur Polizei zu gehen und kraft seines Amtes in altväterlicher Manier unsere Identität bezeugen. Denn das Chef-Angestellten-Verhältnis muss mindestens seit einem Jahr bestehen und wenn wir im Januar eine neue Chefin kriegen, müssten wir dann zur Chef-Chefin rennen und das wäre dann die Boråser Kulturchefin und das fühlt sich dann doch irgendwie an wie auf Spatzen mit Kanonen schießen…
Leider, leider liegt unser Einbürgerungsantrag seit bereits zwei Jahren beim Migrationsverket. Das Migrationsverket scheint eine Black Box zu sein, es ist absolut unmöglich, Informationen zu bekommen, warum das so lange dauert, obwohl wir eigentlich alle Voraussetzungen für einen schwedischen Pass erfüllen. Im Wesentlichen sind das vier Faktoren:
man hat mindestens fünf Jahre in Schweden gelebt. Check.
man kann seine Identität durch einen Pass seines Heimatlandes nachweisen. Check.
man ist nicht kriminell. Check.
man hat keine keine Schulden, die vom Gerichtsvollzieher eingetrieben werden mussten oder müssen. Check.
Auf der Homepage der Einwanderungsbehörde kann man zumindest einsehen, wie lange die durchschnittliche Bearbeitungsdauer für bestimmte Vorgänge ist. Als wir vor zwei Jahren unseren Antrag auf schwedische Staatsbürgerschaft einreichten, stand da 2-6 Monate. Sukzessiv erhöhte sich die Bearbeitungsdauer immer wieder um ein paar Monate, aktuell schreiben sie 23-25 Monate. Auf Anfrage bekommt man immer den gleichen Standardtext, der eigentlich gar nichts sagt.
Wie lang ist die ungefähre Bearbeitungszeit für einen Antrag auf Staatsbürgerschaft? http://www.migrationsverket.se (9.9.2018)
Nun sind wir als EU-Ausländer ja irgendwie Ausländer „de luxe“, denn wir sind schwedischen Staatsbürgern in fast allen Punkten gleichgestellt. Wir haben unbeschränktes Aufenthaltsrecht, wir sind renten-, kranken- und sozialversichert, wir dürfen Studienhilfe beantragen und uns in jeder Hinsicht so frei und sicher fühlen wie jeder Schwede auch.
Was wir nicht dürfen, ist, uns für Jobs bei der Armee und bei der Polizei bewerben, aber noch nicht mal das stört uns aktuell ernsthaft.
Von daher haben wir auch Verständnis dafür, dass unser Anliegen relativ niedrig prioritiert ist und dass z.B. Asylverfahren Vorrang haben, denn für diese Menschen geht es um weitaus mehr als für uns.
Heute tut es aber dennoch richtig weh, dass wir immer noch keinen schwedischen Pass haben, denn heute wird in Schweden gewählt. Immerhin dürfen wir an den Kommunalwahlen und an der Landstingswahl (Provinziallandtag) teilnehmen, nicht aber an der Wahl zum Riksdag, dem Nationalparlament.
Wählen in Schweden funktioniert so, dass man im Wahllokal einen Haufen bunter Zettel vorfindet: gelb für den Riksdag, blau für das Landsting und weiß für den Gemeinderat. Jeweils einen für jede Partei, die zur Wahl steht. Diese Zettel stehen offen in einem Ständer im Wahllokal und sind Massenware, die auch während des Wahlkampfes zusammen mit dem Werbematerial der jeweiligen Parteien unters Volk gebracht werden.
Möchte man wirklich anonym wählen, so nimmt man sich am Wahltag einen Zettel jeder Partei und geht dann mit 20-30 Zetteln in die Wahlkabine, wo man dann den Zettel der Partei, für die man stimmen möchte, in einen Wahlumschlag steckt. Das Ganze macht man dreimal bzw. wie in unserem Fall eben nur zweimal. Die anderen Zettel der Parteien, für die man nicht stimmt, lässt man in der Wahlkabine liegen, oder steckt sie in die Tasche oder isst sie auf oder macht sonstwas damit.
Die meisten machen es aber so, dass sie sich entweder nur den Wahlzettel der Partei nehmen, die sie dann auch wählen – was das Prinzip der geheimen Wahl irgendwie konterkariert, aber anscheinend viele nicht zu stören scheint – oder man bringt den Wahlzettel von zuhause mit, weil man das Werbematerial schon irgendwann im Briefkasten hatte.
Die Wahlumschläge haben an der Seite ein kleines Kontrollfenster, damit man sieht, welche Farbe der Wahlzettel hat und dann werden die Umschläge von einem Wahlhelfer nach Farbe sortiert und in die jeweiligen Wahlurnen gesteckt.
Derzeit sind im schwedischen Parlament acht Parteien vertreten: Sozialdemokraten (S), Linkspartei (V) und die grüne Umweltpartei (Miljöpartiet, MP) bilden den rot-grünen Block. Moderate (M), Zentrumspartei (C), Liberale (L) und Christdemokraten (KD) bilden die sogenannte Allianz, den bürgerlich-konservativen Block, und dann gibt es die rechtspopulistischen Schweden“demokraten“ (SD). Ich weigere mich hier, den Parteinamen ohne Anführungszeichen zu schreiben, denn mit der Demokratie nimmt diese Partei es nicht so genau.
Die letzten zwei Mandatsperioden konnte keiner der beiden demokratischen Blöcke eine Mehrheit im Parlament stellen, aber es gab eine Übereinkunft über alle Parteigrenzen hinweg, nicht mit den Schweden“demokraten“ zusammenzuarbeiten. Die Regierung stellten zuletzt Sozialdemokraten und Umweltpartei, Regierungschef war Stefan Löfven (S).
In den letzten Umfragen sah es danach aus, dass die Schweden“demokraten“ mindestens drittstärkste Partei werden, vielleicht sogar die Moderaten überholen und zweitstärkste Partei nach den Sozialdemokraten werden könnten.
Wenn am Sonntag Wahl wäre… Durchschnittswerte verschiedener Meinungsforschungsinstitute 09/2014-08/2018 (Quelle: Wikipedia)
Zuletzt hatten die Moderaten eine Zusammenarbeit mit SD nicht mehr kategorisch ausgeschlossen, was den Allianzblock die nächsten Wochen stark auf die Probe stellen wird, da für Zentrum und Liberale eine Zusammenarbeit mit einer Partei, deren parlamentarische Vertreter auch schon mal nachts mit Eisenrohren auf Menschen losgehen, die nicht blond und blauäugig sind, weiterhin undenkbar ist.
Eine weitere Frage ist auch, ob die Christdemokraten die 4% Hürde knacken werden. Je nach Meinungsforschungsinstitut war das in den letzten Wochen auch nicht immer der Fall. In diesem Fall müsste sich das politische Kräftespiel ganz neu ausbalancieren.
Was man in jedem Fall sagen kann, ist, dass die Regierungsbildung nicht einfach wird und vermutlich mehrere Wochen in Anspruch nehmen wird. Die Wahllokale schließen um 20.00 Uhr heute Abend, nach 22.00 Uhr werden die ersten Hochrechnungen erwartet.
Naja, eigentlich müsste man eher fragen, warum man schon morgens um Viertel nach sieben den ersten Kieslaster abladen muss; aber der Reihe nach:
Vor einigen Monaten flatterte uns ein Brief von den Stadtwerken ins Haus: Die Fernwärmenetze von Fristad und Borås sollen zusammengeschlossen werden, um sich in Kapazität und bei Ausfällen gegenseitig zu unterstützen. Und ein Stück der Leitung solle genau durch unseren Garten gelegt werden.
Zum Glück ging es nicht darum, unseren Garten der Länge nach aufzuschlitzen, sondern nur um das verwilderte, nahezu unzugängliche Viertel unseres Grundstücks, welches wir bestenfalls als als privaten Schuttabladeplatz für Gartenabfälle nutzen, weil eine vernünftige Instandhaltung eine vorherige Baumfällaktion sowie größere Erdarbeiten voraussetzen würden. Geld-, Zeit- und Energieaufwand für uns: groß. Nutzen: mehr Sonnenlicht im Winterhalbjahr, ansonsten gering. Bock, sich darum zu kümmern: null.
Aber wenn die Stadtwerke sich da aufdrängen und uns sogar noch Geld dafür geben möchten, dass sie unseren Urwald abholzen, die komplette Fläche an das Niveau unseres restlichen Garten angleichen, d.h. auffüllen und für uns dabei noch die Möglichkeit entsteht, unser Haus ans Fernwärmenetz anzuschließen – warum nicht?
Und ich sag’s mal so: unser Grundstück grenzt an zwei Seiten an ein großes Naturreservat, es ist nicht so, dass wir zu wenig Wald um uns herum hätten…
Schon vor Weihnachten konnten wir beobachten, wie einige hundert Meter weiter in Richtung Fristad Bäume weichen mussten, riesige Rohre angeliefert wurden, auf dem Parkplatz von unserem Badeplatz riesige Erdhaufen entstanden und in den frisch ausgehobenen Gräben die dicken Rohre wieder verschwanden.
Seit dieser Woche wird jetzt auch bei uns gebuddelt. Über die Ausmaße der Bauarbeiten waren wir uns allerdings bei Weitem nicht im Klaren gewesen. Jetzt gähnt eine riesige Baugrube in unserem Ex-Wald, daneben wurde innerhalb eines Tages eine komplette Schotterstraße aus dem Boden gestampft.
Von der Grube aus wird man als nächstes einen Tunnel unter der Bahnlinie graben, in dem Fernwärmerohre verlaufen werden.
Blick in die frisch ausgehobene Baugrube für die Fernwärmeleitung.
Vor ein paar Tagen war ein Kundenberater der Stadtwerke bei uns und wir haben den Anschluss unseres Hauses ans kommunale Fernwärmenetz in Auftrag gegeben. Dieser Teil des Projekts war zugegebenermaßen nicht ganz billig, aber in ein paar Monaten werden wir unsere Heizung im Keller rausschmeißen und durch ein kleines Bedienpanel ersetzen können. Langfristig erhoffen wir uns dadurch geringere Heizkosten, sodass sich die Investitition in 8-10 Jahren amortisiert haben wird. Und vor allem: wartungsfreies Heizen, denn das warme Wasser wird direkt vom Heizkraftwerk in unsere Heizungsrohre gepumpt und wir haben null Verantwortung für Instandhaltung und Erneuerung einer Heizung.
Bis dahin werden aber noch einige Baggerschaufeln aktiv sein und uns morgens zu unchristlichen Zeiten wecken. Jonas hingegen freut sich jeden Morgen wie ein kleiner Junge, wenn er rausgehen und Bagger in Aktion gucken kann…