Archiv der Kategorie: Musik

Einfach so.


Ich glaube, Schweden tun nichts ohne Grund. Dinge einfach so zu tun, scheint hier etwas ganz Verpöntes zu sein. Dass jemand einfach so spazieren geht, d.h. ohne sichtbaren Grund durch den Wald hinter seinem Haus latscht, habe ich noch nie gesehen. Alle Menschen, die ich im Wald treffe, wenn ich dort spazieren gehe, haben einen bestimmten Grund, dort zu sein: einen Hund, einen Pilzkorb, Walkingstöcke, Laufschuhe. Oder wenn wir an den See gehen: die Schweden haben mindestens eine Angel, ein Boot oder ein Kind dabei, das gerade schwimmen lernt. Im Garten: hier sitzt niemand einfach so im Garten, schließlich kann man im Garten Rasen mähen, Unkraut zupfen oder Blumen gießen. Ich glaube, deshalb gibt es hier auch so viele Vereine: man braucht einfach einen Grund, um soziale Kontakte zu pflegen, und geht nicht einfach so jemanden besuchen und quatschen.

Nicht nur, aber auch deshalb, haben wir uns jetzt wieder einen Chor gesucht. Und siehe da: die Chorprobe ist mit knapp drei Stunden deutlich länger als bei den meisten vergleichbaren Chören in Deutschland, dafür ist die halbstündige fikarast fester Bestandteil jeder Probe. Fika ist gesellschaftlich toleriertes Rumsitzen mit gleichzeitigem Konsum koffeinhaltiger Getränke. Da die Chorprobe abends stattfindet, heißt fika hier: jede Woche bringt jemand anderes einen riesigen Korb mit Brot, Aufschnitt, Obst, Gemüse und Süßkram mit und schleicht sich kurz vor der Pause weg, um den Tisch für alle zu decken. Das fördert die Kommunikation im Chor tatsächlich ungemein.

Unser Einstieg in Göteborgs Vokalensemble war ziemlich gut getajmt (wie der Schwede sagt), denn wir konnten gleich mit zum ersten Probenwochenende. In einem B&B auf der Insel Tjörn an der Westküste probten wir von Freitagabend bis Sonntagmittag.

[Lekanders Bär och Boende ist ein ehemaliger Bauernhof, der irgendwann seinen Schweinestall zu Gästezimmern umgebaut hat. Sehr luxuriös für ein B&B, dabei gleichzeitig mit rustikalem Bauernhofcharme mit vielen alten Möbeln, wir können es jedem weiterempfehlen, der mal auf Tjörn Urlaub machen möchte.]

Zwei nichtsingende Ehemänner waren als Köche abgestellt und eigentlich sollte man über das Wochenende eher sagen: Wir haben von Freitag bis Sonntag gegessen und zwischendurch auch ab und zu geprobt. Frühstück – Fika – Mittagessen – Fika – Abendessen – Fika… Höhepunkt war der Samstagabend, als es ein ***Menü gab: Minz-Sternanis-Cider als Aperitiv, Blumenkohlcouscous mit Pastinaken als Vorspeise, gebratenes Fleisch mit selbstgesammelten Pfifferlingen, Backkartoffeln und Bohnensalat als Hauptspeise und American Cheesecake mit gefrorenen Waldbeeren als Dessert. Und Kaffee, natürlich.

Am Sonntagnachmittag hatten wir dann das dringende Bedürfnis nach Bewegung und sind noch ein paar Kilometer weiter ins Küstenstädtchen Skärhamn gefahren. Das Wetter war natürlich so, wie man es im Herbst an der Westküste erwartet: blåsigt. Selbstverständlich hatten wir die Kamera dabei, damit es nicht so aussah, als ob wir einfach so an einem trüben Herbsttag durch die Schären spazierten…

Doch zurück zum Chor: Der Chor ist ähnlich groß und ähnlich gut wie Chorioso, unser Karlsruher Chor. Das aktuelle Programm ist eher kleinteilig angelegt, (Palestrina, Schütz und diverse schwedische Komponisten wie Ninne Olsson, Sten Källman, Ingmar Wilestrand u.a.) – Allerheiligen und Weihnachten nahen… Und zufällig – die Welt ist klein – hat die Chorleiterin ein Jahr in Karlsruhe studiert und ist mit einem Stuttgarter verheiratet.
Vom der ersten Probe an haben wir uns in diesem kleinen, aber feinen Chor wohlgefühlt und wurden von allen sehr herzlich aufgenommen. Einfach so.

Von Imkern, Abstinenzlern und Sindibads Frauen – Vereinsleben in Ale


Nein, das sind nicht unsere Mülltonnen! Der 5. Briefkasten von links ist unserer...

In unserem Brevlåda – also dem echten, offline – landen immer wieder ein paar unterhaltsame, schöne, spannende, nützliche oder auch völlig unnütze Dinge. Zu den nützlichen Dingen gehören Briefe wie z.B. der von der Telia, dass wir ab heute einen Festnetzanschluss und superschnelles und stabiles Internet haben. Spannender ist es aber, wenn Post von irgendwelchen Kreditupplysningsfirmen (wörtl.: Kreditbeleuchtung) kommt, weil mal wieder jemand unsere Kreditwürdigkeit überprüft hat, denn dadurch erfahren wir dann auch mal selbst, was diese Firmen eigentlich über uns wissen. (Ich habe keine Ahnung, welche Daten die Schufa in Deutschland über mich gespeichert hat.) Zu den schönen Dingen gehören Geburtstags- und Carepakete aus Deutschland mit Eszet-Schnitten. Zu den unnützen gehören die Werbezeitungen von den umliegenden Bau- und Supermärkten, die wir hier kiloweise kriegen. Und zu den unterhaltsamen Dingen gehören die Gemeindeinformationen wie z.B. der Alekurir oder der aktuelle Auszug aus dem Vereinsregister.

Nicht, dass es das Vereinsregister nicht auch online gäbe und die Schweden nicht ohnehin viel sparsamer wären, was Snailmail angeht, wenn man etwas auch per Email erledigen kann; aber das Vereinsregister scheint etwas wirklich Wichtiges zu sein. Als achtseitige Hochglanzbroschüre im Vierfarbdruck kommt dieser Fritidsguide (Freizeitguide) daher. Im Vorwort bezeichnet man Schweden stolz als das Land der Vereine, danach folgen über 200 Vereine samt Kontaktadressen. Nutzerfreundlich alphabetisch nach Themen sortiert, findet man unter der Rubrik Sport die Klassiker Fußball, Basketball, Handball, Karate, Reiten, Golf, Schach, Armbrustschießen, Innebandy und noch einiges mehr. Das Fischen ist eine eigene Rubrik und listet unter anderem Sportfischer, Fliegenfischer, Fischzüchter und Lachsfischer auf. Wenn man dann vom Angeln in der Kälte Rheuma bekommt oder erst gar keinen Fisch isst, weil man allergisch ist, so bieten sich der örtliche Rheumatiker- oder Allergikerclub an. Vielleicht bewahrt einen das Angeln ja aber auch vor einer Mitgliedschaft im Herz-Lungenkranken- oder dem Diabetikerverein. Und möglicherweise befruchten sich die Anglervereine und die drei Nachtwanderclubs gegenseitig in ihrer Arbeit, weil nachts die Fische besser beißen.

Nach der Rubrik Idrott (Sport) folgt Kultur. Auch hier gibt es Bekanntes wie Theatergruppe, Bibliotheksfreunde und Heimat- und Gesangsverein, aber auch Ahnenforscher, diverse Volkstanzgruppen, einen Patchwork- und Quiltclub, das Blasorchester „Lärm“ (ob das die Jugendabteilung des Vereins der Hörgeschädigten ist?) und einen nicht weiter definierten Club namens „Surte Swingers“ (Surte ist ein Ort hier in der Nähe).

Weiter gehts im Alphabet, wir sind inzwischen bei N wie Nykterhetsföreningar („Nüchternheitsvereine“) angelangt. Die Abstinenzbewegung scheint hier noch sehr aktiv zu sein, wenn die Nykterhetsföreningar sogar eine eigene Rubrik bekommen. Puuuh… schnell weiter…

P wie Pensionärsföreningar, Rentnerclubs also. Wenn jeder Mensch nur in einem Club Mitglied sein dürfte, dann gäbe es in Ale mehr Rentner als Nüchterne, aber wahrscheinlich gibts da eine ziemlich große Schnittmenge. Keine Schnittmenge dürfte es hingegen zwischen Rentnern und dem einzigen politischen Verein, dem Christdemokratischen Jugendclub geben. Wie? Nur ein politischer Verein? Vielleicht werden die politischen Ortsvereine hier nicht im Vereinsregister geführt, anders kann ich mir das nicht erklären.

Vorletzte Rubrik: Religiöse Vereine. Hier findet man jede Menge freikirchliche und/oder Erweckungsgemeinden (wir erinnern uns an die Abstinenzler…), Bibelkreise und einen religiösen Studienverbund (was auch immer das sein mag), aber auch einen Islamisch-bosniakischen Verein.

Der letzte Buchstabe im schwedischen Alphabet ist Ö wie Övriga föreningar. Hier wird’s nochmal bunt: Jagdpfleger, Modellbauflieger, Schäferhundzüchter, Pfadfinder, Raketenbauer, Hundesportler und Imker sind ebenso vertreten wie das Frauenhaus, Heimwerker, Jugoslaven, Hobbyweber, Fotografen, Bootseigner, Rotes Kreuz, Naturschützer und „Sindibads Frauen“. Fragt mich nicht, was die machen. Ich kann mir unter diesem Namen ja viel vorstellen, aber nichts davon will so richtig in mein Bild von der schwedischen Gesellschaft passen…

Und wo passen wir dazu? Letzten Sonntag haben wir uns eine der Volkstanzgruppen angeschaut, weil mich das interessiert hat. Hatte aber eher was von Seniorentanztee und obwohl alle furchtbar nett zu uns waren, gehen wir da wohl nicht wieder hin. Was wir im Vereinsregister unserer Kommune wirklich vermissen, ist ein ordentlicher Kammerchor, der etwas anderes als Gottesdienste oder Gospel/Pop macht, aber das ist eine andere Geschichte.

Ulkig ist übrigens das Titelblatt des Ale fritidsguide: eine der wenigen Tätigkeiten, die man in Schweden ja wirklich gut ohne Vereinszugehörigkeit ausüben kann, ist, an den nächsten See zu gehen und die Seele baumeln zu lassen. Und was zeigt die Titelseite…?

Die erste Woche zum Zweiten


Nun ist meine erste Woche an der Högskola för scen och musik (wörtlich: Hochschule für Bühne und Musik) vorbei. Zeit also für einen kleinen Rückblick:

Der eigentliche Semesterbeginn war zwar erst am 1. September, also am Donnerstag, für uns Neuankömmlinge waren jedoch die Tage von Montag bis Mittwoch für allgemeine Einführungsveranstaltungen vorgesehen. Also nahm ich früh am Montag den Bus nach Göteborg, um als allererstes alle wichtigen Personen – also vor allem die Verwaltung und die Leiter der einzelnen Studiengänge – kennen zu lernen und um einen Ausblick auf die kommenden Tage zu bekommen. Außerdem wurde uns eröffnet, dass alle „Erstis“ bei der offiziellen Semestereröffnung an einer Massenimprovisation teilnehmen sollten – was anscheinend eine gewisse Tradition in Göteborg hat. Für diese Improvisation wurde dann auch gleich geprobt, danach war der Montag für mich vorbei.

Der erste Kompositionsauftrag

Ming Tsao, mein hiesiger Hauptfachlehrer, hatte bereits einige Tage zuvor mit mir Kontakt aufgenommen, um für Dienstag einen Termin für einen ersten Einzelunterricht auszumachen. Nun wurde es also gleich ernst, der Ausgang dieser ersten Stunde war jedoch mehr als unerwartet: SNOA, die schwedische Orchesterakademie, in der sehr fortgeschrittene Studenten speziell auf das Orchesterspiel vorbereitet werden, führt einmal im Jahr ein Stück der Kompositionsklasse auf, und der Auftrag, dieses Stück zu schreiben, fällt auf mich! Was für ein Sprung ins kalte Wasser. Aber natürlich freue ich mich sehr über diese Gelegenheit für eine große Besetzung zu schreiben, in der Gewissheit, dass das Stück auch wirklich aufgeführt wird.

Semestereröffnung in familiärem Rahmen

Der Mittwoch war wiederum mehr der generellen Einführung gewidmet, neben einer Einführung in das lokale Computersystem und einer Rundwanderung durch das Gebäude stand nun auch die offizielle Semestereröffnung auf dem Programm, zu der vor allem zu sagen ist, dass ich noch nie eine so kurzweilige Semestereröffnung erlebt habe: mit Weltmusik und Jazz, halb improvisiertem Theater, einer spontanen Chorprobe und zirkusreifen Schlagzeugdarbietungen. Außerdem mit einem Rektor in Jeans und Hochschul-Poloshirt, der keine Reden hielt, sondern vor allem Spontaninterviews mit den einzelnen Abteilungen führte (Klassische Musik, SNOA (s.o.), Jazz, Schauspiel, Musical, Kirchenmusik, Oper, Komposition und Pädagogik). Und last but not least: die Hochschule leistete sich eine Simultanübersetzung ins Englische für alle internationalen Studenten (und das waren weitaus weniger als an meiner früheren Hochschule)!

Am Donnerstag und Freitag gab’s dann speziellere Informationen für die (insgesamt 29) Masterstudenten aller musikalischen Fächer der Hochschule, ein Begleitseminar zu unseren Masterprojekten, einen Film für die Komponistenklasse und – als speziellen Service für die gesamte Universität – Sprachcoaching für unsere Masterarbeit und auch für andere Texte auf Englisch und Schwedisch. Insgesamt also eine äußerst ereignisreiche Woche, aus der ich ein bisher äußerst positives Fazit über die Hochschule ziehen kann: Die Ausbildung ist sehr klar strukturiert, ohne einengend zu sein. Die Ausstattung der Hochschule ist fantastisch, insbesondere dann, wenn man sich nicht nur dafür interessiert, ob auch in jedem Zimmer ein Flügel steht – denn das ist nicht unbedingt der Fall. Die Atmosphäre ist sehr angenehm und der Unterricht, den ich bisher hatte, war sehr gut.

Initiationsritus für Erstsemester und meine erste schwedische Sprechrolle auf der Bühne

Abschließend muss hier aber auch noch über den nicht-fachlichen Teil gesprochen werden: Am Freitagabend war nämlich Insparksfesten, die Semestereröffnung des Studentkår (AStA). Eine schwedische Tradition verlangt es, dass sich sämtliche Neuankömmlinge an der Hochschule einem Initiationsritus unterziehen müssen, der wohl je nach Fachbereich äußerst unterschiedlich ausfallen kann. Bei uns bot sich dafür natürlich eine Mischung aus Schauspiel und Musik an, so dass wir in kleine Gruppen eingeteilt wurden, um eine Szene einzustudieren. Alle Gruppen sollten einen schwedischen Schlager, der am Melodifestival (Eurovision Song Contest, einem der wichtigsten gesellschaftlichen Ereignisse hier in Schweden) teilgenommen hat, im Stile eines Disney-Films interpretieren. In unserem Fall mussten wir also Arielle, die Meerjungfrau und den Grand-Prix-Gewinner von 1984 Diggi Loo Diggi Ley miteinander verbinden, was mir direkt meine erste schwedische Sprechrolle als Triton sowie den ersten Wettbewerbsgewinn in Schweden einbrachte!

Maestro – Schweden sucht den Superdirigenten


Vor ein paar Tagen haben wir mal spaßeshalber unseren Fernseher in die vorhandenen Steckdosen eingestöpselt, uns aber eigentlich nicht viel davon versprochen. Doch siehe da, wir haben tatsächlich ein paar Programme, welche die Telia, das schwedische Pendant zur Telekom, uns anscheinend kostenlos zur Verfügung stellt. Dazu zählen SVT 1 und SVT 2, die als staatliche Sender vom Status her vergleichbar sind mit ARD und ZDF. Außerdem gibt es einen Sender, der den ganzen Tag ausschließlich Opern- und Konzertmitschnitte zeigt, einen Kinderkanal und zwei oder drei weitere Sender, deren Programmschwerpunkte sich uns noch nicht vollständig offenbart haben, weil jeder einzelne sich irgendwo zwischen Pro 7, Discovery Channel und arte bewegt. Ach ja, und wir haben Eurosport. Danke dafür…

Die Öffentlich-Rechtlichen: Nachrichten und Dokus

Auffällig ist, dass es auf allen diesen Sendern kaum Spielfilme gibt, weder schwedische noch internationale, die scheinen auf anderen Programmen zu laufen. Dafür gibt es gefühlt 30 Minuten pro Stunde irgendwelche Nachrichten: lokale, regionale, nationale, Wetter-, Sport-, Promi- und Kulturnachrichten. Wenig Börse, wenig Internationales. Auch amerikanische Serien, Seifenopern, oder Talkshows (sowohl „Anne Will“ als auch Krawalltalk) muss man auf unseren Sendern lange suchen. Dafür gibt es „Wer weiß am meisten?“, das Sendungskonzept wird im Untertitel mit frågesport umschrieben.
(Klammer auf: Bevor hier ein falscher Verdacht aufkommt: nein, wir sitzen nicht den ganzen Tag vor der Kiste, sondern ich beziehe mein wohlrecherchiertes Halbwissen gerade überwiegend aus dem Studium der Homepage von SVT :-) Klammer zu.)

Und es gibt Unmengen von schwedischen, englischen und amerikanischen Reportagen über menschliche Einzelschicksale, schwedische Geschichte, fremde Landschaften, Länder, Kulturen und Tierwelten sowie massenweise Magazine zu den Themen Gartenpflege, Inneneinrichtung und Essenszubereitung. Und: Maestro.

Chorleitungsunterricht als Bildungsfernsehen für die breite Masse

Maestro ist irgendwas zwischen „Deutschland sucht den Superstar“ für Promis und meinen ersten Semestern Dirigierunterricht. Das Konzept ist schlicht: sechs schwedische Prominente – eine Comedienne, eine Popsängerin, eine Kinderbuchautorin, ein Nachrichtensprecher vom Typ „Ulrich Wickert“, ein Kampfsportler und ein Schauspieler (ich kannte sie allesamt nicht) – werden innerhalb von sechs Wochen zu Dirigenten „ausgebildet“ und am Ende jeder Woche schickt eine Jury den oder die Schlechteste nach Hause. Vom ersten Teil haben wir nur die letzten Minuten gesehen, aber uns schon köstlich amüsiert. Heute war Teil 2: Chorleitung. Die komplette Folge kann man sich auf SVT.se drei Wochen lang online anschauen (ist auch ohne Schwedischkenntnisse über weite Strecken unterhaltsam).

Zu Beginn der Woche erhielt jeder Kandidat ein anspruchsvolles Chorstück, welches am Ende der Woche mit dem Schwedischen Rundfunkchor aufgeführt werden sollte. Dazu der Moderator: „Ich will euch nicht nervös machen, aber das ist der beste Chor der Welt.“ (Das ist tatsächlich keine Übertreibung, der Chor wurde über 30 Jahre lang von Eric Ericson, dem Chorleiter schlechthin geleitet.) Die Kamera begleitete die Kandidaten dann die Woche über, wie sie Unterricht in Schlagtechnik, Stimmbildung, Körperschulung und Rhythmik bei Professoren an der Königlichen Musikhochschule in Stockholm erhielten. Und ich war ernsthaft überrascht, wieviele Elemente daraus ich in meinem Studium tatsächlich auch so erlebt habe. Zum Beispiel im Wasser zu dirigieren, um das „Wedeln“ zu verlieren und ein Gefühl für Klanggewicht zu bekommen. (Auch wenn ich manchmal dachte „gut, dass jetzt kein Außenstehender zuschaut“, wenn ich in chorischer Stimmbildung mit der Zunge am linken oberen Backenzahn auf einem Bein stehend mit den Armen fuchtelnd Vibratoübungen gemacht habe). Als „Probenopfer“ wurden Schul- und Kirchenchöre herangezogen, die die Stücke ohne störenden Möchtegern-Dirigenten wahrscheinlich genauso oder besser gesungen hätten. Aber egal. Großartig war dann die zweite Hälfte dieser Doku (ab Min. 34:30), als schließlich der Rundfunkchor dirigiert wurde. Gnadenlos ehrlich hat dieser Chor jeden Wedler der Kandidaten 1:1 umgesetzt, einschließlich unfreiwilliger Crescendi, Tempo- und Taktwechsel. So gelacht haben wir selten.

In der Jury saßen eine Chorleitungsprofessorin, der königliche Hoforganist sowie ein weiterer Chorleiter. Die Beurteilungen fielen – wie nicht anders zu erwarten – bei allen Kandidaten freundlich und zurückhaltend aus: „Ich glaube, sie hatte ein wenig Schwierigkeiten, das Tempo zu halten“, so eine Sängerin über die Kandidatin ab 37:15. Und den Profis hat man den Drang, während des Stücks zu lachen, wirklich fast nicht angesehen.

Singender Thaiboxer mit Fremdschämfaktor – aber kein Dieter Bohlen

Insgesamt fand ich diese Sendung jedoch trotz des hochtrabenden Titels erfreulich realitätsnah. Man hätte auch ein „Best of“ der peinlichsten Augenblicke der Woche daraus machen können (z.B. den singenden Thaiboxer in Endlosschleife) und eine misanthropische Jury hinsetzen können, die sich am liebsten selbst im Mittelpunkt sieht. Aber gar nicht. Vielmehr hat das schwedische Fernsehen hier auf eine unterhaltsame Weise gezeigt, wie an Musikhochschulen tatsächlich unterrichtet wird – zumindest manchmal. Auch wenn es natürlich lächerlich ist, dass in der Mensa eine Orgel steht, bzw. im Orgelsaal das Mittagessen serviert wird (ca. Min. 13:00). Das gibts noch nicht mal in Schweden…

Midsommar


Seit ich denken kann, lagen die Sommerferien in den süddeutschen Bundesländern bzw. später die Semesterferien immer so spät, dass ein Besuch des Mittsommerfestes in Schweden unmöglich war. Durch die extrem späten Pfingstferien in BaWü ging jedoch dieses Jahr ein lange gehegter Wunsch in Erfüllung: Mein erstes schwedisches Mittsommerfest!

Wir haben lange überlegt, wo wir feiern sollen. Mein schwedischer Sprachtandempartner, den ich aus Karlsruhe kannte und der inzwischen in Göteborg wohnt, war mittsommermüde und fiel daher als Option aus. In den Tagen vor Mittsommer waren wir noch in an der Küste in Bohuslän, waren aber von dem riesigen Mittsommer- und Tourismusrummel dort abgeschreckt. Also beschlossen wir, das eigentlich naheliegenste zu tun und in Skepplanda zu feiern.

Das schwedische Mittsommerfest beginnt immer am Freitag nach dem kalendarischen Sommeranfang. Der Freitag heißt midsommarafton, ist also der Abend vor Mittsommer, der eigentliche midsommardag ist dann der Samstag. Allerdings findet der „offizielle“ Teil mit Aufstellen des Mittsommerbaumes und der Tanz um diese majstång bereits am Freitagnachmittag statt, während der Freitagabend und Samstag eher mit Familie und Freunden begangen werden.
Wir kamen also Freitagmittag pünktlich zum Aufstellen zum Skepplanda hembygdsgård, dem örtlichen Heimatmuseum. Das Wetter war, wie man uns versicherte, „richtiges Mittsommerwetter“, nämlich kühl mit Schauern.
Groß war die ganze Veranstaltung nicht – was ist in Skepplanda schon groß, außer den vier Fußballplätzen – aber dafür absolut untouristisch und umso familiärer. (Zum Vergrößern Bilder anklicken.)

Den gemütlichen Teil mit dem großen Fest(fr)essen am Freitagabend haben wir dann nicht mehr in Skepplanda verbracht, weil wir abends noch nach Trelleborg fahren wollten, denn wir hatten am Samstag die Rückfähre. Nächstes Jahr dann…

Kindergeburtstag mit Bratislover und Unmengen an Tiramisu


StudiVZ ist eine Plattform, die ich nur noch höchst selten benutze. Als ich mich neulich nach Ewigkeiten doch mal wieder einloggte, fiel mir eine Gruppe besonders ins Auge:

„Wenn ich bis 65 arbeiten muss, dann kann ich auch bis 30 kindisch sein.“

"Frank Zappa" feierte 'nen Runden (Bild: Wikipedia)

Nachträglich betrachtet das perfekte Motto für unsere Geburtstags- und Scheidungsparty letzte Woche. Mein allerliebster Studien- und Reisefreund Frank Zappa (Name geändert), mit dem ich seit Jahren regelmäßig Doppelgeburtstag feiere, stellte seinen Garten und Grill dafür zur Verfügung. Madame V. in hinreißender Abendgarderobe („damit auch jeder weiß, warum ich jetzt geschieden bin“) war eine ebenso unterhaltsame Gastgeberin.

Das Thermometer meinte zwar, nach wochenlanger Dauerhitze just an diesem Tag um 15 Grad fallen zu müssen, aber der Stimmung tat das keinen Abbruch, im Gegenteil. Schließlich haben unsere tollen Freunde dafür gesorgt, dass wir in Mütze, Handschuhen und Schal mit Messer und Gabel unseren Nachtisch erlegen mussten. Juhuuuu, Kindergeburtstag! Es war so unglaublich lustig, vielen vielen Dank euch für diese wunderbare Idee! Kommt ihr nächstes Jahr zum Topfschlagen nach Göteborg? (Was wohl die Nachbarn gedacht haben müssen, als wir im Sekundentakt „seeeeeeechs“ gebrüllt haben…? :-D)

Ein weiteres Highlight des Abends waren Stimmgelage, die in leicht modifizierter Besetzung die Gäste unterhielten. Wie wunderbar, wenn man soviele Musiker auf einem Haufen hat. Zum nächsten Konzert sind wir leider schon nicht mehr in Karlsruhe, aber umso lieber machen wir hier etwas Werbung für diese A-Cappella-Gruppe. Die Bildqualität ist selbstverständlich so, wie man es von einem Handy auf einer Grillparty im Carport zur fortgeschrittenen Stunde erwarten darf… :-)

Das schönste Geschenk für mich war aber, soviele Leute mal wieder zu treffen, die ich schon viel zu lange nicht mehr gesehen habe. Soviele Geschichten, soviele Erlebnisse und zwei Hochzeiten, die bald anstehen… Als wir uns dann irgendwann auf den Heimweg machten und der Himmel sich schon langsam wieder dunkelblau färbte, entdeckten wir noch zwei jungfräuliche Schalen Tiramisu im Kühlschrank –  nicht, dass bis dahin nicht schon die eine oder andere Schale leergefuttert worden wäre. Wahrscheinlich konnten Frank Zappa und Madame V. sich das komplette Wochenende davon ernähren.

Ihr Lieben, die ihr da wart: Ihr habt meinen letzten Geburtstag in Karlsruhe zu einem wunderbaren Abend gemacht, den ich nicht so schnell vergessen werde. Ich bin immer noch ganz erfüllt davon. Dankedankedanke…

Ein Wochenende – drei Konzerte


Es gibt Wochenenden, an deren Ende man reif fürs Wochenende ist. So eines liegt gerade hinter uns. Freitagabend Schulkonzert, Samstag und Sonntag Uraufführungen von Jonas mit Chorioso. Alles drei waren tolle Konzerte, aber kräftemäßig doch… puuh… Daher haben wir uns in der letzten Zeit wenig um unseren Umzug nach Schweden kümmern können. Letzten Freitag hatte Jonas auch schon seine erste von fünf Bachelorprüfungen (Klavier), die in den nächsten Wochen noch anstehen. Wenn die anderen Prüfungen ähnlich gut laufen, kann er zufrieden sein.

Damit können wir wieder hinter drei Großprojekte einen Haken setzen, denn nervlich war für Jonas die Klavierprüfung sicherlich die anspruchsvollste, obwohl – oder gerade weil – Klavier ja nicht sein Hauptfach ist. Für mich steht jetzt eigentlich „nur“ noch ein Berg von 10 Klassenarbeiten und ein Schuljubiläum an, auf das ich meine Musik-AGs vorbereiten muss.

Ulkigerweise haben wir gerade ein total unterschiedliches Zeitempfinden, was die Zeit bis zum Umzug angeht. Während ich das Gefühl habe, dass die 69 Tage, die unser Countdown heute anzeigt, gleichbedeutend mit einer Ewigkeit sind, weil jetzt keine herausragenden Highlights mehr, aber dafür umso mehr Alltagseinerlei in meinem Terminkalender stehen und die Motivation in der Schule in Sachen „normaler“ Unterricht nach der letzten Klassenarbeit vor den Sommerferien erfahrungsgemäß eher ab- als zunimmt.
Jonas hingegen fragt sich, wie er alles, was er sich noch vorgenommen hat, in diesen unglaublich kurzen Zeitraum von gerade einmal 2 Monaten und 9 Tagen unterbringen soll, zumal wir ja im Juni auch noch zwei Wochen auf Wohnungs- und Jobsuche in und um Göteborg sind.

Nach wie vor wächst mit jedem Tag unsere Vorfreude auf Schweden, auch wenn im Kopf längst die Zeit der „letzten Dinge“ begonnen hat. Letztes großes Konzert mit Chorioso. Letzter Klavierunterricht. Der letzte Ausflug in den Schwarzwald. Das letzte Mal beim (deutschen) Zahnarzt. Und soviel Neues, das auf uns wartet. Wenn es doch nur schon soweit wäre… Diese Woche will ich mal ein paar Kündigungen schreiben. Handy, Telefon, Internet, Gas, Strom, Wohnung. Zum Glück habe ich heute fast frei. Und kann ein wenig Wochenende nachholen.