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Empfehlungen dringender Art


Es wird empfohlen, Abstand zu halten. Es wird empfohlen, seine Kontakte zu begrenzen. Es wird empfohlen, von zu Hause aus zu arbeiten. Freiwillige Maßnahmen: Das ist das Besondere am schwedischen Sonderweg in der Corona-Pandemie.

Dass es kaum Verbote gibt und gab liegt vor allem daran, dass Schweden kein Gesetz für zivile Notlagen hat.¹ Diesem Problem begegnete man bereits im Frühjahr mit einem vorläufigen Pandemiegesetz, das allerdings zu spät kam, um überhaupt zur Anwendung zu kommen. Im Herbst war dieses wieder ausgelaufen und so kamen wieder behördliche Empfehlungen. Diese wurden dann im November und Dezember immer schärfer und mittlerweile sind auch bei uns Schulen ab der 7. Klasse geschlossen, an der Kulturschule unterrichten wir auf Distanz, in Stoßzeiten soll man in öffentlichen Verkehrsmitteln eine Maske tragen, ins Restaurant darf man nur noch zu viert… und am 10. Januar wurde ein Gesetz beschlossen, mit dem die Regierung echte Verbote aussprechen kann – das allerdings noch nicht angewendet wurde.

Das hauptsächliche Mittel Schwedens gegen die Pandemie sind und bleiben Empfehlungen. Das Problem ist nur, dass es in Schweden rekommendation und rekommendation gibt.

Wenn ich eine Kollegin nach einer guten Saite für meine Dienstgeige frage, könnte das so klingen: Kan du rekommendera en fiolsträng? Dann wird sie mir etwas empfehlen und es wäre natürlich gescheit, dieses Produkt zu kaufen – schließlich hat sie Ahnung von Geigensaiten und ich nicht, schließlich bin ich Kontrabassist. Eine rekommendation könnte auch für eine gute Serie auf Netflix oder einen leckeren Wein gelten. Ein anderes Wort wäre hier att tipsa, also einen Tipp geben. Wenn dagegen eine myndighet (Behörde) eine rekommendation ausspricht, dann würde der Thesaurus ein ganz anderes Synonym ausspucken: anbefalla. Das klingt schon ganz anders, fast nach Befehl, und die Empfehlung ist dann auf einmal sehr dringend. Ich muss mich nicht daran halten, mich erwartet keine Strafe bei Missachtung, aber okay ist das nicht. Und die Gesellschaft schaut mich vorwurfsvoll an und ist menschlich sehr enttäuscht von mir.

Aber Spaß beiseite. Aus Sicht einer myndighet ist eine rekommendation eben keine freiwillige Empfehlung, sondern eher so wie ein schwedischer Chef, der mich fragt, ob ich heute noch die Fahrtkostenabrechnung vorbeibringen könnte. Oder ein deutscher Chef, der mir mitteilt, dass die Fahrtkostenabrechnung spätestens heute abend 17 Uhr auf seinem Schreibtisch liegen soll. Also eine klare Anweisung, nur kulturbedingt unterschiedlich formuliert.

Allerdings ist dieser Sprachgebrauch selbst vielen Schweden nicht bewusst, denn wenn nicht gerade Pandemie ist, begegnet dem Durchschnittsbürger eher ein Buchtipp als eine dringende behördliche Empfehlung. Zwar wurde in den letzten Monaten das Thema in allen Medien wieder und wieder durchgekaut – wenn behördlicher Sprech aber so sehr gegen das Sprachgefühl der Allgemeinheit geht, hilft das nicht viel. Das musste ich letzte Woche wieder einmal erleben, als ich mir im Rahmen meines Chorleitungsstudiums (hatte ich das hier schon einmal erwähnt?) von einem Prüfer anhören musste, dass ich für mein Abschlussprojekt doch einfach einen kleinen Chor zusammentrommeln könne, es sei ja nicht verboten. Naja, ist es halt irgendwie doch, aber eben auf dezentestem Behördenschwedisch. Und zum Glück/leider wissen das auch die meisten Chorsänger. Nur anscheinend nicht alle Professoren… Am Freitag werde ich jetzt mit meinem Betreuer über das weitere Vorgehen sprechen – mal schauen, was er mir empfiehlt.

¹ Deshalb wurde im schwedischen Pendant zu heute-show der Vorschlag gemacht, man könne doch Norwegen bitten, uns den Krieg zu erklären, ein paar Soldaten auf einem Campingplatz direkt hinter der Grenze einquartieren um dann mit Hilfe des Kriegsrechts einen Lockdown zu erlassen.

Post von Notposten


Diese Woche kam ein langersehntes Päckchen. Dass es irgendwann kommen würde, wusste ich eigentlich schon seit über einem Jahr, aber der Weg dorthin war ziemlich lang.

Die Geschichte beginnt 2016, als die Kulturschule einen Ausflug mit ungefähr 150 Schülern der zweiten bis vierten Klasse nach Varberg plante. Mitfahren sollten Kinder, die auf eine der acht Schulen gehen, an denen wir nachmittags kostenlosen Tanz-, Zirkus-, Kinderchor- und Orchester-Instrumentalunterricht anbieten. Geplanter Höhepunkt der Reise war ein Open-Air-Konzert mit allen Teilnehmern. Und als Höhepunkt des Konzerts wünschte sich unser Chef ein Orchester aus allen gut einhundert Instrumentalisten.

Die Musiker unter unseren Lesern wissen sicherlich, wie schwierig es ist, Neuanfänger auf Streich- und Blasinstrumenten unter einen Hut zu bringen. Tonarten, Tonräume, Rhythmen… jedes Instrument benötigt seinen ganz eigenen allerersten Anfang. Die Begeisterung über die Idee unseres Chefs, alle Schüler gleichzeitig auf die Bühne zu bringen, hielt sich im Kollegium daher eher in Grenzen.

Nach einigem Überlegen begann jedoch mein Komponisten-Gehirn zu rattern. Einschränkung ist ja bekanntlich einer der größten Motoren für Kreativität. Ich unterhielt mich mit meinen Kollegen; fragte, wie sie den Unterricht im ersten Jahr gestalten, was man den Schülern so zutrauen könnte, was im Orchester funktionieren würde. Und dann machte ich mich an die Arbeit. Nach ein paar Stunden standen die ersten Skizzen, nach einigen Tagen waren ganze zehn Stücke fertig. Mit einigen musikalischen Kniffen im kompositorischen Werkzeugkasten war es letzten Endes gar nicht so schwierig, musikalisch sinnvolle Orchestersätze zu schreiben, die Rücksicht auf die methodischen Anforderungen der einzelnen Instrumente nehmen.

Drei Stücke wurden ausgewählt und alle übten fleißig mit ihren Schülern. Dann kam die Reise, das Projekt glückte (halbwegs, denn auch das beste Material scheitert an mangelnder gemeinsamer Probezeit…) und die Noten verschwanden in einer dunklen Ecke meiner Festplatte…

…bis Anfang 2019, als ich auf einem Kongress für Streichinstrumentlehrer war. Neben Workshops, Kursen und vielen Gesprächen mit Kollegen gab es dort auch einige Instrumentenbauer und Verlage, die ihr Angebot der versammelten Streicherpädagogenschar Schwedens präsentierten. Ich kam mit einem Verleger ins Gespräch und fragte ihn, ob er an meinem Material für Anfänger-Sinfonieorchester interessiert wäre.

Er war. Sehr sogar.

Wieder zu Hause machte ich mich direkt an die Arbeit, die Noten verlagsfertig aufzubereiten. Zunächst einmal fehlten viele Blasinstrumente; am ursprünglichen Projekt waren nur Klarinetten, Flöten, Trompeten und Posaunen beteiligt. Es fehlten Horn, Oboe, Fagott, Quintfagott (eine Art Mini-Fagott für Kinder) und Saxofon, außerdem eine Klavierstimme, Mallets (auch Stabspiele genannt), Percussionstimmen, E-Bass (für alle unterpriviligierten Kulturschulen, die keine Kontrabassisten ausbilden) und, wie sich später heraustellen sollte, auch noch einige Blechbläserstimmen für Kinder in Brass-Bands, da diese ihre Instrumente speziell notieren.

Nachdem mir dann eine ganze Stunde wertvoller Lehrerkonferenzzeit gewährt wurde, um das komplette Material mit meinen Kollegen durchzuspielen, zu diskutieren und Korrektur zu lesen, mussten noch einige Änderungen eingearbeitet sowie ein Stück quasi komplett neu geschrieben werden.

Danach ging es ans Layout, was am Ende wahrscheinlich mehr Zeit in Anspruch nahm als alle anderen Arbeiten zusammen; schließlich muss nicht nur die Partitur, sondern auch sämtliche Einzelstimmen zurechtgerückt und leserlich gestaltet werden. Insbesondere pädagogisches Material erfordert hier höchste Sorgfalt, damit die Schüler nicht von schlecht platzierten Zeilenumbrüchen, überflüssigen Seitenwechseln oder einem unnötig überladenen Notenbild völlig überfordert werden.

Gleichzeitig wollte der Verlag Druckkosten sparen. Zehn Stücke waren zu viel, sonst hätte jede Stimme zwei A3-Bögen gebraucht. Wir einigten uns auf sieben Stücke, das ließ sich auf einen A3-Bogen pro Instrument drucken, ohne auf ein pädagogisch geeignetes Notenbild zu verzichten. Die Seitenränder mussten dem Verlagsstandart angepasst werden, ebenso der Abstand zwischen den Notensystemen, Überschriften, Stücken, Fußzeilen, Kopfzeilen… Hätte ich all diese Informationen von Anfang an gehabt, hätte ich mir einiges an doppelter Arbeit sparen können. Aber für den zweiten Band weiß ich es jetzt. Denn das war dem Verleger auch noch wichtig, dass auf der Titelseite Teil 1 stehen sollte… Drei Stücke für Teil zwei habe ich ja schon.

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Verlagsreklame

Am Donnerstag kamen nun endlich meine zwei Referenzexemplare. Der Verlag (Notposten) macht immer im April eine große Werbekampagne mit den Neuheiten des Jahres, daher dauerte es so lange von den ersten Gesprächen bis zur Herausgabe. Von meiner Seite hätten die Noten auch schon im Sommer 2019 fertig sein können, aber gedruckt wird nur im März, damit alles gleichzeitig und mit viel Aufmerksamkeit auf den Markt kommen kann.

Jetzt heißt es wieder warten und Daumen drücken. Mal schauen, wie viele Exemplare am Ende verkauft werden. Bestellen kann man die Noten übrigens hier.

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10. Dezember: Chanukka


Wer denkt, dass wir gerade nur auf Weihnachten hin leben, proben und arbeiten, der liegt falsch. Parallel zu allem Jinglegebelle studiere ich gerade mit einem Schülerduo jüdische Lieder ein, die die beiden am 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, im Rahmen einer Gedenkveranstaltung im Kulturhaus von Borås aufführen werden.

Der Jüdische Kulturverein und die Kulturverwaltung Borås begehen diesen Tag jedes Jahr mit einer Gedenkstunde und die musikalische Umrahmung durch Schüler liegt 2019 zum zweiten Mal in meinen Händen. Letztes Jahr habe ich mit zwei Schülerinnen Klezmerstücke für Klarinette und Klavier einstudiert, dieses Jahr ist es auf Wunsch des Jüdischen Kulturvereins ein Duo Gesang und Klavier mit Liedern und Arrangements von Leo Rosenblüth (1904-2000). Leo Rosenblüth wurde in Fürth geboren, studierte in Frankfurt und wurde 1931 zum Oberkantor an der Synagoge Stockholm berufen, ein Amt, was er bis 1976 ausübte. (Mehr zu Leo Rosenblüth bei Svensk Musik.)

Eines der Lieder, die meine Schüler im Januar spielen werden, ist Mir leben ejbig. Ursprünglich im Ghetto von Vilnius entstanden, fand die Melodie ihren Weg in die Hände von Leo Rosenblüth, der sie für Gesang und Klavier arrangierte und 1946 zusammen mit anderen Liedern, die in Ghettos und Konzentrationslagern entstanden waren, herausgab.

Hier eine Interpretation des Liedes von Louisa Lyne & Die yiddishe Kapelye, die ich 2018 im Anschluss an die Gedenkveranstaltung im Boråser Kulturhaus live hören durfte.

 

Heute ist übrigens der letzte Tag des achttägigen jüdischen Chanukka-Festes.

Edit: Aus unerfindlichen Gründen (Blödheit? Müdigkeit?) hieß dieser Artikel ursprünglich mal 10. Januar. Sollte natürlich 10. Dezember heißen. Chanukka liegt immer im Dezember.

Vier hässliche Lieschen und eine Kopfschmerztablette, bitte!


Schüler, 3. Klasse, erste Klavierstunde nach den Sommerferien:
„Ich hab ein neues Lied gelernt, von meiner Cousine! Es heißt „Lis Fyra“!“*

 

Anderer Tag, andere Schülerin, 7. Klasse. Erste Klavierstunde nach den Sommerferien:
„Ich habe ein neues Lied gelernt, von meiner Freundin! Es heißt „Ful Elise“!“**

 

Gleicher Tag, später am Nachmittag, Schüler, 5. Klasse. Wir machen Fingerübungen zum Aufwärmen und Anknüpfen an früher bereits Gelerntes. Kind spielt D-Fis-A, Daumen, Mittelfinger, kleiner Finger.

Ich: „Wie nennt man denn das, was du da gerade spielst?“
Kind: …?
Ich: „Also wenn man drei Töne spielt, die dann gleichzeitig klingen…“
Kind: …?
Ich: Könnte das vielleicht was mit Drei…. zu tun haben, wenn da drei Töne klingen?
[Auf Schwedisch: …när det klingar tre toner?]
Kind: …?
Ich: „T…“
Kind: „T…“
Ich: „Tr…“
Kind: „Tr…“
Ich: „Treee…“
Kind: „Tre… Tree… Treee…“
Kind (strahlt): „Treo!“***

Treo 500mg/50mg 60st (1/1)


*fyra = vier
** ful = hässlich
*** Treo: Handelsname für Kopfschmerzbrausetabletten mit Acetylsalicylsäure und Koffein. Die richtige Antwort wäre treklang, also Dreiklang gewesen.

Der erste Donnerstag im März


Donnerstags haben wir beim Job immer Möte, Konferenz also. Die gute Sitte gebietet, dass jede Woche jemand anders fürs Fika zuständig ist, also Kanelbullar (Zimtschnecken), Kladdkaka (klebrigen Schokoladenkuchen), Semlor (Riesenwindbeutel) oder sonstige Leckereien mitbringt. Ob selbstgebacken oder gekauft ist dabei zweitrangig. Wenn jemand Geburtstag hat oder es irgendwas anderes zu feiern gibt, bringt man üblicherweise eine Prinsesstårta mit – Sahnetorte mit giftgrünem Marzipanüberzug.

Heute kam – für mich sehr überraschend, da eigentlich ein ganz normaler Donnerstag – der Lieblingskollege mit dieser Marzipantorte an:

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Fössta Tossdan i mass stand da auf der Torte. Aha. Bedeutet frei aus dem Småländischen übersetzt soviel wie: Easta Donnastag im Meaz.

Auch wenn mich das jetzt sprachlich nicht überforderte… ich war raus. Warum muss man jetzt den ersten Donnerstag im März feiern?? (Also… nicht, dass ich was gegen Marzipantorte hätte.) Was dann folgte, war eine Lektion in Landeskunde vom Lieblingskollegen:

Der Smålänning an sich hat ein dialektal bedingtes Problem mit dem Buchstaben r. Noch schlimmer wird dieses Problem, wenn dem r ein s folgt. Im restlichen Schweden wird die Lautkombination rs meist wie (r)sch ausgesprochen. Första torsdagen i mars klingt also wie [förschta turschdagen i marsch] oder auch [föschta tuschdan i masch].

Nun sind die Bewohner Smålands im restlichen Schweden nicht besonders angesehen – in Deutschland wären sie eine Mischung aus Schwaben und Ostfriesen, was Geiz und Geist angeht – und man lässt keine Gelegenheit aus, sich liebevoll über sie lustig zu machen. Vielleicht steckt auch ein bisschen Neid dahinter, den Smålänning Ingvar Kamprad verehrt man jedenfalls in ganz Schweden.

Die Anhäufung von rs-Lauten in Första torsdagen i mars hat jedenfalls dazu geführt, dass der erste Donnerstag im März zum inoffiziellen småländischen Nationaltag deklariert wurde, angeblich von einem Smålänning. Und wie feiert man den am besten? Natürlich, mit Massipaantåååta. Der nichtsmåländische Schwede spricht dieses Wort mit einem leicht grenzdebilen Grinsen aus.

Böse Zungen behaupten, der Tag sei eine Erfindung der Konditoren. Nicht ganz auszuschließen in einem Land, das auch einen Kanelbullens dag (4. Oktober), einen Semladag (Faschingsdienstag), einen Tag der Punschrolle, einen Tag der Mazarine und einen Waffeltag hat. Um nur die Wichtigsten zu nennen. Die drei letztgenannten liegen übrigens alle im März. Irgendwie muss man ja die Fastenzeit überleben.

Ich komme heute später, weil…


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Diese SMS bekam ich kürzlich von einem Klavierschüler, neunte Klasse:
Hej! Komme wohl etwas später heute weil Zeitmangel usw

Ich bin ja glücklich, wenn sie ihr Handy benutzen, um damit mit mir zu kommunizieren. Und „Zeitmangel usw“ ist wirklich eine schöne Entschuldigung. So erwachsen. Mal eine Abwechslung zu „Ich kann nicht kommen, wir schreiben morgen nen Mathetest./ Ich muss zum Zahnarzt./ Mama hat vergessen meine Tasche zu packen./ Mein Freundin hat ein neues Pony.“

Schön auch, wenn Form und Inhalt so kongruent sind wie hier. Eine ausführliche Erklärung mit Zeichensetzung und allem Pipapo, warum die Zeit knapp ist, wäre ja auch unglaubwürdig. Stattdessen fokussiert er auf die wichtigen Dinge, zunächst auf der Beziehungsebene: „Hej!“ Wie schön! Trotz Zeitmangel usw nimmt er sich die Zeit, mir eine Anrede zu schreiben, noch dazu mit Satzzeichen, das einzige in der ganzen SMS! Dann gehts direkt zur Sache: „Kommer…“. Wer wird sich denn mit so Kinkerlitzchen wie einem Satzsubjekt aufhalten, wenn man im Telegrammstil schreiben kann? Immerhin, die Zeit reicht für das kleine Wörtchen nog (=wohl, vermutlich), es gibt also noch ein Fünkchen Hoffnung, dass er es doch noch pünktlich schafft. Schließlich kommt die SMS schon um 15.00 und seine Klavierstunde beginnt erst 30 Minuten später.

Offensichtlich wollte er mir auch zunächst eine längere Erklärung schreiben, warum er zu spät kommen würde, darauf deutet die Konjunktion „eftersom“ hin, die gemeinhin einen vollständigen beigestellten Hauptsatz einleitet. Ich sehe es bildlich vor mir, wie er den Satz beginnt, versucht, sein voraussichtliches Zuspätkommen plausibel zu begründen, es wieder löscht, neu anfängt und schließlich ganz erschöpft aufgibt und sich mit der Erklärung Zeitmangel zufrieden gibt. Zeitmangel, die Geißel meiner und offensichtlich auch seiner Generation. Er ahnt, dass damit alles gesagt ist, denn das schöne Wörtchen Zeitmangel deckt so ungefähr alle Unwägbarkeiten des Lebens ab, einschließlich der unvorhergesehenen Ereignisse, die zwischen Unterrichtsschluss und Klavierstundenbeginn auftreten können. Oder? Ist damit wirklich alles, alles, also wirklich erschöpfend ALLES gesagt? Oder sollte man noch besser ein nachdrückliches Undsoweiter hinterherschieben? Die Zeit ist knapp, aber die jugendliche Unsicherheit groß, daher ein Kompromiss: usw  – Ohne Satzzeichen. Dafür reicht die Zeit nun wirklich nicht. Aber wenigstens umfasst ein usw nun endgültig alles andere, was nicht schon im Subtext zu Zeitmangel enthalten war. Fertig. Senden!

Um 15:40 steht ein duftender Jüngling vor mir: die Haare frisch gegelt, der weiche Flaum rasiert und die ganze Erscheinung in eine Wolke von Rasierwasser, Duschgel und Deo eingehüllt, und erklärt mir: „Wir hatten in der letzten Stunde Sport.“

Als ich am Ende der verkürzten Unterrichtsstunde die Tür meines Unterrichtsraumes öffne und ihn und seine Duftwolke nach draußen entlasse, sitzt auf dem Flur seine neue Freundin und wartet. Das erklärt doch so viel mehr als Zeitmangel usw

Warum heute eine Schokoladen-Erdnuss-Torte meine Stimmung hob


Der beste Augenblick des Tages: Erst ein Gespräch zwischen meinem neuen Chef (Veganer) und einem Kollegen mithören – beide machen gerade 5:2-Diät und der neue Chef hat heute seinen :2-Tag, an dem man nur 600 Kalorien zu sich nehmen darf – und eine halbe Stunde später die Miene des Chefs sehen, als die Kollegin, die heute für unser wöchentliches Fika zuständig war, eine Kuchenplatte auf den Tisch stellte und stolz verkündete: „Schokoladen-Erdnuss-Torte, laktose- und glutenfrei und vegan!“

An den Rändern quoll zärtlich die cremige, snickersartige Füllung raus und die millimeterdicke Schokoglasur knackte verlockend, als wir die Torte anschnitten… Mhmmm…

Mein neuer Chef ist einer der Gründe, warum es hier gerade so still ist im Blog. Nach monatelangen Verhandlungen im Herbst über meine kleine, aber sehr feine Musikschule und deren Fortexistenz müssen wir uns seit 1. Januar mit einer Kompromisslösung und einem neuen Chef anfreunden. Das kostet mich gerade leider einiges an Energie, die mir abends und am Wochenende zum Bloggen fehlt.

Passend dazu zitiert der Lieblingskollege bei jeder sich bietenden Gelegenheit den schwedischen Schriftsteller und Komiker Tage Danielsson: „…men kaffe och bullar gör mig glad!“, ein Lied darüber, wie sich das Elend der Welt im allgemeinen und im speziellen eigentlich nur mit Kaffee und Süßgebäck ertragen lassen. Meist schiebt er mir dann die Keksdose zu.

Den schwedischen Text und eine englische Übersetzung gibt es hier: http://swedish-lyrics.tumblr.com/post/67846889238/tage-danielsson-kaffe-och-bullar-translated

Achso… deshalb.


Ich sitze in meinem Unterrichtsraum und warte auf den nächsten Schüler, meine Tür ist angelehnt. Im Flur sitzen zwei Schüler,  4. oder 5. Klasse, und ich belausche unfreiwillig ihre Unterhaltung über den Ausgang der US-Wahl.

– „Schon komisch, dass der Kandidat mit weniger Stimmen trotzdem Präsident wird. Voll undemokratisch, oder?“

– „Das liegt am Wahlsystem in den USA. Der Präsident wird ja nicht direkt vom Volk gewählt, sondern von Elektroden.“

Das erklärt natürlich einiges.

Schülermund IX


Schülerin, 6. Klasse:

– Annika, warum kannst du eigentlich so schnell schwedisch sprechen?
– Oh, war ich zu schnell, soll ichs nochmal langsamer erklären?
– Nee, ich meine… du sprichst ja deutsch und da musst du ja jeden Satz erst mal auf deutsch denken und dann musst du alle Wörter übersetzen und dann musst du die Wörter wieder umstellen, weil… das ist doch bestimmt wie bei Englisch auch, dass man die Wörter irgendwie anders sortieren muss, oder? Und ich finde, das geht bei dir ganz schön schnell.

– Wenn ich wirklich jeden Satz erst einmal auf deutsch denken und dann übersetzen würde, würde das tatsächlich viel zu lange dauern. Stell dir vor, dir fliegt ein Ball entgegen… ich werfe ihr spontan einen Jonglierball zu, der aus methodischen Gründen immer auf meinem Klavier liegt und sie fängt ihn auf... dann denkst du auch nicht erst „Hand heben, Hand aufmachen, zugreifen“ – oder? Du fängst den Ball einfach, bevor du ihn auf die Nase bekommst.

Sie nickt nachdenklich.

– Genauso ist das, wenn ich schwedisch spreche. Ich reagiere auf einen Ball, der auf mich zufliegt und werfe ihn zurück. Oder anders: Ich übersetze nicht die ganze Zeit hin und her, sondern irgendwo in meinem Hirn ist eine Schublade mit allen deutschen Wörtern und eine andere mit allen schwedischen Wörtern. Und wenn ich schwedisch spreche, mache ich die deutsche Schublade gar nicht erst auf.

Was ich der Schülerin gegenüber nicht mehr ausgeführt habe, ist, dass manchmal sehr wohl beide Schubladen offen sind, z.B. wenn ich müde bin oder nach dem zweiten Glas Wein. Dann fallen z.B. so pseudodeutsche Sätze wie „Hängst du mit?“ von „Hänger du med?“ also „Verstehst du, was ich meine?“
Oder auch: „Ich hab so Trainingswerk vom Schwimmen, ich kann meine Arme nicht mehr lüften.“

träningsvärk – Muskelkater (wörtl.: Trainingsschmerzen)
att lyfta – (an)heben


Schülermund I, Schülermund II, Schülermund III, Schülermund IV, Schülermund V, Schülermund VI, Schülermund VII, Schülermund VIII