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Trinkwasser und Lotto-Gewinne


Seit wir in Schweden wohnen, findet man uns im Telefonbuch. In Deutschland hatten wir zwar auch einen Festnetzanschluss, unsere Telefonnummer war aber nicht öffentlich. Hier hat uns überhaupt keiner gefragt, ob wir eigentlich unsere Nummer veröffentlichen wollen und sogar mit einem Handyvertrag landet man bei eniro.

Grundsätzlich habe ich kein Problem damit, dass man meine Telefonnummer im Internet findet. Lediglich die gelegntlichen Callcenter-Anrufe nerven:
– Wir machen eine Umfrage zum Thema Zähneputzen. Benutzt Du eine elektrische Zahnbürste?
– Nej.
– Wusstest Du, dass 95% aller schwedischen Zahnärzte ihre Patienten elektrische Zahnbürsten empfehlen?
– Nej.
– Möchtest Du dann unser super-duper Angebot testen? Ein Abo bei dem Du monatlich für dich und Deine Familie elektrische-Zahnbürsten-Köpfe bekommst, und die Zahnbürste gibt es gratis dazu!
– Nehej.

Vor gut einem Monat bekam ich wieder so einen Anruf: „Wir machen eine Umfrage (nerv…) über Dein Trinkwasser (Aha?). Ich rufe an im Auftrag des livsmedelsverket (Amt für Lebensmittelsicherheit). Wir untersuchen zusammen mit Chalmers (technische Hochschule in Göteborg) und Ale kommun (die, in der wir wohnen) die Nutzung und Qualität Deines Leitungswassers.“ Oho! Ich wollte doch schon immer mal an einer Studie teilnehmen. Wir hatten uns schon bei der Landtagswahl im letzten Jahr gefreut als wir beim herausgehen einen Mann trafen, der für die Hochrechnungen des ZDF Wählerbefragungen durchführte. Leider aber für den Wahlkreis nebenan… Aber jetzt darf ich endlich auch mal!

Es folgte eine Reihe von Fragen, wie man sie von so einer Studie erwartet:
– Auf einer Skala von eins bis fünf, wie bewertest Du die Qualität deines Leitungswassers?
– Fünf.
– Wie viele Gläser Leitungswasser trinkst du pro Tag?
– Fünf.
– Wie gut, glaubst Du, ist Deine Kommune auf eine Verschmutzung des Trinkwassers eingestellt?
– Äääh, keine Ahnung? Auch fünf??
– Wurdest Du in der Vergangenheit gut über die Qualität Deines Trinkwassers informiert?
– Also in den sechs Monaten, die ich hier wohne, habe ich jetzt noch nichts gehört. Daher gehe ich doch mal davon aus, das alles in Ordnung ist?
…und so weiter, und so weiter. Bei so mancher Frage bezweifle ich, dass sich auch nur einer der Teilnehmer schon jemals über dieses „Problem“ Gedanken gemacht hat.

Das ganze Gespräch dauerte bestimmt 20 Minuten. Am Schluss wurde ich dann noch gefragt, ob ich an einer Langzeitstudie teilnehmen möchte. Einmal im Monat würde ich per SMS ein paar Fragen geschickt bekommen, die ich dann auf demselben Wege beantworten sollte. Ich habe natürlich zugesagt und vor zwei Wochen kam dann die erste SMS: Bitte zähle die Gläser Leitungswasser, die du in den nächsten 24 Stunden trinkst.

Am nächsten Tag sollte ich außerdem noch angegeben, ob ich in den letzten vier Wochen Magen- oder Darmprobleme hatte (nein). Als Antwort erhielt ich eine Danke-SMS mit der Info, dass mir in den nächsten Tagen ein Rubbellos zugeschickt wird.

Rubellose sind in Schweden sehr beliebt und scheinen die allgemeine Bezahlung für die Teilnahme an Umfragen zu sein – Annika hat auch schon einmal auf diesem Weg ein Los bekommen. Vor allem Triss ist weit verbreitet und wenn man der Werbung glaubent, MUSS man einfach bei jedem ordentlichen Fest Lose rubbeln (private Feldstudien bestätigen das). Weihnachten war das so, jetzt zu Ostern ist das so und zu midsommar wird das bestimmt auch so sein. Im Gegensatz zu klassischen Losen mit Nummer kann man nämlich beim Rubellos sofort sehen, ob man gewonnen hat. Wenn dreimal der gleiche Gewinnn freigerubbelt wird, dann darf man jubeln. So wie wir bei unserem TIA-Los, das heute in der Post war:

Morgen holen wir dann unsere Reichtümer ab…

ABIIIII!!!


Alle schriftlichen Prüfungen, die ich seit meinem Abitur absolviert habe, liefen eigentlich immer nach dem gleichen Schema ab: ich hatte monatelang vorher den Termin und das Thema und schob die Prüfungsvorbereitung je nach Prüfung bis zu drei Wochen oder drei Tage vor der Prüfung vor mir her, natürlich mit wöchentlich schwärzerem Gewissen. Dann folgte eine Phase der intensiven Vorbereitung, in der ich weitgehend auf Schlaf, Essen und soziale Kontakte verzichtete. Die Nacht vor der Prüfung war ich zwar meist so vernünftig nicht mehr zu lernen, geschlafen habe ich aber trotzdem wenig.

Am Prüfungsmorgen war mir dann vor Aufregung (und Schlafmangel) so schlecht, dass an Frühstück nicht zu denken war. Stattdessen hatte ich dann für die Prüfung Fresspakete, die für eine siebentägige Fjällwanderung ausgereicht  hätten.

Die vier- oder fünfstündige Prüfungszeit habe ich dann bis zur letzten Sekunde ausgenutzt um an meinen Texten zu feilen und ohne auch nur einen Bissen zu essen. Nach der Prüfung saß man dann mit den Kurskollegen zusammen und diskutierte über Fragestellung und ob 16 Seiten nicht doch ein bisschen wenig waren um die Geschichte der Schriftentwicklung in ihrer vollen Komplexität zu erörtern. Anschließend folgten einige Wochen des Wartens auf das Ergebnis, dessen Veröffentlichung nochmal fast genauso aufregend war wie die Prüfung selbst.

Die anschließenden Saufgelage, Autokorsos und das steinzeitliche Urgebrüll meiner Klassen- und Studienkameraden habe ich allerdings nie richtig nachvollziehen können, ich Spaßbremse…

Heute hatte ich meine nationale Prüfung in Svenska som andraspråk B. Die Prüfung ist die gleiche wie die, die schwedische Schüler am Ende ihrer Gymnasialzeit ablegen – unabhängig davon, ob ihre Muttersprache Schwedisch oder eine andere Sprache ist. Zwar gibt es unterschiedliche Kurse für Muttersprachler und Nichtmuttersprachler, die Prüfungsaufgaben und -anforderungen sind jedoch schlussendlich die gleichen und werden zentral vom Skolverket herausgegeben.

In dieser Prüfung ging es daher auch nicht mehr um Vokabel- oder Grammatikkenntnisse, sondern vor allem um die Fähigkeit, einen sinnvoll aufgebauten Text zu produzieren – also eine Fähigkeit, die meines Erachtens ziemlich unabhängig von der Frage Fremd- oder Muttersprache ist.

Aus organisatorischen Gründen (dazu demnächst mehr) musste ich meine Prüfung etwas vorziehen, denn der offizielle Prüfungstermin ist eigentlich erst im Mai. Dank des familiären Klimas und der wenigen Schüler an unserem kleinen Ale komvux (Erwachsenengymnasium) war das aber glücklicherweise kein Problem. Mein jetziger Schwedischlehrer hat mich von Anfang an als Kollegin betrachtet, die die gleiche Qualifikation hat, wie er selbst – nur eben in einer anderen Sprache.

Und was soll ich sagen… seit vier Wochen standen Termin und Oberthema meiner „Schwedisch-Abiturprüfung“ fest. Ich bekam ein 20seitiges Heft mit verschiedenen Texten zum Thema „Engagement und Einfluss“, das ich mir gestern Abend durchgelesen habe. Dann habe ich gut geschlafen, normal gefrühstückt und meinen achtseitigen Text über die Frage „Was beeinflusst unser Verhalten mehr: biologische Faktoren oder unsere Umwelt?“ nach zwei statt fünf (möglichen) Stunden abgegeben.

Eine halbe Stunde später erhielt ich per SMS das Ergebnis: „Guter Text und gute Note. Lass dir von Gunilla dein Zeugnis mit MVG ausdrucken. Viele Grüße, S.“

Damit habe ich in sieben Monaten drei Schwedischkurse durchgezogen und darf mit diesem Zeugnis z.B. ohne weitere Sprachprüfung an einer schwedischen Uni studieren.

Seitdem ich im Januar angefangen habe zu arbeiten, habe ich jedoch nicht mehr viel für den Kurs getan. Zuletzt ging es ohnehin nur noch um Literatur- und Sprachgeschichte und kaum noch um den Ausbau von Wortschatz oder Grammatik. Das fand ich persönlich etwas schade, weil Literatur“wissenschaft“ auf Grundkursniveau für mich – gelinde gesagt – sterbenslangweilig war. Umso schöner, dass die Prüfung so herrlich unkompliziert, erfreulich und vor allem: stressfrei! lief. Ganz ohne Mangelernährung und Schlafentzug.

Seit sechs Monaten in Schweden – I


Heute vor sechs Monaten, an einem Dienstag im August, sind wir in Schweden angekommen. Zeit also für einen kurzen Zwischenstand. Ausgehend von unseren Kategorien in der rechten Spalte werden wir die nächsten Tage ein wenig auf das letzte halbe Jahr zurückblicken.

Arbeta och studera – arbeiten und studieren:

Jonas:
Als Komponist habe ich fantastische Bedingungen an der Göteborger Musikhochschule. Meine Auftragskomposition für großes Orchester wird im April uraufgeführt und demnächst beim Sirén-Festival, bei dem drei Tage lang die ganze Hochschule im Dienste der Kompositionsklasse steht, stehen drei meiner Stücke auf dem Programm (mehr dazu). Die Chemie zwischen mir und meinen drei Hauptfachlehrern (Komposition, Komposition und Komposition) stimmt ebenfalls und mit meinen Kommilitonen komme ich immer mehr in Kontakt – ich bin ja nicht so oft in Göteborg und daher ergeben sich auch nicht so viele Möglichkeiten für Diskussionen mit den anderen Kompositionsstudenten der Hochschule.
Auch hier bei uns in der Kommune bin ich bereits als Komponist angekommen und erhielt von unserer Kommune Ale das Kulturstipendium 2011, was die Lokalpresse auch gebührend würdigte

Annika:

Die Dinge gehen vielleicht nicht immer gerade, aber immer irgendwie vorwärts...

Es hat zwar fünf Monate gedauert, aber im Januar hat es dann endlich mit einer Anstellung geklappt. Fünf Monate waren länger als erhofft, aber kürzer als befürchtet. So richtig fest im Sattel sitze ich zwar noch nicht, weil der Job nur teilzeit und befristet ist, aber dennoch fühlt es sich für den Moment gut an. Zumal sich allmählich zeigt, dass ich immer öfter zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werde und eine unbefristete Festanstellung in einer Position, in der ich mich weder über- noch unterfordert fühle, nicht völlig außer Reichweite ist. Also alles im gelben Bereich mit Tendenz ins Grüne.
Außerdem profitiere ich von den zahllosen kostenlosen Weiterbildungsangeboten hier in Schweden. So viele Sprachkurse und eine Weiterbildung im Projektmanagement hätte ich mir in Deutschland nicht leisten können.


„Mit Gefühl für Töne“


… so lautet die Schlagzeile, unter der diese Woche ein halbseitiger Artikel über Jonas in der hiesigen Lokalzeitung Alekuriren erschien. „Jonas, der aus einem kleinen Dorf mit Namen Sauerland in der Nähe von Winterberg stammt, hat die Musik schon im Kopf, wenn er sie aufschreibt und braucht dazu vor allem Stift und Papier.“

Ein Klick auf das Bild leitet zu einer lesbaren pdf-Version auf der Seite der Zeitung weiter.
Ein Klick auf das Bild leitet zu einer lesbaren pdf-Version auf der Seite der Zeitung weiter.

Weil er so ein hoffnungsvolles Talent ist, erhält Jonas das diesjährige Ale Kulturstipendium, das Anlass für diesen Artikel war. Dabei handelt es sich um ein Arbeitsstipendium, das jährlich an Kulturschaffende vergeben wird, die in der Kommune Ale wohnen. Erfreulicherweise geht es dabei auch durchaus um mehr als einen Zeitungsartikel und einen warmen Händedruck. Letzterer wird aber sicher auch noch bei der Verleihung im Rahmen eines Konzerts am 1. Dezember folgen.

Vielleicht hat den Artikel ja auch der nette Zeitgenosse gelesen, der uns kürzlich einen anonymen Brief, gekritzelt auf einen Notizzettel, in den Briefkasten geworfen hat. Leider finde ich den Zettel gerade nicht mehr, falls er noch auftaucht, werde ich ihn nachreichen. Sinngemäß lautete der Inhalt aber:

„Nichts gegen deinen Musikgeschmack, aber nachts um drei schlafen wir lieber. Der Nachbar.“

Völlig entgeistert und erschrocken, weil wir uns beim besten Willen nicht erklären können, was der Anlass für einen solchen Zettel gewesen sein sollte, haben wir uns gleich auf den Weg zu unseren Nachbarn in der anderen Hälfte des Doppelhauses gemacht um nachzufragen, was wir denn falsch gemacht haben sollen. Glücklicherweise waren die beiden Rentner aber gar nicht nicht die anonymen Absender, sondern meinten im Gegenteil, dass sie ja fast nie was von uns hörten. Ob uns denn das Kläffen ihres Hundes manchmal störe…? Also auf dieser Seite weiterhin gutes Wetter. Puh!

Wir sind ja trotz Komponist und Flügel in der Wohnung alles andere laute Zeitgenossen und achten darauf, wirklich nur zu sozial verträglichen Uhrzeiten Klavier zu spielen. Außerdem hört man bei geschlossenen Fenstern draußen quasi nichts davon; dass wir also jemand in einem anderen Haus gestört haben sollen, ist praktisch ausgeschlossen (mal ganz davon abgesehen, dass wir nachts um drei auch lieber schlafen).

Wir haben uns daher damit abgefunden, dass es für diesen Zettel vermutlich zwei Erklärungen gibt:
1. Der anonyme Nachbar hat nachts Lärm gehört, den er nicht richtig lokalisieren konnte und verdächtigt uns jetzt fälschlicherweise. Das wäre unschön.
2. Der anonyme Nachbar verdächtigt den/die Richtigen, hat aber den Brief versehentlich in den falschen Briefkasten geworfen. Das wäre uns lieber.
Ob wir es wohl jemals erfahren werden…? Ich fürchte fast, dass nicht. Aber gut zu wissen, wie man hier so in der Nachbarschaft kommuniziert…

Wir haben diesen Schreck jedenfalls gleich mal zum Anlass genommen, unseren Garten mal wieder zu pflegen, d.h. Laub zu harken, den Weg zu fegen und ein letztes Mal im Herbst (ja, leider immer noch) zu mähen. Und prompt kam unsere zweitnächste Nachbarin, alleinerziehende Mutter zweier Kinder, vorbei und sagte mit sehnsüchtigem Blick: „Ohje, wenn ich euren gepflegten Garten so sehe, krieg ich gleich ein schlechtes Gewissen.“ Ich habe mich selten so über ein Kompliment gefreut, denn zumindest scheint unser Garten, die schwedische Visitenkarte, schonmal keinen Anlass zu übler Nachrede zu bieten.

Und vielleicht entwickelt der anonyme Nachbar ja auch noch ein Gefühl für Töne – ich spiele gerade sehr gerne schwedische Weihnachtslieder, während draußen ein laues Frühlingslüftchen weht…

Risveden


Man könnte es einen Tick nennen, aber wenn ich draußen bin, habe ich immer das Bedürfnis, irgendwo hinaufzugehen. – Warum? Um runterzuschauen natürlich, was für eine Frage…

Weil die Zeit, in der die Sonne im Moment theoretisch scheinen könnte, doch ziemlich kurz ist, sodass der klassische Nachmittagsspaziergang diesbezüglich eine eher sinnfreie Angelegenheit ist, haben wir uns heute gleich nach dem Frühstück auf die Socken gemacht. Nur ein paar Kilometer hinter Skepplanda beginnt das Naturreservat Risveden, das uns schon länger gelockt hat. Das Risveden als solches gibt es aber eigentlich gar nicht, denn Risveden besteht aus vielen kleinen Naturreservaten. Eine wunderschöne Gegend und wir waren bestimmt nicht das letzte mal dort.

Schon die Anfahrt war spannend: der längste Teil war das, was ich gerne als „dreidimensional kurvig“ bezeichne. Und die Schneestangen, die inzwischen überall an den Straßenrändern stehen, machen Hoffnung auf den Winter – ich meine, Jonas ist ja nicht gerade der Kleinste…

Die Sonne kommt inzwischen auch mittags kaum noch richtig hoch und gegen halb fünf ist es dann auch stockfinster. Das führt dazu, dass man irgendwie den ganzen Tag lang – also dann, wenn es hell ist – das Gefühl hat, dass gerade Sonnenuntergang ist. Und das führt dann schonmal zu wundervollen Lichteffekten…
Leider lässt der echte Winter noch auf sich warten, es ist wohl der wärmste November seit einigen Jahrzehnten. Unsere Winterjacken ruhen auch noch im „Sommerschlaf“. Hach, was freu ich mich auf den ersten Schnee…

Jonas ist 1,85m - aber wie hoch wird der Schnee im Winter wohl liegen...?
Auf solchen Wegen könnte ich stundenlang wandern... Und das beste: es geht bergauf...!
Die Sonne kommt kaum noch bis zum Waldboden.
Geschafft! Der höchste Punkt (184 müM) in unserer Kommun!
Schöne Aussicht!
Das abendliche Licht täuscht, es ist ein Uhr mittags.
Gegen zwei Uhr: Nachmittagslicht
Halb drei: Abendstimmung am Kroksjön

Von Imkern, Abstinenzlern und Sindibads Frauen – Vereinsleben in Ale


Nein, das sind nicht unsere Mülltonnen! Der 5. Briefkasten von links ist unserer...

In unserem Brevlåda – also dem echten, offline – landen immer wieder ein paar unterhaltsame, schöne, spannende, nützliche oder auch völlig unnütze Dinge. Zu den nützlichen Dingen gehören Briefe wie z.B. der von der Telia, dass wir ab heute einen Festnetzanschluss und superschnelles und stabiles Internet haben. Spannender ist es aber, wenn Post von irgendwelchen Kreditupplysningsfirmen (wörtl.: Kreditbeleuchtung) kommt, weil mal wieder jemand unsere Kreditwürdigkeit überprüft hat, denn dadurch erfahren wir dann auch mal selbst, was diese Firmen eigentlich über uns wissen. (Ich habe keine Ahnung, welche Daten die Schufa in Deutschland über mich gespeichert hat.) Zu den schönen Dingen gehören Geburtstags- und Carepakete aus Deutschland mit Eszet-Schnitten. Zu den unnützen gehören die Werbezeitungen von den umliegenden Bau- und Supermärkten, die wir hier kiloweise kriegen. Und zu den unterhaltsamen Dingen gehören die Gemeindeinformationen wie z.B. der Alekurir oder der aktuelle Auszug aus dem Vereinsregister.

Nicht, dass es das Vereinsregister nicht auch online gäbe und die Schweden nicht ohnehin viel sparsamer wären, was Snailmail angeht, wenn man etwas auch per Email erledigen kann; aber das Vereinsregister scheint etwas wirklich Wichtiges zu sein. Als achtseitige Hochglanzbroschüre im Vierfarbdruck kommt dieser Fritidsguide (Freizeitguide) daher. Im Vorwort bezeichnet man Schweden stolz als das Land der Vereine, danach folgen über 200 Vereine samt Kontaktadressen. Nutzerfreundlich alphabetisch nach Themen sortiert, findet man unter der Rubrik Sport die Klassiker Fußball, Basketball, Handball, Karate, Reiten, Golf, Schach, Armbrustschießen, Innebandy und noch einiges mehr. Das Fischen ist eine eigene Rubrik und listet unter anderem Sportfischer, Fliegenfischer, Fischzüchter und Lachsfischer auf. Wenn man dann vom Angeln in der Kälte Rheuma bekommt oder erst gar keinen Fisch isst, weil man allergisch ist, so bieten sich der örtliche Rheumatiker- oder Allergikerclub an. Vielleicht bewahrt einen das Angeln ja aber auch vor einer Mitgliedschaft im Herz-Lungenkranken- oder dem Diabetikerverein. Und möglicherweise befruchten sich die Anglervereine und die drei Nachtwanderclubs gegenseitig in ihrer Arbeit, weil nachts die Fische besser beißen.

Nach der Rubrik Idrott (Sport) folgt Kultur. Auch hier gibt es Bekanntes wie Theatergruppe, Bibliotheksfreunde und Heimat- und Gesangsverein, aber auch Ahnenforscher, diverse Volkstanzgruppen, einen Patchwork- und Quiltclub, das Blasorchester „Lärm“ (ob das die Jugendabteilung des Vereins der Hörgeschädigten ist?) und einen nicht weiter definierten Club namens „Surte Swingers“ (Surte ist ein Ort hier in der Nähe).

Weiter gehts im Alphabet, wir sind inzwischen bei N wie Nykterhetsföreningar („Nüchternheitsvereine“) angelangt. Die Abstinenzbewegung scheint hier noch sehr aktiv zu sein, wenn die Nykterhetsföreningar sogar eine eigene Rubrik bekommen. Puuuh… schnell weiter…

P wie Pensionärsföreningar, Rentnerclubs also. Wenn jeder Mensch nur in einem Club Mitglied sein dürfte, dann gäbe es in Ale mehr Rentner als Nüchterne, aber wahrscheinlich gibts da eine ziemlich große Schnittmenge. Keine Schnittmenge dürfte es hingegen zwischen Rentnern und dem einzigen politischen Verein, dem Christdemokratischen Jugendclub geben. Wie? Nur ein politischer Verein? Vielleicht werden die politischen Ortsvereine hier nicht im Vereinsregister geführt, anders kann ich mir das nicht erklären.

Vorletzte Rubrik: Religiöse Vereine. Hier findet man jede Menge freikirchliche und/oder Erweckungsgemeinden (wir erinnern uns an die Abstinenzler…), Bibelkreise und einen religiösen Studienverbund (was auch immer das sein mag), aber auch einen Islamisch-bosniakischen Verein.

Der letzte Buchstabe im schwedischen Alphabet ist Ö wie Övriga föreningar. Hier wird’s nochmal bunt: Jagdpfleger, Modellbauflieger, Schäferhundzüchter, Pfadfinder, Raketenbauer, Hundesportler und Imker sind ebenso vertreten wie das Frauenhaus, Heimwerker, Jugoslaven, Hobbyweber, Fotografen, Bootseigner, Rotes Kreuz, Naturschützer und „Sindibads Frauen“. Fragt mich nicht, was die machen. Ich kann mir unter diesem Namen ja viel vorstellen, aber nichts davon will so richtig in mein Bild von der schwedischen Gesellschaft passen…

Und wo passen wir dazu? Letzten Sonntag haben wir uns eine der Volkstanzgruppen angeschaut, weil mich das interessiert hat. Hatte aber eher was von Seniorentanztee und obwohl alle furchtbar nett zu uns waren, gehen wir da wohl nicht wieder hin. Was wir im Vereinsregister unserer Kommune wirklich vermissen, ist ein ordentlicher Kammerchor, der etwas anderes als Gottesdienste oder Gospel/Pop macht, aber das ist eine andere Geschichte.

Ulkig ist übrigens das Titelblatt des Ale fritidsguide: eine der wenigen Tätigkeiten, die man in Schweden ja wirklich gut ohne Vereinszugehörigkeit ausüben kann, ist, an den nächsten See zu gehen und die Seele baumeln zu lassen. Und was zeigt die Titelseite…?

Sfi – Svenska för invandrare


Als Einwanderer in Deutschland kann man ziemlich viel Geld für Sprachkurse lassen, wenn man ihn bei einer privaten Sprachschule macht. (Das meiste Geld dabei verdient die Sprachschule, nicht der Sprachlehrer, denn der wird üblicherweise nur auf Honorarbasis bezahlt und das Einstiegsniveau liegt bei 11-12€/45 min für jemanden der sein Fach studiert hat und frisch von der Uni kommt.) Wenn man nicht gerade mit einem dicken Geldbeutel gesegnet ist und sich Einzel- oder Kleingruppenunterricht leisten kann, sitzen in diesem Sprachkurs Menschen mit riesigen Bildungsunterschieden nebeneinander. Die iranische Ärztin neben dem kasachischen Gebrauchtwagenhändler, der chinesische Ingenieur neben der chilenischen Reinigungskraft, der Arabisch-Englisch-Dolmetscher neben dem Flüchtling aus Somalia, der gerade den Alfabetisierungskurs abgeschlossen hat. Die Aufzählung mag klischeehaft klingen, habe ich aber tatsächlich mal so in einem Sprachkurs gehabt. Und weitere 19 Schüler.

Sfi-Schema (Quelle: skolverket.se)

Der schwedische Staat verpflichtet seine Kommunen, jedem Einwanderer kostenlosen Sprachunterricht, sogenannte Sfi-Kurse zu gewähren. Dabei gibt es drei Schienen (Sfi 1/2/3), die das Lernvermögen nach Grad des Schulabschlusses der Schüler berücksichtigen. Sfi 1 ist für Menschen mit wenig bis gar keiner Schulbildung und Analphabeten, Sfi 3 für Menschen mit 12 oder mehr Jahren Schulbildung. Jede Kursschiene ist wiederum in zwei Teilkurse aufgeteilt, jeweils in einen Anfänger- und einen Fortgeschrittenenkurs. Aber auch, wenn man als Analphabet mit Kurs A anfängt, darf man bis Kurs D weiterlernen, dauert dann eben länger, aber das ist den Schweden egal.

Für Sfi kann man sich anmelden, sobald man eine Personnummer hat. Also war ich gleich noch letzten Freitag bei Komvux, so heißt hier in Ale die kommunale Einrichtung für Erwachsenenbildung. Weil gerade Semesterstart ist, war am Montag direkt die Info-Veranstaltung dazu. Zusammen mit etwa 25 anderen Menschen, die überwiegend aus Asien und arabischen Ländern stammten, soweit ich das von Aussehen und Namen her beurteilen konnte, ließ ich mich also von Anna, der Schwedischlehrerin belehren, dass ich Wörterbuch, Stift und Papier im Kurs brauche und erhielt mein Kursbuch. Die letzte Lektion darin behandelte die Wochentage. Ich sah mich schon im falschen Film, weil ich doch schon eine Weile über dieses Stadium raus bin, da beendete Anna die Veranstaltung auch schon wieder, bat aber mich und fünf andere, noch zu bleiben. Bei uns war sie sich nicht sicher, ob wir in diesem Kurs richtig seien. Sie fragte dann jeden von uns, ob und wo wir schon Schwedisch gelernt hatten und nachdem ich dann meine Schwedischbiografie aufgesagt hatte, schaute sie mich bestürzt an und meinte, ich dürfe gar nicht an Sfi teilnehmen. Mir sank das Herz in die Hose – kein Schwedischkurs? Dann bat sie mich, mich etwas abseits zu setzen und einen ausformulierten Lebenslauf zu schreiben, während sie die anderen Fälle durchging. Als die anderen dann alle schon weg waren, las sie sich mein Geschreibsel durch und schüttelte den Kopf: „Kein Sfi… du gehst direkt in Schwedisch als Zweitsprache.“

Svenska som andraspråk – Schwedisch als Zweitsprache

Svenska som andraspråk (SAS) besteht aus drei Stufen (Grund, A und B) und soll drei Jahre dauern, wobei eine bestandene Prüfung in SAS Grund dem schwedischen Grundschulabschluss nach der 9. Klasse entspricht und SAS B gleichbedeutend mit der schwedischen Abiturprüfung oder TISUS ist. Grund und B werden jeweils mit einer nationalen Zentralprüfung abgeschlossen. Ich war ein bisschen stolz, direkt so hoch eingestuft zu werden, gleichzeitig heißt es aber auch, dass ich weniger Unterricht bekomme und mehr zuhause machen muss. Wie es aussieht, habe ich zweimal die Woche 100 Minuten Unterricht und es werden zusätzlich 2-3 Stunden tägliches Selbststudium vorausgesetzt. Und wenn man ganz besonders fleißig ist, darf man die Prüfung für Grund auch schon nach einem halben Jahr machen, also im Februar. Dann muss man sich allerdings die Inhalte des zweiten Halbjahres selbstständig aneignen. Ist ja klar, was jetzt mein Ziel ist…

Ein schönes Fleckchen zum Lesen...
Ein schönes Fleckchen zum Lesen...

Im Kurs arbeiten wir natürlich an Grammatik und Wortschatz, aber wir werden auch mehrere Bücher lesen und vorstellen, die wir aus einer Liste auswählen dürfen. Ich war gestern gleich in der Bibliothek und habe meinen ersten schwedischen Henning Mankell auch schon halb durch. Wenn Annas Unterricht so ist, wie ihre Erwartungen, die sie uns schriftlich mitgegeben hat, dann wird das nächste halbe Jahr super. Und super anstrengend. Wir sollen natürlich ganz viel lesen, aber auch viel fernsehen und Radio hören. Damit kann ich leben… Deswegen habe ich auch den gestrigen Nachmittag in der Sonne am Göta Älv gesessen und – gelesen.

Mein gestriger Besuch bei der Arbeitsvermittlung war auch ganz erfreulich. Noch kein Job, aber Perspektiven. Zumindest  war der Arbeitsvermittler einigermaßen entsetzt, als ich gesagt habe, zur Not würde ich auch Burger bei McDoof einpacken oder Briefe austragen. „Aber warum denn, du hast doch studiert! Da nimmst du doch anderen den Job weg, die wirklich nichts anderes machen können.“ Das find ich gut, das seh ich nämlich eigentlich auch so.

Zum Schluss: das Wetter.

...und ein anderes zum Reinspringen!

Als Einwanderer in Schweden hat man aber nicht nur Anrecht auf Sprachkurse, sondern auch die Möglichkeit, abends in einen schönen See zu springen. Auch wenn sich die Anzeichen des nahenden Herbstes langsam nicht mehr ignorieren lassen, machen wir davon nach wie vor Gebrauch. Tagsüber ist es zwar noch wunderbar warm, aber nachts wird es doch empfindlich kalt, deshalb ist unser See inzwischen auf 16°C abgekühlt. Egal, damit war er gestern Abend immer noch vier Grad wärmer als die Luft… :-)

Skepplanda und Umgebung


Die letzten Monate hatte ich zu viel Zeit zum Schreiben, aber es hat sich viel zu wenig ereignet, was bloggenswert gewesen wäre. Die vergangenen zwei Wochen war es gerade umgekehrt, eigentlich hätten wir jeden Tag einen Artikel loswerden können, hatten aber meistens kein Internet oder saßen dann doch lieber in der endlosen Abendsonne. Jetzt sind wir aber wieder in Karlsruhe und ich versuche mal, ein wenig aufzuarbeiten.

Chronologisch am Anfang unserer Reise stand ja unsere Wohnungssuche, die erfreulich kurz und unkompliziert verlief. Doch wo werden wir wir jetzt eigentlich genau wohnen?

Skepplanda

Skepplanda ist ein Dorf mit knapp 2000 Einwohnern und liegt in der Gemeinde Ale (Ale kommun), die wiederum zu großen Teilen im Tal des Göta älv liegt. Der Göta älv fließt vom südlichsten Zipfel des Vänerns Richtung Göteborg und zählt zu den wichtigsten Wasserstraßen Schwedens.
Der erste Laut in Skepplanda klingt, als würde man mit einer heißen Kartoffel im Mund geräuschintensiv ausatmen, den Rest kann man getrost deutsch aussprechen: Chepplanda. Skepp heißt übrigens Schiff, ein Hinweis auf frühere Einnahmequellen der Bewohner.

Skepplanda kyrka, um 1700 erbaut

In Skepplanda gibt es einen kleinen Supermarkt, eine Bibliothek, ein Schwimmbad, einen Kindergarten, ein Ärztehaus, einen Frisör, eine Pizzeria, eine Grundschule bis zur 6. Klasse (die schwedische Grundschule geht bis zur 9. Klasse, danach folgt ein dreijähriges Gymnasium, aber das ist ein anderes Thema), einen Tischtennisklub, der auch Fußball, Gymnastik und Handball anbietet, 4 (!) Fußballplätze, ein Gasthaus, ein Heimatmuseum (dazu bei Gelegenheit mehr) und eine Kirche.

Verkehr

Von Skepplanda aus sind es nur etwa fünf Kilometer nach Älvängen. Älvängen ist nicht schön, aber praktisch. Dort gibt es alles, was man so im Alltag braucht: einen Baumarkt, einen größeren Supermarkt, einen Optiker, einen Second-Hand-Laden, ein Seilereimuseum (für die Schiffe!) usw. Und einen Bahnhof, der an der großen Bahnlinie Göteborg – Trollhättan liegt, die gerade zweispurig ausgebaut wird und ab September freigegeben werden soll. Von dort ist man mit der Bahn in jeweils 23 Minuten entweder in Göteborg oder in Trollhättan. Außerdem liegt Älvängen an der E45, der Autobahn Göteborg-Trollhättan, die aber im Moment zumindest in Richtung Göteborg eine einzige Baustelle ist. Wenn die irgendwann fertig ist, sind es mit dem Auto rund 40 Minuten bis GTBG Zentrum.
Für uns heißt das, dass wir verkehrstechnisch zwar prima angebunden sind, aber trotzdem nicht direkt an der Autobahn und der großen Bahnlinie wohnen, sondern ziemlich ruhig in unserem „Käffchen“. Im Übrigen erschließt sich mir dadurch nahezu der komplette Arbeitsmarkt zwischen Göteborg und Trollhättan.

Auf dem Weg nach Göteborg passiert man den Doppelort Nödinge-Nol, mit rund 8000 Menschen der Hauptort der Kommune Ale, denn einen Ort Ale gibt es nicht. Dort gibt es dann ein riesiges Einkaufszentrum auf der grünen Wiese, ein Gymnasium mit Musikprofil (was in Schweden wohl eher selten ist), eine Musikschule, eine Volkshochschule, ein Wikingermuseum (Abnehmer der Schiffe und Seile) und bestimmt noch mehr, von dem wir später mal berichten werden.

Freizeit

Nur 10 Autominuten von unserem Haus entfernt ist der nächste See. Muss ich noch genauer werden…?

Was man sonst noch wissen sollte

– Berühmte Personen aus Skepplanda sind laut der schwedischen Wiki ein Fußball- und ein Handballspieler. Naja, bei vier Fußballplätzen…
– Alexander Samuelson
, der Mann, der der Coca-Cola-Flasche ihre Form gab, erlernte sein Handwerk in der Glasfabrik in Surte, das ebenfalls zur Ale kommun zählt.
– Das Gymnasium Ale war eine Zeitlang überregional dafür bekannt, dass es einen Schulvorstand mit Schülermehrheit (Lokal styrelse med elevmajoritet) hatte. 2007 setzte die bürgerliche Regierung das Projekt aber ab.