Nachdem mich ja mein Ex vor kurzem verlassen hat, tändle ich mit seit einer Weile wieder mit einem Neuen. Zuerst ein paar vorsichtige Emails, dann das erste Blind Date. Dann das Warten auf seinen Anruf. Der dann auch kam – am Abend, bevor ich nach Deutschland geflogen bin. Na toll… ob ich ihn wohl noch eine Woche hinhalten konnte? Würde er das mit sich machen lassen…? Ja, er wartete auf mich, aber er hatte noch eine andere, die ihm auch ganz gut gefiel und bevor er sich für eine von uns entscheiden könne, wolle er uns beide nochmal treffen. (Nicht so schön das, aber wenigstens war er ehrlich.)
Dann gestern unser zweites Date… Und die alles entscheidende Frage: Willst Du mit mir gehen? Ja. Nein. Vielleicht.
Er wolle mit seiner Familie drüber reden und eine Nacht drüber schlafen, sagte er, und sich dann heute melden. Meine Nacht hingegen war eher schlaflos. Ab acht Uhr hielt ich krampfhaft das Telefon in der einen, das Handy in der anderen Hand. Nicht mal aufs Klo wollte ich gehen. Als es sich dann nicht mehr vermeiden ließ, lagen beide Telefone auf der Klorollenhalterung.
Endlich klingelte es… mööörp, Fehlalarm – bloß irgendein Heini, der mir ein neues Telefonabo an die Backe quatschen wollte. Und damit blockierst Du meine Leitung, du Doofkopp?!
Um zwei hatte er sich immer noch nicht gemeldet und ich war in der Stimmung, mir die Decke über den Kopf zu ziehen und die nächsten Monate im Niemandsland zwischen Herbstdepression und Winterschlaf zu verbringen.
Um halb vier hatte das ungewisse Warten dann endlich ein Ende. Ich fasse den Inhalt des Gesprächs und meinen aktuellen Gemütszustand kurz zusammen:
Er ist übrigens Musiker und will, dass ich seinen Kindern Klavierunterricht gebe. Und ein bisschen Blockflötenunterricht. Und ein bisschen korrepetieren. Ein Orchester hat er auch, da soll ich auch ab und an dirigieren. Wenn ich will, darf ich seine Kinder auch für Musiktheorie begeistern. Oder sie beim Komponieren unterstützen. Oder einen Chor gründen. Oder, oder, oder… Gut, dass ich das alles mal in der Bräuteschule gelernt habe. Mein Neuer wirkt da sehr freizügig, was meine ehelichen Pflichten angeht.
Toll ist auch sein Wohnort: ganz in der Nähe von Jonas‘ Nebenfrau – die beiden sind sogar miteinander verwandt! – in einem Stadtteil, der wegen seiner Lage und seiner Einwohnerschaft liebevoll „Beverly Hills“ genannt wird. Damit steht jetzt definitiv wieder ein Umzug an, das hatten wir ja schon lange nicht mehr. Oder so.
Nächste Woche unterschreiben wir den Ehevertrag, die Hochzeit ist dann Anfang Januar. Bis dahin sollte sich mein Endorphinspiegel wieder normalisiert haben, sodass ich mich wie ein gesitteter Mensch aufführe und nicht unvermittelt aufspringe und qietschend durch die Gegend hopse.
Eigentlich hatte ich den Job als Kontrabasslehrer schon fast abgeschrieben, denn keine meiner Referenzen hatte mir von einem Anruf berichtet – und da sich die Musikschule schon sehr bald entscheiden wollte, war ich davon ausgegangen, dass man sich für einen anderen Kandidaten entschieden hatte.
Wie man doch falsch liegen kann! Gestern bekam ich den Anruf: die Musikschule möchte mich gerne einstellen. Zu 50 Prozent, mit Einzelunterricht, Orchester, Ensembles, Klassenmusizieren, Unterrichtsvorbereitung, Verwaltung, Konferenzen… Alles, was man als echter, angestellter Musikschullehrer so macht. (Leider werden in Deutschland die meisten Musikschullehrer nur noch mit Honorarverträgen angestellt. Geld gibt es dann nur für den tatsächlich gegebenen Unterricht, und wenn ein Schüler mal krank wird, bekommt man entsprechend weniger.) Nächsten Mittwoch werde ich wieder hinfahren, dann muss ich die genauen Anstellungsbedingungen aushandeln und bekomme eine Masse neuer Informationen, wie dann mein Alltag als Musikschullehrer ab dem 18. August aussehen wird. Ich freue mich auf jeden Fall riesig!
Kurz nachdem Annika wusste, dass sie den neuen Job bekommen würde, entdeckte ich eine spannende Anzeige auf der Seite der arbetsförmedlingen: Die dortige Kulturschule suchte zum neuen Schuljahr einen Kontrabasslehrer, Teilzeit und tillsvidare (unbefristet). Zum Glück darf man in Schweden gleichzeitig arbeiten und studieren, was in Deutschland meines Wissens nur eingeschränkt möglich ist, so dass ich mich bedenkenlos bewerben konnte. Als ich einige Tage später bei der Kulturschule anrief, um zu fragen, wie weit denn die Auswahl schon gediehen sei, bekam ich meinen Termin für das Bewerbungsgespräch gleich per Telefon durchgegeben. Zusätzlich sollte noch eine kleine Probeprobe mit einem Ensemble der Schule stattfinden. Meine Freude war natürlich groß, denn zum einen vermisse ich das Kontrabassspiel, zum anderen aber auch, überhaupt unterrichten zu können. Außerdem fände ich es schön, nach dem Studium nicht in das große „Und-was-mache-ich-jetzt?“-Loch zu fallen, sondern zumindest teilweise zu wissen, wie es weitergeht.
Erst einige Wochen später, nachdem ich mir schon Sorgen gemacht hatte, ob ich mich denn jetzt wirklich vorstellen dürfte, bekam ich endlich auch die schriftliche Einladung inklusive der Noten für die Probe.
Gestern war es dann soweit. Das Vorstellungsgespräch verlief ziemlich genau so, wie ich es mir ausgemalt hatte: Eine ziemlich große Kommission – sechs Menschen in unterschiedlichen Funktionen – saß mit mir an einem runden Tisch. Wir redeten über alles mögliche, freundlicher Smalltalk wurde mit jobrelevanten Fragen vermischt. Neben meinen Erfahrungen als Kontrabasslehrer ging es ebenso um mein Studium und Annikas Job; sogar unser VW-Bus wurde zum Thema, denn der Schulleiter träumt anscheinend schon lange von einem Wohnmobil. Als er mich dann fragte, was wir denn im Sommer damit vorhätten, fragte ihn die Geigenlehrerin: »Warum, willst du es dir ausleihen?« Angenehm fand ich übrigens, dass mir ohne Nachfrage mitgeteilt wurde, dass es insgesamt nur drei Bewerbungen auf die Stelle gab – alle Geigen- und Klavierlehrer dürfen jetzt gerne neidisch gucken.
Am Nachmittag war dann die Probe angesetzt: Zuerst stand Henry Mancinis Baby Elephant Walk aus dem Film Hatari! auf dem Programm, gespielt vom Streichorchester der Kulturschule, danach ein klassisches Streichquartett von Johann Georg Distler. Leider waren sie mit dem Zeitplan anscheinend schon ziemlich im Verzug, da man aber die Kinder trotzdem pünktlich wieder entlassen wollte, hatte ich sehr wenig Zeit und konnte keinen wirklich schönen Bogen schlagen. Insgesamt habe ich mich aber nicht ganz schlecht geschlagen, glaube ich.
Nächste Woche wollen sie mir Bescheid geben. Außer dem Kontrabassunterricht könnte ich auch noch andere Aufgaben übernehmen, zum Beispiel E-Bass, Orchester, Band, Vorstellung der Streichinstrumente in Grundschulen, vielleicht sogar etwas Kompositionsunterricht.
Das alles ist sehr spannend, aber jetzt heißt es vorerst Bangen und Hoffen. Andererseits muss ich mir aber auch sagen, dass das mein erstes „echtes“ Bewerbungsgespräch außerhalb einer Hochschule war und dass ich noch ein Jahr Zeit habe, um mich umzugucken und hier und da zu bewerben, bevor mein Studium zu Ende ist. Ich habe also nichts zu verlieren.
Heute vor sechs Monaten, an einem Dienstag im August, sind wir in Schweden angekommen. Zeit also für einen kurzen Zwischenstand. Ausgehend von unseren Kategorien in der rechten Spalte werden wir die nächsten Tage ein wenig auf das letzte halbe Jahr zurückblicken.
Arbeta och studera – arbeiten und studieren:
Jonas:
Als Komponist habe ich fantastische Bedingungen an der Göteborger Musikhochschule. Meine Auftragskomposition für großes Orchester wird im April uraufgeführt und demnächst beim Sirén-Festival, bei dem drei Tage lang die ganze Hochschule im Dienste der Kompositionsklasse steht, stehen drei meiner Stücke auf dem Programm (mehr dazu). Die Chemie zwischen mir und meinen drei Hauptfachlehrern (Komposition, Komposition und Komposition) stimmt ebenfalls und mit meinen Kommilitonen komme ich immer mehr in Kontakt – ich bin ja nicht so oft in Göteborg und daher ergeben sich auch nicht so viele Möglichkeiten für Diskussionen mit den anderen Kompositionsstudenten der Hochschule.
Auch hier bei uns in der Kommune bin ich bereits als Komponist angekommen und erhielt von unserer Kommune Ale das Kulturstipendium 2011, was die Lokalpresse auch gebührend würdigte…
Annika:
Die Dinge gehen vielleicht nicht immer gerade, aber immer irgendwie vorwärts...
Es hat zwar fünf Monate gedauert, aber im Januar hat es dann endlich mit einer Anstellung geklappt. Fünf Monate waren länger als erhofft, aber kürzer als befürchtet. So richtig fest im Sattel sitze ich zwar noch nicht, weil der Job nur teilzeit und befristet ist, aber dennoch fühlt es sich für den Moment gut an. Zumal sich allmählich zeigt, dass ich immer öfter zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werde und eine unbefristete Festanstellung in einer Position, in der ich mich weder über- noch unterfordert fühle, nicht völlig außer Reichweite ist. Also alles im gelben Bereich mit Tendenz ins Grüne.
Außerdem profitiere ich von den zahllosen kostenlosen Weiterbildungsangeboten hier in Schweden. So viele Sprachkurse und eine Weiterbildung im Projektmanagement hätte ich mir in Deutschland nicht leisten können.
Da ich am Freitag leider eine Absage von meinem erhofften neuen Arbeitgeber erhalten hatte, mussten wir dieses Wochenende unbedingt was Schönes machen.
Deshalb haben wir gestern eine befreundete deutsch-schwedische Familie besucht, die hier in der Nähe „im Wald“ wohnt. Eigentlich wollten wir gemeinsam Eisangeln gehen, aber da es doch ziemlich windig, kalt und ungemütlich war, gingen wir direkt wieder ins Haus, nachdem wir das Loch gebohrt hatten.
Wie tief das Eis wohl ist?
Männer bei der Arbeit
Jonas schafft den Durchbruch
„Uiii, ist das tief!“
Wir waren einigermaßen beruhigt, als wir sahen, dass das Eis an die 30cm dick war. Der Jüngste schien trotzdem ziemlich Angst davor zu haben, sich auf dem Eis aufzuhalten, was sein Vater mit den Worten „ist halt ein halber Deutscher“ kommentierte…
Heute, am Sonntag, konnten wir in der Sonne frühstücken, die jetzt bereits wieder zur (Sonntags-)Frühstückszeit in unsere Küche scheint. Das Thermometer auf der Außenfensterbank stieg dann auch rasch auf unrealistische +15° an – die tatsächliche Lufttemperatur dürfte jedoch tatsächlich im Plusbereich gewesen sein.
Bei diesen fantastischen Voraussetzungen mussten wir unbedingt an den Hultasjön, wo wir ja im Sommer immer baden gehen, und wo auch das Ferienhaus liegt, das Jonas Eltern an Weihnachten gemietet haben.
Mit dem Wissen, dass das Eis dick genug ist, noch dazu bei warmer Mittagssonne und Windstille war das heute ein echter Wintertraum – oder doch schon vårvinter (Frühlingswinter), die schwedische fünfte Jahreszeit?
Wir waren bestimmt zwei Stunden auf dem Eis und ich war danach auch ordentlich durchgeschwitzt, obwohl ich meine Winterjacke schon bald ausgezogen hatte. Warum? Seht selbst…
Zugegeben, meine besten Zeiten als Eisprinzessin habe ich wohl hinter mir, aber zu meiner Verteidigung muss ich auch sagen, dass die Schneedecke auf der Eisfläche ganz schön gewöhnungsbedürftig war und das Eis mit schönem Eishalleneis ungefähr so viel gemein hatte, wie eine Schotterstraße mit einer Bowlingbahn…
… und schön. Endlich ist er da, der Winter. Der richtige, echte, schöne Winter. Mit Temperaturen im zweistelligen Minusbereich und viel Sonne. Jetzt, Ende Januar, bekommen wir um die Mittagszeit schon wieder etwas Sonne durchs Küchenfenster. Während der acht dunkelsten Wochen schaffte es die Sonne den ganzen Tag nicht über den Hügel zu klettern, und wenn sie nachmittags endlich den Hügel umrundet hatte, stand das Nachbarhaus im Weg.
„Leider“ sehe ich die Mittagssonne in der Küche nicht so oft – und das „leider“ muss hier wirklich in dicken Anführungszeichen stehen – weil ich ja seit zwei Wochen wieder arbeite. Viermal die Woche fahre ich dafür nach Göteborg, ich habe jetzt drei Gymnasialklassen, in denen ich Deutsch unterrichte. Eine 10. und eine 11. Klasse und der dritte Kurs besteht aus genau einer Schülerin, die im Sommer mit der Schule fertig ist. Vieles ist noch sehr ungewohnt, zum Beispiel der allmorgenliche kritische Blick in den Spiegel, ob ich denn auch dem Dresscode der Schule entspreche. Ich vermisse auch ein bisschen das typische „Lehrerzimmerfeeling“, den Austausch mit und Kontakt zu Kollegen. Da die Schule ein Platzproblem hat, gibt es kein richtiges Lehrerzimmer und man hat keinen festen Arbeitsplatz. Es gibt zwar einige kleinere Arbeitsräume, die jeweils mit 4-6 Computern ausgestattet sind, aber die Fluktuation dort ist hoch und es ist selten, dass man den gleichen Kollegen wiedertrifft, bevor man nicht 20 andere „kennengelernt“ und den ersten längst wieder vergessen hat. Kennenlernen heißt in dem Fall: „Hallo, ich heiße x und unterrichte y. Und tschüss.“ Allerdings haben mir inzwischen ganz viele Lehrer aus unserem Chor bestätigt, dass das sehr untypisch für Schweden sei, diese Anonymität sei ja fast „kontinental“… Einzig meine Deutschlehrerkollegin kenne ich etwas besser, aber wir treffen uns meist auch nur, wenn wir uns vorher verabreden.
Mit Beginn des neuen Jahres hat sich bei mir so etwas wie ein „Ketchup-Effekt“ eingestellt: Lange ist gar nichts passiert, obwohl ich die Flasche von allen Seiten geklopft, geschüttelt und gequetscht habe und nun kam plötzlich alles mit einem dicken Schwall.
Weil ich im Dezember noch nicht wusste, wie lange ich noch arbeitslos sein würde, habe ich mich nicht nur für den nächsten (und letzten) Schwedischkurs bei Ale Komvux, unserem örtlichen Erwachsenengymnasium, angemeldet, sondern auch noch für einen Kurs in Gesellschaftskunde und eine Distanzweiterbildung als Projektmanagerin. Konnte ja nicht ahnen, dass ich in alle Kurse direkt reinkomme :-)
Den Politikkurs werde ich ohne viel Wesens wieder canceln, wenn es mir zuviel wird, aber die Projektmanagement-Ausbildung will ich auf jeden Fall durchziehen. Diese wird von Komvux Göteborg ausgerichtet und ist damit kostenlos. Man kann sowas auch bei privaten Instituten machen, dann reißt das aber sehr tiefe Löcher ins portmonnä. Ich mache diesen Kurs vor allem deshalb, weil in so vielen für mich interessanten Stellenanzeigen immer wieder stand, dass Kenntnisse in Projektmanagement von Vorteil seien. Außerdem möchte ich mein geisteswissenschaftlich-künstlerisches Studium noch mit etwas Bodenständigem ergänzen. Die Ausbildung ist größtenteils als Distanzausbildung angelegt, mit insgesamt achteinhalb Tagen Präsenzzeit, verteilt auf die kommenden fünf Monate. Dazwischen ackert man sich durch Finanzierungsstrategien, Kommunikationsmodelle und Risikobeurteilungen.
Nächsten Samstag habe ich ein Vorstellungsgespräch als Projektleiterin, rund 60km von hier entfernt. Nicht in Göteborg, sondern in die andere Himmelsrichtung. Ich hoffe sehr, dass das Wetter bis dahin so wunderbar kalt und sonnig bleibt, damit ich auch noch ein bisschen davon habe – zur Zeit sitze ich auch am Wochenende hauptsächlich an Unterrichtsvorbereitungen. Der Ort, in dem das Vorstellungsgespräch ist, ist nämlich ebenjener, wo Jonas im Sommer 2008 zum ersten Mal schwedischen Boden betreten hat (vom Umsteigen am Göteborger Bahnhof mal abgesehen) und zumindest das Projekt, Jonas für Schweden zu begeistern war auf jeden Fall ein sehr erfolgreiches…
Meine Güte ging das schnell! (Der Satz war jetzt bei Olaf geklaut:-)) Auch wenn es erst Donnerstag ist, ist, glaube ich, heute schon ein kleiner Überblick über die Woche fällig.
Montag:
Ich finde eine Jobannonce, die schon etwas veraltet scheint und frage an, ob sie noch aktuell ist. Die Antwort kommt zügig: man habe zwar schon einige Kandidaten, sei aber nicht richtig zufrieden, meine Bewerbung ist also noch välkommen. Ich schicke meine Bewerbung und am frühen Abend kommt ein Anruf: Bewerbungsgespräch am Dienstag? Jo, passt.
Dienstag:
Bewerbungsgespräch. Sehr neutral und kühl, nicht die Kuschelatmosphäre, die ich bisher in schwedischen Schulen kennengelernt habe. Ich habe zwar das Gefühl, alle Fragen „irgendwie ok“ pariert zu haben, aber angenehm ist anders. Es kamen keine Fangfragen, alles ausschließlich jobbezogen (und deshalb erwartbar), null Smalltalk. Zumindest bekomme ich das Feedback, dass meine Kleidung dem Dresscode der Schule angemessen ist. Um die Frage nach meinen Gehaltsvorstellungen winde ich mich herum.
Mittwoch:
Der nächste Schritt im Rekrutierungsverfahren sind zwei Online-Tests: Intelligenz und Persönlichkeit. Der Intelligenztest besteht aus 40 geometrischen Aufgaben von nebenstehendem Typ, für die ich 30 Minuten Zeit habe. Die ersten 20 Aufgaben fallen mir leicht, danach wird es schwieriger, am Schluss rate ich mich irgendwie durch.
Der Persönlichkeitstest ist ein klassischer Big-Five-Test und besteht aus 120 Sätzen, die ich auf einer Skala von 1 (stimme überhaupt nicht zu) bis 4 (stimme voll zu) bewerten soll: „Ich rede gerne vor größeren Gruppen.“ „Ich finde es wichtig, dass sich alle an gegebene Regeln zu halten.“ „Bei schwierigen Aufgaben gebe ich schnell auf.“
Offensichtlich besitze ich sowohl Intelligenz als auch Persönlichkeit (zumindest genug für solche Tests…), denn am frühen Abend kommt der Anruf der Schule: Die Tests habe ich bestanden und wenn ich will, kriege ich den Job – YEAH! Und erneut die Frage nach meinen Gehaltswünschen. Wieder laviere ich mich raus, ich will erst noch mit zwei Lehrerinnen aus dem Chor sprechen, die ich den Tag über nicht erreicht habe. Der weitere Abend vergeht mit Telefonaten und Lohnrecherche.
Donnerstag:
Ich bringe erst Jonas zum Flughafen, der übers Wochenende beim Neujahrskonzert der FES in Bonn spielt und fahre anschließend weiter zur Schule. Die erste Gehaltsverhandlung meines Lebens steht an. Ich weiß, was ich will, ich weiß wo meine Untergrenze ist. Als es dann soweit ist, sage ich eine Zahl, die wohl völlig unerwartet ist. Merke für die Zukunft: in Schweden verhandelt man bei Teilzeitstellen nicht das tatsächliche Gehalt, sondern das 100%-Niveau und rechnet dann entsprechend runter. Wir multiplizieren also schnell (und sehr „über den Daumen gepeilt“, was mir in der Aufregung nicht auffällt) meine Vorstellungen auf ein 100%-Niveau und landen mehrere 1000 SEK über dem, was man mir eigentlich zahlen möchte. Ich rechtfertige mich jedoch mit dafür vorher zurechtgelegten Argumenten (Studium, Berufserfahrung) und komme durch. Schon steht die Zahl im Vertrag. Als ich später in Ruhe nachrechne, merke ich, dass das Über-den-Daumen-Gerechne zwar zu meinen Ungunsten ausgefallen ist, dass mein Gehalt aber noch über dem liegt, was mir meine gewerkschaftlich informierte Chorgenossin als Richtwert genannt hat. Auch der Blick in die Lohnstatistik sagt mir, dass ich mich nicht unter Wert verkauft habe – wenn man mal davon absieht, dass es sich um eine 30%-Stelle handelt, die erstmal bis zu den Sommerferien befristet ist. Trotzdem bin ich sehr glücklich. Es ist ein Anfang und mein „Marktwert“ auf dem Arbeitsmarkt ist so allemal höher als vorher.
Wie sieht mein Arbeitsplatz jetzt also aus? Das private Gymnasium (d.h. Klasse 10-12), das zu einer der größten Bildungsfirmen Schwedens gehört, liegt in einem schicken Jugendstilgebäude in unmittelbarer Nachbarschaft zu Anwaltskanzleien, Architekturbüros und schicken Hotels, ein paar Gehminuten vom Bahnhof entfernt. Es hat eine deutlich sichtbare Ausrichtung auf… ich nenne es mal „Business“. Sichtbar insofern, als da für die Lehrer ein Dresscode gilt – für die Männer heißt das Anzug, für Frauen… keine Ahnung. Jeans jedenfalls nicht. Ich werde wohl das erste Monatsgehalt in neue Klamotten investieren müssen, kann ja jetzt nicht täglich zwischen meinem Konzert- und meinem Prüfungsoutfit wechseln…
Auch die Schüler wirken auf den ersten Blick wie… wart ihr schonmal an einem Sommertag in einem schicken Schärenort und habt gesehen, was da so von den Motoryachten runterkommt? Alternativ verweise ich auf einen ehemaligen deutschen Verteidigungsminister. Nur mit mehr Haargel.
Aber don’t judge a book by its cover. Immerhin gibt es Umkleideräume für die Lehrer und die Rektorin sagte frei heraus, dass sie natürlich noch keinen Hosenanzug trage, wenn sie mit dem Fahrrad zu Schule komme. So praktisch, die Schweden…
Ich werde zwei Deutschkurse übernehmen – einen montags und mittwochs, den anderen dienstags und donnerstags. Keine optimale Aufteilung für eine 30%-Stelle, aber was solls. Ich konnte heute schon mit der werdenden Mutter sprechen, die ich vertrete und das war ausgesprochen positiv. Morgen treffen wir uns nochmal länger und ich werde einen dicken Ordner mit Schüler- und Unterrichtsunterlagen erben. Das Wochenende ohne Jonas wird also nicht langweilig, denn am Montag ist schon mein erster Arbeitstag.
Das Schicksal meinte es diese Woche wirklich gut mit uns. Nicht nur, dass Jonas ein neuer (bezahlter!) Kompositionsauftrag aus Deutschland in Aussicht gestellt wurde, es kam für mich auch noch eine Einladung zu einem weiteren Vorstellungsgespräch im Februar. Ein Verein für Waldpädagogik sucht ab März einen hauptamtlichen Projektleiter, der Ferienlager und Waldtage für Schulen organisiert und betreut. Auch eine befristete Stelle, aber immerhin bis August 2013.
Falls dieser Verein mich tatsächlich auch wollen sollte, müsste ich mich entscheiden. In jedem Fall müsste ich shoppen gehen. Fragt sich nur: Fjällräven oder Lacoste (haben die überhaupt Frauensachen? – Keine Ahnung.), Fleecejacke oder Hosenanzug, Wander- oder Stöckelschuhe…
Aber noch ist ja nicht soweit. Aber nach so einer Woche darf man doch ein bisschen träumen, oder?
Heute hats den ganzen Nachmittag geschneit… und der Schnee bleibt liegen – juhuu!
Aber deswegen bin ich nicht hibbelig. Jedenfalls nicht primär. Sondern weil ich morgen mein erstes Vorstellungsgespräch habe. Ein privates Gymnasium in Göteborg sucht einen Deutschlehrer. Wenn das klappen sollte, dann dürfte es schnell gehen. Denn eigentlich wäre heute bereits der erste Arbeitstag gewesen. Leider hat ihnen bis jetzt keiner der Kandidaten so richtig zugesagt, schrieb mir die Rektorin, obwohl die Stelle fünf Wochen lang ausgeschrieben war. Irgendwie hatte ich die Stellenausschreibung bisher übersehen und heute ohne große Hoffnung angefragt, ob die Ausschreibung eigentlich noch aktuell sei. Und siehe da, zwei Stunden später kam ein Anruf und morgen gehe ich zum „Intervju“. Haltet mir die Daumen…
Gute zwei Monate sind wir jetzt hier und ich weiß, dass viele sich fragen, warum ich noch nie was über die Jobsuche geschrieben habe. Das hat mehrere Gründe: Zum einen gibt es einfach noch nichts zu erzählen, was ich unbedingt mit der Weltöffentlichkeit teilen müsste, zum anderen sehe ich es seit geraumer Zeit als wichtiges Lernziel für mich, Job und Freizeit zu trennen. (Und Brevlåda ist doch eher eine Freizeitbeschäftigung.)
Die ersten Wochen habe ich mich vor allem meinen Sprachkursen gewidmet und nur „nebenberuflich“ nach Jobs gesucht. Mit den schnellen Erfolgen im Schwedischen fühle ich mich aber seit kurzem wirklich fit für den Arbeitsmarkt und widme mich seither voll dem Schreiben von Bewerbungen.
Mithilfe eines Jobbcoaches (mehr dazu demnächst, das ist ein eigenes Kapitel) übe ich mich gerade darin, den richtigen schwedischen Stil in meinen Bewerbungen zu treffen. Meinen Lebenslauf fand meine Coacherin (Coachine? Coachesse? Couch?) inhaltlich spannend und formal hatte sie auch nichts dagegen einzuwenden. Viel lernen musste ich aber in Sachen Anschreiben. Während man sich in einem deutschen Bewerbungsschreiben ja schon anstrengen muss, zwischen den ganzen formalen Anforderungen noch eine persönliche Note einzuflechten – zumindest wenn man den meisten Ratgebern Glauben schenkt – fallen hier nahezu alle Formalitäten weg.
Das deutsche „Sehr geehrter Herr Duck, Ihre Anzeige vom 29. Februar im Entenhausener Kurier habe ich mit großem Interesse… quakquakquak…“ Höflichkeiten und edle Lügen… wird zu: „Hej! Ich heiße Donald und bin vor kurzem mit Daisy, meiner Verlobten, hierher gezogen. Ich liebe es, mit meinen Neffen angeln zu gehen…“
Und erst das Theater um das deutsche Bewerbungsfoto: Haare offen (wirkt kreativ!) oder hochgesteckt (für Führungspositionen und Banken), geschminkt (ein Muss bei Jobs mit Kundenkontakt) oder natürlich (wenn persönliche Bindungen im Job eine Rolle spielen), helle oder dunkle Kleidung (hängt von der Haarfarbe ab), usw. Und bitte unbedingt vom professionellen Fotografen! Als ich ihr ein solches Foto von mir zeigte, winkte sie gleich ab: bitte etwas persönlicher! Ob ich nicht eines habe, das mich in der Freizeit zeige? Nun ja die gibts, aber mich damit bewerben…? Also ein paar Fotos ausgegraben, die mal im Urlaub entstanden sind – vom Typ „lass mal ein paar Bilder von uns machen, meine Mutter möchte mal wieder welche fürs Regal“. Aber auch die waren ihr noch zu steif. Schließlich schickte ich ihr – fast schon aus Trotz – die ganz absurden: Annika beim Schlittenfahren, beim Ponyreiten, Arm in Arm mit einem Schneemann und mit Drei-Wochen-Lappland-Rucksack in voller Regenmontur. Die fand sie dann allesamt bewerbungstauglich…
Kein Bewerbungsfoto
Geeignetes Bewerbungsfoto
Geeignetes Bewerbungsfoto
In der Zwischenzeit habe ich Jonas genötigt, noch ein paar pseudo-entspannte Freizeitfotos von mir zu machen, weil es mir doch zu peinlich ist, mich mit einem Bild zu bewerben, das meine heiße Affäre mit einem Schneemann dokumentiert…
Meine Bewerbung beim DAAD hat doch noch Früchte getragen: Über das Nachrückverfahren wurden mir jetzt zwei Stellen als Sprachassistentin angeboten. Und zwar entweder in České Budějovice (Budweis in Südtschechien) oder in Košice (Kaschau, Ostslowakei). Klingt beides spannend, aber – mann, bin ich unflexibel – liegt leider in der falschen Himmelsrichtung. Und ach leider, mein Tschechisch ist ziemlich eingerostet und Slowakisch war in der Schule nie meine Stärke…
Spannenderweise ist das Sprechen der jeweiligen Landessprache für die Sprachassistenzen tatsächlich keine formale Voraussetzung, sondern allenfalls „vorteilhaft“, so der Ausschreibungstext des DAAD. Vor Ort arbeitet man ja hauptsächlich mit Studierenden, die deutsche Sprach-, Literatur- oder Kulturwissenschaft studieren. Aber trotzdem möchte ich nicht in einem Land leben, dessen Sprache ich so überhaupt nicht beherrsche, auch wenn ich dort einen Job hätte.
Apropos Job: kürzlich bekam ich eine positive Antwort auf eine Bewerbung, die ich im September an eine Schule in Luleå (etwa eine Dreiviertelstunde von Piteå) geschickt hatte. Damals wurde die Stelle zwar anderweitig vergeben, aber jetzt ist an dieser Schule wieder eine Stelle frei. Ironie des Schicksals: diese Mail kam just einen Tag, nachdem Jonas die Absagen aus Piteå und Stockholm bekommen hatte und Göteborg als Ziel endlich feststand. Nichtsdestotrotz ermutigt mich eine solche Zusage, selbst wenn sie buchstäblich „zur falschen Zeit am falschen Ort“ kam.