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Warum ich so komisch rede


In diesem Schuljahr werde ich einmal die Woche von meiner Musikschule an die Grundschule im zehn Kilometer entfernten Nachbarort – der Einfachheit halber nenne ich ihn jetzt mal „Bullerbü“ – ausgeliehen um dort Musik im Klassenverband zu unterrichten. Die knapp 80 Schüler der Klassenstufen 0 (Vorschule) bis 6 sind zum Teil in Doppeljahrgängen zusammengefasst, weil die Klassen in Bullerbü sonst zu klein wären. In meiner Doppelklasse 2-3 sind 16 Schüler.

Neulich sang ich mit den Kindern ein Hej!-Lied mit Begrüßungen in vielen verschiedenen Sprachen. Bei der anschließenden In-welchen-Sprachen-könnt-ihr-noch-Hej-sagen?-Runde kamen dann noch ein paar schwedische Dialekte zusammen.

– Emil: „Annika, du sprichst doch auch so nen Dialekt, weil… du bist ja nicht aus Bullerbü. Das weiß ich, weil du ja immer mit dem Auto kommst! Wo wohnst du denn?“

– Ich: „Ich wohne in Mariannelund aber mein Dialekt…“

– Emil: „Wo genau da?“

– Madita: „Ich weiß wo sie wohnt, ich hab sie nämlich mal beim Rasenmähen gesehen!“

– Emil (hartnäckig): „Ja und wo ist das jetzt?“

– Madita: „Direkt neben dem Haus von dem Freund von meiner Oma und der heißt Gunnar. Und Gunnar hat einen blauen Oldtimer! Uuuuhund…“

Alle starren gebannt auf Madita, jetzt kommt was ganz Großes…

– Madita: „Und der Freund von meiner Oma, also der Gunnar, der redet genauso komisch wie Annika. Die reden nämlich alle so in Mariannelund!“

Alle Kinder nicken verständnisvoll: die Frage, warum die Musiklehrerin so „komisch“ redet, wäre damit geklärt. Schließlich wohnt sie eine ganze schwedische Meile weit weg. Und Emils Frage „wo genau“ ist jetzt auch treffsicher beantwortet: neben Gunnar mit dem blauen Oldtimer.

(Ja, Gunnar mit dem blauen Oldtimer ist mein Nachbar und nein, Gunnar ist nicht aus Deutschland. Im Gegenteil – Gunnar gehört hier im Ort zum Urgestein und spricht sehr starken lokalen Dialekt. Dass mein Akzent genauso klingen soll wie sein Dialekt, kann ich mir zwar nur schwer vorstellen, aber ich verstehe das jetzt einfach mal als Kompliment.)

[Alle Personen- und Ortsnamen geändert.]

23. Dezember 2012 – Die Weihnachtsgeschichte auf älvdalisch


„Alle wissen ja, wie die Geschichte geht, mit Maria und Bethlehem und so und dass sie schwanger war und so weiter. Und dann hört man diese Worte und man versteht sie, obwohl man sie nicht wortwörtlich versteht. Das ist ein ziemlich krasses Gefühl.“

So beschreibt Lena Willemark die Reaktionen ihrer Zuhörer, wenn sie das Lukasevangelium auf älvdalisch liest, eine Sprache, die heute nur noch von etwa 3000 Menschen in Älvdalen in Norddalarna an der Grenze zu Norwegen gesprochen wird. Die meisten Linguisten sind sich inzwischen einig, dass diese Sprache mehr ist als ein unverständlicher schwedischer Bauerndialekt. Vielmehr vermutet man, dass sich diese Sprache parallel zu den Vorgängersprachen von Schwedisch und Norwegisch als eigenständiger Sprachzweig aus dem Altnordischen entwickelt hat, der sich aus nicht genau bekannten Gründen bis heute erhalten hat.

Dass Älvdalska mehr als ein Dialekt des Schwedischen ist, zeigt sich zum Beispiel in der Grammatik: schwedisch hat heute nur noch zwei Kasus, älvdalska hingegen vier: wargen (der Wolf) / wardjin (den Wolf) / wardjem (dem Wolf) / wardjemes (des Wolfes). (Hobbylinguisten dürfen sich jetzt über die mit dem deutschen verwandten Kasusendungen freuen.)

Auch in Sachen Aussprache hat Älvdalska einiges zu bieten: nasale Vokale, den ð-Laut (wie in engl. father), den ja auch das Isländische heute noch benutzt, und Triphtonge. Das ist sowas wie ein Diphthong, nur mit drei Buchstaben, z.B. uoev – Huf.

Obwohl die Sprache so alt ist, geht sie doch mit der Zeit und „verälvdalt“ neue Wörter wie z.B. webbsaiður oder tanjentbuärd (Tastatur, von schwed. tangentbord). Wer sich weiterbilden möchte, dem empfehle ich Skrievum dalska, eine zweisprachige Seite (älvdalisch/schwedisch) eines Hobbysprachforschers, die man sich auch komplett anhören kann.

Doch zurück zu Lena Willemark von Jul i folkton und dem Lukasevangelium. Ihr wisst ja, wie die Geschichte geht, mit Maria und Bethlehem und so…