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1500 Kronen für 3 Kronen…


Gut einen Monat zu spät hatten wir heute eine Benachrichtigung im Briefkasten, dass an der Tankstelle ein Einschreiben auf uns wartet…

Rückblick

Im Herbst 2016, genau 5 Jahre nach unserem Umzug nach Schweden und damit zum frühestmöglichen Zeitpunkt, hatten wir beim Migrationsverket, quasi dem schwedischen BAMF, einen Antrag auf schwedische Staatsbürgerschaft gestellt. Dafür mussten wir Einkommensnachweise der vorausgegangenen 5 Jahre sowie unseren deutschen Pass einsenden und 1500 Kronen Bearbeitungsgebühr zahlen.

Damals gab die Behörde die durchschnittliche Bearbeitungsdauer mit 2-6 Monaten an, und wir flaxten noch, dass das ja gerade so reichen müsste bis zur Wahl 2018…

Immer wenn wir jedoch gerade die maximale durchschnittliche Bearbeitungsdauer erreicht hatten, war die Homepage wieder aktualisiert und die Bearbeitungszeit um ein paar Monate nach oben korrigiert worden.

Wie bereits erwähnt, reichte es tatsächlich nicht mehr bis zur Parlamentswahl letzten Monat – das Wahlergebnis war auch dementsprechend… hmpf. Hätten wir da schon wählen dürfen, wäre das Ergebnis selbstverständlich gaaaanz anders ausgefallen.

Letzte Woche bekamen wir dann beide Post vom Migrationsverket und waren schon hocherfreut… aber leider wurden wir nur gebeten, weitere Einkommensnachweise für die zwei Jahre seit Antragstellung nachzureichen.

Doppelte Staatsbürgerschaft

Aber heute – 25 Monate nach Antragstellung – kamen dann zwei heißersehnte dicke Einschreiben, die unsere deutschen Pässe und das hier enthielten:

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Auf dokumentenechtem Papier mit Wasserzeichen und allem Pipapo: unsere Staatsbürgerschaftsurkunden

Unsere Staatsbürgerschaftsurkunde mit dem schwedischen Wappen mit den drei Kronen („Tre Kronor“) gedruckt auf säurefreiem Archivpapier mit Wasserzeichen!

Jetzt haben wir also offiziell die schwedische und die deutsche Staatsbürgerschaft und dürfen 2022 bei der nächsten Riksdagsval wählen – sofern nicht aufgrund der verfahrenen politischen Situation demnächst Neuwahlen ausgerufen werden. Aber das will man ja auch nicht hoffen, nutzt ja im Zweifel auch nur der falschen Partei.

Neben dem vollen Wahlrecht (für Gemeinderat und Bezirksparlament durften wir auch 2014 schon wählen) stehen uns jetzt auch Polizei und Militär als potentielle Arbeitgeber offen. Letzteres ist jetzt für uns eher so mittelinteressant.

Der bürokratische Marathon ist damit aber noch nicht zu Ende, denn natürlich müssen wir jetzt noch einen schwedischen Pass und/oder einen schwedischen Personalausweis beantragen.

Das macht man, indem man online bei der Polizei einen Termin bucht, bei dem Fingerabdrücke genommen und ein biometrisches Foto geschossen wird. Eigentlich ganz easy, das Ganze kostet nur 400 Kronen, nach einer Woche kann man den Pass auch schon abholen. Zu diesem Termin muss man ein gültiges Ausweisdokument mitbringen. Klar, doppelte Staatsbürgerschaft, wir haben ja noch unseren deutschen Pass oder Perso… denkste! Die Polizei akzeptiert nämlich nur bestimmte Ausweisdokumente, also z.B. einen schwedischen Pass, einen schwedischen Perso oder einen schwedischen Führerschein. Keine ausländischen Ausweisdokumente.

Schwedischen Pass beantragen? Kafka lässt grüßen

Alternativ akzeptiert man auch eine Identitätskarte für in Schweden lebende Nichtschweden des Finanzamtes, die aber nur das Finanzamt in Göteborg ausstellt. Das würde bedeuten, wir müssten uns beide mindestens einen halben Tag frei nehmen, um die 70 Kilometer nach Göteborg zu fahren, und jeweils 400 Kronen berappen, und das nur für eine ausweisähnliche Karte, die wir dann genau einmal anwenden würden, nämlich um einen schwedischen Perso zu beantragen. Ist so mitteltoll.

Eine andere Möglichkeit gibt es noch: eine andere Person kann die eigene Identität bezeugen. Toll!, das macht die Sache doch irgendwie einfacher. Diese Person muss lediglich einen schwedischen Pass besitzen und kann sein: Ehepartner, eingetragener Lebenspartner, unverheirateter Lebenspartner im selben Haushalt, Eltern, Erziehungsberechtigte, Großeltern, volljährige Geschwister oder volljährige Kinder. Nicht toll, denn nichts davon haben wir, und wir können auch nicht gegenseitig unsere Identität bezeugen, weil wir ja beide noch keinen schwedischen Pass haben.

Doch die Liste der vertrauenswürdigen Personen geht noch weiter. Wenn man also keine leiblichen Verwandten mit schwedischem Pass hat, kann man auch noch mit Pflegeeltern (hamwanich), einem gesetzlichen Vormund (hamwaauchnich) und… aaaaah, endlich! … seinem Arbeitgeber dort vortanzen. Jetzt müssen Jonas und ich also unseren Chef überreden, bevor der im Dezember in den Ruhestand geht, mit uns zur Polizei zu gehen und kraft seines Amtes in altväterlicher Manier unsere Identität bezeugen. Denn das Chef-Angestellten-Verhältnis muss mindestens seit einem Jahr bestehen und wenn wir im Januar eine neue Chefin kriegen, müssten wir dann zur Chef-Chefin rennen und das wäre dann die Boråser Kulturchefin und das fühlt sich dann doch irgendwie an wie auf Spatzen mit Kanonen schießen…

Drei Eritreer mit dem Kontrabass


Jeden Montag und Freitag steht bei mir kulår („Lustigjahr“) auf dem Stundenplan. Dann fahre ich in eine oder mehrere Schulen irgendwo im Landkreis und stelle den Erstklässlern Geige und Kontrabass vor. Dreißig bis vierzig Minuten habe ich pro Klasse und Woche, nach vier Wochen geht es an eine andere Schule und mein Drehbuch beginnt von vorne.

Wenn man nur zwei Kinderbässe mitnehmen kann und in einer Stunde zwanzig oder noch mehr Sechsjährige diese ausprobieren sollen, ohne dass die Wartenden völlig durchdrehen, muss man das Ganze generalstabsmäßig planen. Mein bewährtes Konzept beruht auf einer einfachen Bassstimme zum überaus passenden Klassiker Drei Chinesen mit dem Kontrabass. Dabei lernen die Kinder gleich noch etwas Deutsch (und über die sprachliche Nähe zwischen Deutsch und Schwedisch) und außerdem bietet das Lied genug Variationsmöglichkeiten, um den kleinen Sängern etwas Abwechslung zu bieten. Manchmal tausche ich die Vokale aus, manchmal lasse ich die Kinder aber auch neue Länder aussuchen, aus denen die drei Bassisten kommen.
Und das ist ein sehr spannendes soziales Experiment:

An einer Schule in einem der einwandererreichen Viertel von Borås wählen Hassan, Tarek und Bashira ausschließlich ihr Hemland (Herkunftsland oder Herkunftsland der Eltern). Typische Antworten sind hier Syrien, Pakistan, der Kosovo oder Somalia.
In den eher homogen schwedischen Wohngebieten fallen die Länderwünsche anders aus: Hier erfährt man einiges über die Urlaubsvorlieben der Eltern von Oscar, Ebba und Lina und plötzlich singt man über drei Australier, Zyprioten, Thailänder oder Hawaiianer.

Interessant wurde es neulich in einer Dorfschule: Dort musste ich zunächst lernen, dass „der Kontinent“ sehr weit weg ist von Schweden – zumindest glaubten sowohl mein Musikkollege als auch die Klassenlehrerin, dass Korsika zu Italien gehört. Nachdem ich über weitere populäre Reiseziele aufgeklärt worden war, wollte ausgerechnet Fatih, das einzige Kind ohne schwedische Eltern, gerne von Kontrabass spielenden Schweden singen.