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Ein Tag auf Skiern


Bei schönstem Sonnenschein Langlaufen: Dazu hatten wir in unserer Zeit in Schweden leider noch nicht allzuoft Gelegenheit. Entweder lag kein Schnee, oder die Sonne schien nicht, oder es war kein Wochenende und wir hatten keine Zeit. Am letzten Samstag ergab sich endlich einmal die Gelegenheit, die wir für gleich zwei Runden auf unterschiedlichen Loipen nutzten – mit kleinem Zwischenstopp auf unserem Haussee.

In unserer Nähe gibt es diverse Loipen. Neben dem Skistadion von Borås, das auch bei Plusgraden noch künstlich beschneit wird und eher von ambitionierten Läufern genutzt wird, spuren viele Sportvereine kleinere Runden auf Golfplätzen, Feldern, Mooren und durch den Wald. Dort steht dann entweder eine Spardose oder ein Hinweis auf die Swish-Nummer (ein Handy-Bezahldienst) des Vereins, wobei keine Gebühr verlangt, sondern nur um eine Spende gebeten wird.

Die erste Runde drehten wir auf dem Golfplatz von Bredared, danach auf einem nahegelegenen Moor. Hier hatten wir am Abend zuvor noch schnell nach der Arbeit getestet, ob unsere Ausrüstung funktioniert und jetzt wollten wir uns die Strecke noch einmal im Hellen ansehen, und hier durfte auch die Kamera mitfahren.

Die Strecke ging zunächst durch einen lichten Wald, bevor sich die Landschaft auf einem Moor öffnete. Es war, als ob man durch eine Postkarte lief, soooo schöööön! Danach ging es wieder durch den Wald zurück. Kurz bevor man wieder beim Einstiegspunkt war, kam man aber noch an einem kleinen „Erfrischungsstand“ vorbei, an dem Anwohner der Loipe selbstgebackene Kekse, Wasser und „Blåbärssoppa“ (angedickter, warmer Blaubeersaft, der bei keiner Langlauftour fehlen darf) anboten – gegen eine freiwillige Spende via Swish. Dazu hatten sie noch ein Korbsofa aufgestellt und das Futter ihrer Lamas nah an der Loipe ausgelegt.

Es läuten die Osterglocken


So langsam wirds hier was mit dem Frühling. Vor einer Woche entdeckten wir die ersten Blåsippor und Vitsippor (Leberblümchen und Buschwindröschen) und an den Birken deutet ein hellgrüner Schleier an, dass es nicht mehr allzulange dauern kann. Nur in unserem Garten, da ist alles braun, aber das ist eine andere Geschichte.

Leberblümchen und Buschwindröschen

Gestern am Feiertag wollten wir eigentlich einen größeren Ausflug machen, aber sowohl das Wetter als auch eine Spontanoperation am Mittwoch (ein komischer Leberfleck an meiner Fußsohle weilt nun nicht mehr unter mir) sprachen für einen Tag im Bett. Heute dann – für Schulkinder und Lehrer ein klämdag – weckten mich die Dämmerung und die Vögel um halb vier und ich konnte mich nur mit Mühe beherrschen, Jonas nicht sofort aus dem Bett zu schmeißen. Bis halb acht hab ich ihm gnädigerweise gegeben, dann konnte ich nicht mehr länger warten…

Etwa eine Autostunde südlich von hier, an den Grenzen des tiefen småländischen Waldes, wo meinen Kollegen zufolge nur noch Elche und deutsche Touristen leben, eröffnet sich am Ende einer geschotterten Stichstraße das Gehöft Fagerås. 1978 pflanzten die Bewohner hier die ersten Osterglocken und jedes Jahr kamen neue hinzu. Heute sind es etwa eine Million (Osterglocken, nicht Bewohner). Ich habe zwar keine Ahnung, wer das gezählt hat, auf jeden Fall sind es viele. Sehr viele. Da der Wetterbericht für den Nachmittag Wolken und Regen angekündigt hatte, wollten wir möglichst früh da sein und hatten so den Park die erste halbe Stunde fast für uns allein. Doch nach und nach füllte es sich und da wir beide ziemlich langsam unterwegs waren – ich humpelte an Krücken und Jonas robbte sich mit der Kamera vor der Nase bäuchlings durch das Blumenmeer – zog schon bald ein nicht abreißender Strom von Rollstühlen und Rollatoren an uns vorbei. Hätte ich nicht meine Krücken gehabt, wir hätten uns völlig fehl am Platz gefühlt. Das liebliche Zwitschern der Vögel wurde alsbald durch lautes Gackern und Schnattern fröhlicher Senioren übertönt. Trotz Busladungen aus nah und fern gönnten wir uns aber zum Abschluss dennoch ein Fika mit frischen Waffeln in der langsam hinter Wolken verschwindenden Sonne.

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Fazit: Fagerås zur Osterglockenzeit ist absolut einen Besuch wert und die Waffeln sind köstlich. Man muss nur zur richtigen Tageszeit da sein.

Auf der Weiterfahrt weckte dann ein kleines Schild unsere Aufmerksamkeit…

Weiterlesen: Schotterwege und Begegnungen

Fika-Wochenende


Seit einigen Wochen singen wir neben Göteborgs Vokalensemble noch in einem zweiten Chor, dem Nya MotettEnsemble. Der Chor ist etwas kleiner als GVE, das Repertoire etwas ambitionierter. Geprobt wird nicht regelmäßig, sondern projektbezogen und bei der jährlichen Mitgliederversammlung vor zwei Wochen erfuhren wir unter anderem, dass das Ensemble 2011 mehr Auftritte als Proben hatte. Keine schlechte Bilanz…

Dieses Wochenende waren wir mit dem Chor in Dalsland auf einem Chorwochenende. Ich glaube, ich habe noch nie ein so entspanntes Chorwochenende erlebt. Schon bei unserem Probenwochenende mit GVE im vergangenen Herbst war uns aufgefallen, dass ein Probenwochenende nicht unbedingt heißen muss, dass man viel probt. Aber dieses Wochenende war noch ein Ecke… entspannter. Nach einer rund zweistündigen Anreise am Samstag begann das Wochenende um 11 mit Fika bei der Kantorin, in deren Gemeinde wir dieses Wochenende probten und konzertierten und die selbst im NME mitsingt.

Das Wort Fika entstand zwar ursprünglich durch Silbenverdrehung aus „Kaffee“, ist aber in jeder Hinsicht mehr als eine Kaffeepause. Je nach Lust und Tageszeit gibt es dazu Gebäck oder auch ein kaltes Buffet, aber der wichtigste Aspekt von Fika ist definitiv nicht die Nahrungsaufnahme, sondern die Pflege sozialer Kontakte.

Gegen eins machten wir uns langsam auf den Weg zur Kirche in Dals Ed und probten bis kurz nach drei, dann gabs middag in einer Pizzeria. Anschließend umziehen für den Musikgudstjänst (Musikgottesdienst) am frühen Abend und eine halbe Stunde Autofahrt zur Kirche in Rölanda. Nach dem Gottesdienst gabs Kyrkfika im Gemeindehaus, das wir aber ziemlich bald verließen, wir mussten ja schließlich weiter zum Kvällsfika (Abendfika) beim gastgebenden Pfarrer, dem Mann der o.g. Kantorin.

Nach dem Sonntagsgottesdienst in der Kirche von Högsäter – und dem tollen Erlebnis, eine achtstimmige Renaissancemotette mit 11 Sängern aufzuführen –  gab es natürlich auch dort Kyrkfika, bevor wir uns auf die Heimfahrt machten.

Fazit: Ein wunderbares Fikawochenende mit vielen netten Menschen und vereinzelten Chorpausen. Danke Åsa und Pär-Åke, danke Peter, danke NME!

Second Hand


Tisch: Second Hand, Läufer: Second Hand, Ljusstake: Second Hand, Adventsschmuck: Second Hand, Grünzeug: Wald, Kerzen: IKEA

Es gibt verschiedene rationale Gründe, gebrauchte Dinge einzukaufen. Manch einer ist einfach darauf angewiesen, sich auf diesem Wege mit notwendigen Dingen auszustatten. Vielleicht kann man sich so aber auch etwas leisten, was der Geldbeutel ansonsten nicht hergeben würde. Und dann gibt es natürlich noch diejenigen, die einfach alte Dinge mögen, seien es Retro-Kleidern aus den 70ern oder Biedermeier-Möbel.

Effektiv ist diese Art des Einkaufens aber nicht: Man weiß nie, was man eventuell finden wird und etwas Bestimmtes zu suchen ist meistens zwecklos und zeitaufwändig. Deshalb muss es noch andere Gründe geben, warum Second Hand so beliebt ist: Second Hand kauft man nicht ein, um Zeit zu sparen oder Geld; es geht vor allem um den Spaß, um das Gruschteln durch Krempel und pryl, wobei es eigentlich gar keine Rolle spielt, ob man nun wirklich etwas findet. Und natürlich findet man immer etwas; zwar nicht immer nützlich, dafür aber häufig schön – wobei sich über Geschmack ja bekanntlich streiten lässt. Und da es vor allem um das Erlebnis geht und weniger um das eigentliche Einkaufen von Dingen, haben hier in Schweden viele Second Hand-Geschäfte nur am Samstag oder Sonntag geöffnet und laden zum Wochenendausflug ein – dann natürlich gleich mit Kaffee und Kuchen.

Allein in Älvängen gibt es für die 4.000 Einwohner zwei gemeinnützige und einen kommerziell betriebenen Laden und die Zahl der loppisar (Flohmärkte) in der Umgebung ist kaum überschaubar. Denn irgendwann ist das Haus halt voll und muss ausgemistet werden, und was wäre da lustiger als ein kleiner Privatflohmarkt vor der Haustür?

Einfach so.


Ich glaube, Schweden tun nichts ohne Grund. Dinge einfach so zu tun, scheint hier etwas ganz Verpöntes zu sein. Dass jemand einfach so spazieren geht, d.h. ohne sichtbaren Grund durch den Wald hinter seinem Haus latscht, habe ich noch nie gesehen. Alle Menschen, die ich im Wald treffe, wenn ich dort spazieren gehe, haben einen bestimmten Grund, dort zu sein: einen Hund, einen Pilzkorb, Walkingstöcke, Laufschuhe. Oder wenn wir an den See gehen: die Schweden haben mindestens eine Angel, ein Boot oder ein Kind dabei, das gerade schwimmen lernt. Im Garten: hier sitzt niemand einfach so im Garten, schließlich kann man im Garten Rasen mähen, Unkraut zupfen oder Blumen gießen. Ich glaube, deshalb gibt es hier auch so viele Vereine: man braucht einfach einen Grund, um soziale Kontakte zu pflegen, und geht nicht einfach so jemanden besuchen und quatschen.

Nicht nur, aber auch deshalb, haben wir uns jetzt wieder einen Chor gesucht. Und siehe da: die Chorprobe ist mit knapp drei Stunden deutlich länger als bei den meisten vergleichbaren Chören in Deutschland, dafür ist die halbstündige fikarast fester Bestandteil jeder Probe. Fika ist gesellschaftlich toleriertes Rumsitzen mit gleichzeitigem Konsum koffeinhaltiger Getränke. Da die Chorprobe abends stattfindet, heißt fika hier: jede Woche bringt jemand anderes einen riesigen Korb mit Brot, Aufschnitt, Obst, Gemüse und Süßkram mit und schleicht sich kurz vor der Pause weg, um den Tisch für alle zu decken. Das fördert die Kommunikation im Chor tatsächlich ungemein.

Unser Einstieg in Göteborgs Vokalensemble war ziemlich gut getajmt (wie der Schwede sagt), denn wir konnten gleich mit zum ersten Probenwochenende. In einem B&B auf der Insel Tjörn an der Westküste probten wir von Freitagabend bis Sonntagmittag.

[Lekanders Bär och Boende ist ein ehemaliger Bauernhof, der irgendwann seinen Schweinestall zu Gästezimmern umgebaut hat. Sehr luxuriös für ein B&B, dabei gleichzeitig mit rustikalem Bauernhofcharme mit vielen alten Möbeln, wir können es jedem weiterempfehlen, der mal auf Tjörn Urlaub machen möchte.]

Zwei nichtsingende Ehemänner waren als Köche abgestellt und eigentlich sollte man über das Wochenende eher sagen: Wir haben von Freitag bis Sonntag gegessen und zwischendurch auch ab und zu geprobt. Frühstück – Fika – Mittagessen – Fika – Abendessen – Fika… Höhepunkt war der Samstagabend, als es ein ***Menü gab: Minz-Sternanis-Cider als Aperitiv, Blumenkohlcouscous mit Pastinaken als Vorspeise, gebratenes Fleisch mit selbstgesammelten Pfifferlingen, Backkartoffeln und Bohnensalat als Hauptspeise und American Cheesecake mit gefrorenen Waldbeeren als Dessert. Und Kaffee, natürlich.

Am Sonntagnachmittag hatten wir dann das dringende Bedürfnis nach Bewegung und sind noch ein paar Kilometer weiter ins Küstenstädtchen Skärhamn gefahren. Das Wetter war natürlich so, wie man es im Herbst an der Westküste erwartet: blåsigt. Selbstverständlich hatten wir die Kamera dabei, damit es nicht so aussah, als ob wir einfach so an einem trüben Herbsttag durch die Schären spazierten…

Doch zurück zum Chor: Der Chor ist ähnlich groß und ähnlich gut wie Chorioso, unser Karlsruher Chor. Das aktuelle Programm ist eher kleinteilig angelegt, (Palestrina, Schütz und diverse schwedische Komponisten wie Ninne Olsson, Sten Källman, Ingmar Wilestrand u.a.) – Allerheiligen und Weihnachten nahen… Und zufällig – die Welt ist klein – hat die Chorleiterin ein Jahr in Karlsruhe studiert und ist mit einem Stuttgarter verheiratet.
Vom der ersten Probe an haben wir uns in diesem kleinen, aber feinen Chor wohlgefühlt und wurden von allen sehr herzlich aufgenommen. Einfach so.