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Empfehlungen dringender Art


Es wird empfohlen, Abstand zu halten. Es wird empfohlen, seine Kontakte zu begrenzen. Es wird empfohlen, von zu Hause aus zu arbeiten. Freiwillige Maßnahmen: Das ist das Besondere am schwedischen Sonderweg in der Corona-Pandemie.

Dass es kaum Verbote gibt und gab liegt vor allem daran, dass Schweden kein Gesetz für zivile Notlagen hat.¹ Diesem Problem begegnete man bereits im Frühjahr mit einem vorläufigen Pandemiegesetz, das allerdings zu spät kam, um überhaupt zur Anwendung zu kommen. Im Herbst war dieses wieder ausgelaufen und so kamen wieder behördliche Empfehlungen. Diese wurden dann im November und Dezember immer schärfer und mittlerweile sind auch bei uns Schulen ab der 7. Klasse geschlossen, an der Kulturschule unterrichten wir auf Distanz, in Stoßzeiten soll man in öffentlichen Verkehrsmitteln eine Maske tragen, ins Restaurant darf man nur noch zu viert… und am 10. Januar wurde ein Gesetz beschlossen, mit dem die Regierung echte Verbote aussprechen kann – das allerdings noch nicht angewendet wurde.

Das hauptsächliche Mittel Schwedens gegen die Pandemie sind und bleiben Empfehlungen. Das Problem ist nur, dass es in Schweden rekommendation und rekommendation gibt.

Wenn ich eine Kollegin nach einer guten Saite für meine Dienstgeige frage, könnte das so klingen: Kan du rekommendera en fiolsträng? Dann wird sie mir etwas empfehlen und es wäre natürlich gescheit, dieses Produkt zu kaufen – schließlich hat sie Ahnung von Geigensaiten und ich nicht, schließlich bin ich Kontrabassist. Eine rekommendation könnte auch für eine gute Serie auf Netflix oder einen leckeren Wein gelten. Ein anderes Wort wäre hier att tipsa, also einen Tipp geben. Wenn dagegen eine myndighet (Behörde) eine rekommendation ausspricht, dann würde der Thesaurus ein ganz anderes Synonym ausspucken: anbefalla. Das klingt schon ganz anders, fast nach Befehl, und die Empfehlung ist dann auf einmal sehr dringend. Ich muss mich nicht daran halten, mich erwartet keine Strafe bei Missachtung, aber okay ist das nicht. Und die Gesellschaft schaut mich vorwurfsvoll an und ist menschlich sehr enttäuscht von mir.

Aber Spaß beiseite. Aus Sicht einer myndighet ist eine rekommendation eben keine freiwillige Empfehlung, sondern eher so wie ein schwedischer Chef, der mich fragt, ob ich heute noch die Fahrtkostenabrechnung vorbeibringen könnte. Oder ein deutscher Chef, der mir mitteilt, dass die Fahrtkostenabrechnung spätestens heute abend 17 Uhr auf seinem Schreibtisch liegen soll. Also eine klare Anweisung, nur kulturbedingt unterschiedlich formuliert.

Allerdings ist dieser Sprachgebrauch selbst vielen Schweden nicht bewusst, denn wenn nicht gerade Pandemie ist, begegnet dem Durchschnittsbürger eher ein Buchtipp als eine dringende behördliche Empfehlung. Zwar wurde in den letzten Monaten das Thema in allen Medien wieder und wieder durchgekaut – wenn behördlicher Sprech aber so sehr gegen das Sprachgefühl der Allgemeinheit geht, hilft das nicht viel. Das musste ich letzte Woche wieder einmal erleben, als ich mir im Rahmen meines Chorleitungsstudiums (hatte ich das hier schon einmal erwähnt?) von einem Prüfer anhören musste, dass ich für mein Abschlussprojekt doch einfach einen kleinen Chor zusammentrommeln könne, es sei ja nicht verboten. Naja, ist es halt irgendwie doch, aber eben auf dezentestem Behördenschwedisch. Und zum Glück/leider wissen das auch die meisten Chorsänger. Nur anscheinend nicht alle Professoren… Am Freitag werde ich jetzt mit meinem Betreuer über das weitere Vorgehen sprechen – mal schauen, was er mir empfiehlt.

¹ Deshalb wurde im schwedischen Pendant zu heute-show der Vorschlag gemacht, man könne doch Norwegen bitten, uns den Krieg zu erklären, ein paar Soldaten auf einem Campingplatz direkt hinter der Grenze einquartieren um dann mit Hilfe des Kriegsrechts einen Lockdown zu erlassen.

Nazivergleiche und ein Brief


Gestern wurde ich zum ersten Mal in meinem Leben als Nazi beschimpft. Weil ich in einem informellen Gespräch mit ein paar Kollegen feststellte, dass alle Länder in Europa deutlich anders mit dem Virus umgehen und ich skeptisch gegenüber der Folkhälsomyndigheten und insbesondere Anders Tegnell sei, fühlte sich ein Kollege bemüßigt, darauf hinzuweisen, dass ich und alle anderen Deutschen genauso argumentieren würden wie Jimmie Åkesson, Parteivorsitzender der rechten „Sverigedemokraten“. Nun ja, Jimmie Åkesson hat tatsächlich das Vorgehen der Gesundheitsbehörde kritisiert, die zur Zeit politische Entscheidungen trifft, anstatt der Regierung beratend zur Seite zu stehen und der Politik die Entscheidungen zu überlassen. Åkesson kritiserte auch, dass Schweden mit seinem Nichtstun gerade ein hochriskables Spiel mit Menschenleben betreibe, während alle anderen europäischen Länder deutlich stärkere Maßnahmen ergreifen.

Ich hätte nie gedacht, dass ich mal in einer Sache mit Schwedens oberstem Rechten einer Meinung sein würde. Nun ja, auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn, oder, wie man auf schwedisch sagt: „da hatte er mal Glück beim Denken“. Aber daran sieht man auch, wie politisch explosiv der schwedische Kurs gerade ist: wenn wir in ein paar Monaten Zehntausende Leichen vergraben müssen, können sich die Rechten auf die Schulter klopfen und „Siehste!“ sagen. Und was das für die nächste Wahl 2022 heißt, das will ich mir gar nicht ausmalen…

Ich merke, wie mich das permanente Gegen-die-Wand-Argumentieren in meinem Umfeld mich unglaublich erschöpft. Aber was klage ich über Erschöpfung… wenn ich da an die Ärzte, Krankenschwestern, und alle anderen denke, die bereits jetzt und in den kommenden Wochen und Monaten an vorderster Front kämpfen…

Jonas schrieb gestern eine Email an Joacim Rocklöv. Rocklöv ist Professor für Epidemiologie an der Universität Umeå und argumentiert hartnäckig für einen Strategiewechsel: weg von Herdenimmunität hin zu social distancing*, wie es alle anderen in Europa machen, um den R0-Wert unter 1 zu drücken.

„Wenn mir schon keiner zuhört, weil ich kein Experte bin, dann will ich wenigstens die Experten unterstützen, die dafür kämpfen, dass Schweden umdenkt“ sagte Jonas und schrieb gestern Abend an Joacim Rocklöv: (Übersetzung weiter unten)

20 mars 2020 kl. 21:44 skrev Jonas:

Hej Joacim!

Jag läste återigen en av dina informativa debattartiklar i SvD och jag vill tacka dig och dina kollegor för er insats. Som tysk och svensk medborgare följer jag utvecklingen i båda länderna väldigt intensivt och jag tycker att Sveriges hantering av situationen är förfärlig – inte bara hur man väljer att inte bekämpa viruset tillräckligt mycket, men även hur Folkhälsomyndigheten försöker att trycka ner varje kritisk röst.

Jag behöver inte förklara alla fel som Folkhälsomyndigheten gör just nu. Vetenskapliga fel kan jag som lekman inte bedöma och alla de brister i kommunikationen är ju uppenbara. Jag är inte heller rädd för att bli sjuk. Jag är ung och hyfsat frisk. Resten av min familj är i Tyskland och Schweiz och inte utsatt för vår situation. Men jag är rädd för vad som kommer att hända i vårt samhälle om några veckor om det visar sig att Folkhälsomyndighetens optimism var felaktig och konsekvenserna av regeringens (icke)-agerande kommer att visa sig. Jag är också rädd för ett samhälle som kallar sig för demokratiskt och samtidigt tystar ner en debatt kring ett ämne som kräver drastiska politiska beslut. Hur annorlunda är situationen i Tyskland där media i lugna toner ger medborgarna möjlighet att hänga med i utvecklingen och forskningen så att alla kan bilda sig en uppfattning om situationen istället för att blind tro på en myndighet.

Det är farligt när ett samhälle bara tillåter en enda röst, även och framförallt i en krissituation. Därför ber jag dig och er att inte ge upp debatten, att kämpa vidare för en öppen kommunikation från myndigheten och i media och att regeringen tar ansvar genom att rådfråga den expertisen som finns i Sverige och utomlands.

Jag vet att du måste ägna dig åt annat än att läsa oviktiga mejl, så jag förväntar mig inget svar. Men jag vill säga tack och håll ut!

Med vänliga hälsningar,
Jonas

Übersetzung:

Hej Joacim!

Ich habe gerade wieder einen deiner interessanten Kommentare in SvD [Svenska Dagbladet] gelesen und ich will dir und deinen Kollegen für euren Einsatz danken. Als deutscher und schwedischer Staatsbürger verfolge ich die Entwicklungen in beiden Ländern sehr intensiv und ich finde, dass Schwedens Umgang mit der Situation erschreckend ist – nicht nur wie man entscheidet, das Virus nicht ausreichend zu bekämpfen, sondern auch, wie die Folkhälsomyndigheten versucht, kritische Stimmen unter den Teppich zu kehren.

Ich brauche nicht alle Fehler aufzählen, die die Folkhälsomyndigheten gerade macht. Wissenschaftliche Fehler kann ich als Laie nicht beurteilen und die Mängel in der Kommunikation sind offensichtlich. Ich habe auch keine Angst, krank zu werden. Ich bin jung und einigermaßen gesund. Meine restliche Familie befindet sich in Deutschland und der Schweiz und ist nicht unserer Situation ausgesetzt. Aber ich habe Angst vor dem, was in unserer Gesellschaft in einigen Wochen geschehen wird, wenn sich zeigen wird, dass der Optimismus der Folkhälsomyndighet falsch war und sich die Konsequenzen des (Nicht-)Agierens der Regierung zeigen werden. Ich habe auch Angst vor einer Gesellschaft, die sich demokratisch nennt und gleichzeitig eine Debatte um einen drastischen politischen Beschluss  zum Schweigen bringt. Wie anders ist die Situation in Deutschland, wo die Medien in ruhigem Ton den Bürgern die Möglichkeit geben, die Entwicklungen und den Forschungsstand nachzuvollziehen, so dass jeder sich ein eigenes Bild von der Situation machen kann, anstatt blind einer Behörde zu glauben.

Es ist gefährlich, wenn eine Gesellschaft nur eine einzelne Stimme zulässt, auch und vor allem in einer Krisensituation. Daher will ich dich und euch bitten, die Debatte nicht aufzugeben, weiter zu kämpfen für eine offene Kommunikation durch die Behörden und Medien und dafür, dass die Regierung ihre Verantwortung wahrnimmt und die Expertise zur Kenntnis gibt, die es in Schweden und im Ausland gibt.

Ich weiß, dass du gerade besseres zu tun hast als unwichtige Mails zu lesen und erwarte mir keine Antwort. Aber ich will danke sagen und halte durch!

Mit freundlichen Grüßen,
Jonas

Keine 30 Minuten später kam eine Antwort:

Von: Joacim Rocklöv
Betreff: Aw: Tack!
Datum: 20. März 2020 um 22:12:17 MEZ
An: Jonas
Tack Jonas! Det hjälper.
//

Joacim Rocklöv
Professor of Epidemiology
Umeå University
Nicht schwer zu übersetzen:
Danke Jonas! Das hilft.

*Eine Freundin – ebenfalls Ärztin – wies mich darauf hin, dass physical distancing eigentlich der bessere Begriff sei. Soziale Nähe brauchen wir gerade mehr denn je, auf allen denkbaren Kanälen, nur eben keinen physischen Kontakt.

Und was macht Schweden?


Grob zusammengefasst: nichts. Oder besser gesagt: alles. Wir haben – Stand Dienstagmorgen 17. März – quasi überhaupt keine Einschränkungen durch das Corona-Virus, wenn man es mit anderen Ländern vergleicht. Ja, wir haben Plakate aufgehängt, dass man Händewaschen soll, Veranstaltungen über 500 Personen sind verboten, ebenso Besuche in Altenheimen und Krankenhäusern. Schweden fährt eine komplett andere Strategie als der Rest Europas, der Rest der Welt. Wenn man es denn Strategie nennen will.

Mein besonderes Hassobjekt in diesem Zusammenhang ist Anders Tegnell, Schwedens Staatsepidemiologe, angestellt bei der schwedischen Gesundheitsbehörde folkhälsomyndigheten. Der Mann ist in den schwedischen Medien omnipräsent und ganz Schweden folgt seinem Wort.

(Link zu einer Unterschriftenliste, die Tegnells Rücktritt fordert: https://www.skrivunder.com/avga_anders_tegnell)

Ich fühle mich gerade nicht kompetent, die komplette Nachrichtenlage in Schweden wiederzugeben, aber ein wenig möchte ich zusammenfassen, wie ich die letzten dreei Wochen erlebt habe.

25. Februar: zum ersten Mal darüber geredet.

Das erste Mal, dass in meiner Umgebung überhaupt von Corona geredet wurde, war auf einem Treffen mit dem Elternverein am 25. Februar. Da planten wir ausführlich unsere Orchesterreise im Juni an den Gardasee. Am Ende des Treffens dachte ich, ich stelle mal die Frage, ob jemand schon von dem Virus in Italien gehört habe, und äußerte leichte Bedenken, dass das eventuell unsere Reise beeinflussen könnte. Viele hatten noch nichts davon gehört. Allgemeines Achselzucken, mal abwarten, wird schon nicht so schlimm sein ist die Devise. In der Öffentlichkeit: nichts.

2. März: Wir planen eine Orchesterreise nach Italien

Am Dienstag 2. März hatten wir großen Elternabend wegen der Reise. Aufgaben werden verteilt, wer verkauft bei welchem Konzert im Frühjahr Kuchen, wer steht am Tag der Offenen Tür am Grill, etc pp. Ja, Corona taucht unter sonstigen Fragen auf, aber mehr als Kuriosum, der allgemeine Tenor ist: ist doch nur Panikmache. Wir fahren im Juni nach Norditalien!

In den folgenden Tagen beginnt man in den Medien die Berichterstattung über Italien. Es waren gerade Ferien, viele Schweden waren in Italien im Urlaub. Irgendwann da tauchen die ersten Fälle in Schweden auf, glaube ich. (Ich kann es gerade nicht recherchieren, die Seite der folkhälsomyndigheten scheint kollabiert zu sein.)

6. März: Mund-zu-Mund-Beatmung üben

Am Freitag, 6. März haben wir beim Job eine Fortbildung: ein Vormittag lang Herz-Lungen-Rettung (viele schwedische Arbeitgeber schicken ihre Angestellten im 2-Jahrestakt auf solche Fortbildungen). Die Beatmungspuppen reichen nicht für alle, zwei bis drei Leute üben an derselben Puppe Mund-zu-Mund-Beatmung. Der Kursleiter stellt eine Flasche Desinfektionsmittel und Klopapier bereit, viele benutzen es, aber nicht alle. Beim Mittagessen mit dem Lieblingskollegen erreicht uns die Nachricht von schwedischen Auswärtigen Amt (UD – utrikesdepartement), dass von nicht notwendigen Reisen nach Norditalien bis auf Weiteres abgeraten wird. Am Nachmittag läuft die SMS-Gruppe des Vorstandes des Elternvereines heiß, ob wir die Italienreise absagen oder nicht. Wir einigen uns darauf, am Montag mal beim Reisebüro anzufragen, was für den Reiserücktritt gilt.

Am selben Tag erscheint in Dagens Nyheter, einer der großen Tageszeitungen Schwedens, ein Artikel, in dem Anders Tegnell verkündet, dass Schweden nun mit 96 Fällen den Peak erreicht habe, ab nun werden die Zahlen nicht mehr steigen. https://www.dn.se/nyheter/sverige/antalet-coronafall-i-sverige-kan-ha-natt-toppen-kommer-snart-att-klinga-av/

9. März: Wir hängen ein Plakat übers Händewaschen auf

Am Montag lautet die Antwort des Reisebüros: wartet mal ab mit dem Absagen der Reise, wir wissen ja nicht, ob das im Juni überhaupt noch aktuell ist und dann wäre es ja schade, wenn wir abgesagt hätten. Die Gesundheitsbehörde stuft das Risiko von 2 auf 3 auf einer Skala bis 5 hoch.
Unsere Chefin schickt eine Mail raus, wir sollen Plakate aufhängen über gute Handhygiene.

Am Dienstagabend ruft mein großer Bruder aus Deutschland an und füttert mich zwei Stunden lang mit Zahlen, Statistiken, Exponentialkurven, Logarithmuskurven und den neuesten Nachrichten aus Italien. Mein Kopf schwirrt und mir ist ein bisschen schlecht. Ich frage mich, ob wir in verschiedenen Welten leben, weil hier in Schweden nach wie vor wenig darüber geredet wird.

Am Mittwoch 11. März haben wir ein Konzert mit rund 80 Zuhörern. Als die Mitwirkenden am Schluss Blümchen kriegen, witzelt man darüber, dass es vielleicht nicht so gut wäre einander jetzt zu umarmen. Die meisten tun es trotzdem. Auf dem Heimweg höre ich im Auto in den Nachrichten, dass es den ersten Todesfall in Schweden gab und das Ansteckungsrisiko nun auf 5 erhöht wurde und frage mich kurz, ob ich jemanden umarmt habe. (Antwort: nein, ich bin introvertiert.) Veranstaltungen werden auf 500 Menschen begrenzt. Der erste bestätigte Fall in Borås.

12. März: „Bitte weiterarbeiten, trotz Erkältung“

Am Donnerstag 12. März wird der Karenztag bei Krankheit von staatlicher Seite aufgehoben. In Schweden kriegt man normalerweise am ersten Tag einer Krankschreibung kein Krankengehalt, erst ab Tag 2. Jetzt also Krankengehalt ab Tag 1., damit man auch bei leichter Krankheit zuhause bleibt.

In einer Mail informiert unsere Chefin:

„Det som är viktigt är att de som har hosta, feber eller andningssvårigheter stannar hemma och inte kommer till arbetet. Det är de tre faktorerna som gäller, inte om man känner sig lite förkyld. Denna information gäller tillsvidare inom Borås Stad.“ (Mail (Auszug) vom 12. März an alle Angestellten der Kulturschule)

Es ist wichtig, dass man bei Husten, Fieber und Atembeschwerden zuhause bleibt und nicht zur Arbeit kommt. Es sind diese drei Faktoren, die gelten, nicht, wenn man sich etwas erkältet fühlt. Diese Information gilt bis auf weiteres in Borås Stad. (Borås Stad = Stadtverwaltung)

Hallo?! Erkältung gilt nicht??! Mein erster What-The-Fuck?!?-Moment. Weitere werden folgen.

12. März: Blasinstrumente ausprobieren und rumreichen ist schon ok

In einer Konferenz mit Chefs und 7 Kollegen kommt am Rande die Frage auf, ob wir eigentlich nach wie vor Kulår wie gewohnt machen soll. Kulår heißt, man besucht eine erste Klasse, hat 3-4 Instrumente dabei und lässt die Kinder ausprobieren. Nach langem Hin und Her einigen wir uns schließlich darauf, dass die Lehrer, die ein Blasinstrument unterrichten und sich nicht dabei wohlfühlen, mehrere Kinder nacheinander in dasselbe Instrument blasen zu lassen, andere Sachen im Unterricht machen dürfen. Einige (Bläser!)Kollegen regen sich tierisch darüber auf, dass manche so übervorsichtig sind und damit nur Panik verbreiten würden. Ich denke: gut, dass ich kein Blasinstrument unterrichte. Für den Abend ist eine Pressekonferenz mit unter anderem dem Schulministerium anberaumt, die mit Spannung erwartet wird. Während des Nachmittags scheint sich die Stimmung im Kollegium etwas zu wandeln, manche erhoffen sich jetzt eine Schulschließung.
Das Ergebnis der Pressekonferenz: „Wir machen gar nichts, die Schule geht ganz normal weiter. Wir hören darauf was die Gesundheitsbehörde (Anders Tegnell) sagt und der sagt, Schulschließungen seien kontraproduktiv.“ Außerdem: es werden ab sofort nur noch ältere Menschen und Angestellte in den Krankenhäusern getestet.

Weiterhin verkündet die folkhälsomyndigheten (Anders Tegnell) in völligem Widerspruch zu dem, was zu diesem Zeitpunkt im Rest der Welt passiert:

„In der Inkubationszeit sei man nicht ansteckend. Nur Menschen mit Symptomen seien ansteckend. Kinder kriegen fast keine Symptome und würden daher kein Risiko darstellen. Ein Krankheitsfall in der Familie ist kein Grund, zuhause zu bleiben.“

(Link zu einer Unterschriftenliste, die Tegnells Rücktritt fordert: https://www.skrivunder.com/avga_anders_tegnell)

(Ich weiß gar nicht, wieviel Konjunktive ich hier schreiben soll, damit ich nicht bei Google Treffer zu diesen Fakenews produziere.) Ich würde es screenshotten, aber die Seite der folkhälsomyndigheten liegt immer noch brach. Wahrscheinlich ein Virus.

Freitag bis Sonntag: Eigentlich sollte ich übers Wochenende für eine Fortbildung nach Arvika fahren (4 Stunden Autofahrt von hier). Die eine Dozentin, sowie die Hälfte der Teilnehmer, die aus Norwegen kommen, haben jedoch Reiseverbot. Morgens kommt die Nachricht, das Seminar werde ins Netz verlegt. Das ganze Wochenende sitze ich am Rechner und videokonferiere mit meinen 7 Kurskollegen und 2 Dozenten. Ohne Ironie: Es war großartig! Ich würde sagen, 90% des Unterrichtsstoffes kam unbeeinflusst an, auch die Kaffeepausen dazwischen. Lediglich das gemeinsame Musizieren war so naja, was vor allem daran lag, dass zwei Kursteilnehmer eine langsamare Internetverbindung hatten als der Rest. Ansonsten hätte das vielleicht auch funktioniert.

13. März: Es gibt noch Klopapier

Freitag der 13. März. Vormittags machen Jonas und ich unseren normalen Wocheneinkauf. Es gibt noch Klopapier. Freitagnachmittag Gesamtlehrerkonferenz beim Job (wie jede Woche): Eine ganz normale Konferenz, wir planen Konzerte, Tag der offenen Tür etc. 15 Minuten widmen wir Corona. Die Parole ist: „Wir folgen den Anweisungen der Behörden. Wascht euch die Hände.“

WTF.

Der Lieblingskollege fragt, was für die Blasorchesterproben gelte, da fliegen schon mal Speicheltropfen durch die Luft, wir sitzen auf engem Raum, schlechte Ventilation. Chefin: „Ich komme später auf die Frage zurück.“

Sonntagabend, Pressekonferenz. Man verkündet, dass ab Mitte der Woche Triageregeln „von ethischer Dimension“ veröffentlicht werden. Schluck.

16. Januar: „Wenn jeder in seine eigene Trompete sabbert, ist das kein Problem“

Montag 16. Januar. Das Wort des Tages in den Medien ist: Herdenimmunität. Anders Tegnell sagt, Schweden strebe eine Herdenimmunität an, deswegen solle das öffentliche Leben weiterhin so gut es geht aufrecht erhalten werden. Nur die Alten sollten isoliert werden, dann sei das alles gar nicht so schlimm.

(Link zu einer Unterschriftenliste, die Tegnells Rücktritt fordert: https://www.skrivunder.com/avga_anders_tegnell)

Die Krankenhäuser warnen vor fehlender Schutzausrüstung.
Die Ansteckungszahlen gehen zurück (klar, es wird kaum noch getestet.)
Wir sagen eigenmächtig unsere Orchesterprobe für den Abend ein, weil wir immer noch keine Antwort von der Chefin haben. Später am Tag eine Email von ihr:

„Fråga: Hur gör vi med våra orkestrar, eleverna sitter tätt tillsammans samt att det läcker luft och saliv från blåsinstrumenten? Föräldrar hör av sig och undrar om eleverna skall komma på orkestern?
Svar: Vi fick till oss att om eleverna har egna instrument med sig så borde det inte vara någon fara. Och samma gäller ju här, är jag sjuk så kommer jag inte till orkestern.“ (Mail (Auszug) vom 16. März an alle Angestellten der Kulturschule)

Frage: Wie machen wir das mit den Orchestern? Die Schüler sitzen eng zusammen, aus den Instrumenten strömt Luft und Speicheltropfen. Die Eltern rufen an und fragen, ob die Kinder zum Orchester kommen sollen.
Antwort: Wir gehen davon aus, dass wenn die Schüler eigene Instrumente haben, das keine Gefahr darstellen sollte. Das gleiche gilt auch hier: Bin ich krank, komme ich nicht zum Orchester.

Außerdem in dieser Mail: Wir halten uns streng an die Vorgaben der Behörden.

WTF.

Die Folkhälsomyndigheten revidiert ihren Bullshit immer noch nicht, Anders Tegnell hält nach wie vor seine Nase in jede Kamera und erzählt seinen Bullshit, dass wenn wir nur Menschen über 70 ordentlich isolieren, dann können alle anderen mit leichten Einschränkungen normal weitermachen. Leute in Stockholm könnten ja mal überlegen, ob sie Homeoffice machen.

(Link zu einer Unterschriftenliste, die Tegnells Rücktritt fordert: https://www.skrivunder.com/avga_anders_tegnell)

Eine Freundin, Ärztin im Krankenhaus in Borås, ruft an und sagt, im Krankenhaus mache man sich auf das Schlimmste gefasst, OP-Säle werden zu Intensivstationen umgewidmet.

Abends nach Mitternacht kommt auf SVT eine Talkshow mit Anders Tegnell und Joacim Rocklöv, Epidemiologe an der Uni Umeå, der diametral andere Ansichten vertritt als Tegnell und dazu rät, wie der Rest der Weltbevölkerung auch, seine sozialen Kontakte drastisch einzuschränken. Eine Ärztin aus Stockholm verkündet stolz, dass man die Intensivplätze in der Region Stockholm leicht von 100 auf 150 erweitern könne. Rocklöv entgegnet, dass man Mitte Mai voraussichtlich 500-1000 Plätze in Stockholm brauchen werde. Tegnell sagt: „das wissen wir alles noch nicht.“

WTF.

17. März: „Eine Verbreitung in den Schulen ist nicht gefährlich“

Heute morgen, 17. März, die Schlagzeile: „Tegnell sagt: Eine Verbreitung in den Schulen ist nicht gefährlich“.

WTF! WTF!! WTF!!!

(Link zu einer Unterschriftenliste, die Tegnells Rücktritt fordert: https://www.skrivunder.com/avga_anders_tegnell)

Jetzt habe ich hier zwei Stunden geschrieben, und versucht, mich nur darauf zu konzentrieren, keine Nachrichten, keine Mails, keine SMS, kein Whatsapp nebenher. Währenddessen hat sich die Welt draußen bestimmt ein paar Umdrehungen weiter gedreht. Ich muss jetzt aufhören, obwohl ich noch lange nicht fertig bin. Ich hab nämlich gleich Unterricht… Yay.

Bei Gelegenheit mehr.

(Ach ja, hier ein Link zu einer Unterschriftenliste, die Tegnells Rücktritt fordert: https://www.skrivunder.com/avga_anders_tegnell)