– Annika, weißt du eigentlich bei jedem Ton auf dem Klavier wie der klingt?
– Wie meinst du das?
– Na also… wenn ich da jetzt irgendeinen Ton spiele, weißt du dann, wie der heißt, wenn du nicht hinguckst?
– Nicht ganz. Aber wenn du mir einen Ton vorspielst und mir sagst, wie der heißt und dann irgendwelche anderen Töne spielst, dann kann ich dir schon sagen, wie die heißen.
– Echt???
Die Fünftklässlerin sieht mich zweifelnd an.
– Das musst du mir beweisen!
Sie bittet mich die Augen zu schließen und spielt ein c‘. Pling.
– Wenn das hier ein c ist, welcher Ton ist das? Pling.
– Ein e.
Sie testet sich langsam durch die ein- und zweigestrichene Oktave, überwiegend in Terzabständen. Kinderkram… :-)
– Nääää, du schummelst! Du guckst bestimmt irgendwie!
– Nein, tu ich nicht.
Sie modifiziert den Versuchsaufbau: Ich bekomme ihren Schal um die Augen gewickelt und muss mit dem Rücken zu ihr stehen. Außerdem soll ich die Hände in die Hosentaschen stecken, ich könnte ja irgendwo einen Spiegel haben.
Wir wiederholen das Experiment. Diesmal ist sie mutiger und spielt Töne über die gesamte Klaviatur verteilt, in immer höheren Tempo. Brav nenne ich jeden Ton. Irgendwann gibt sie auf:
– Das kann gar nicht sein, das ist bestimmt so ein Zaubertrick. Verrätst du mir, wie du das machst?
– Üben. Üben. Üben.
Diese Antwort befriedigt sie nicht.
Kindgerecht versuche ich, ihr meinen „Trick“ zu erklären: Da ich kein absolutes Gehör habe, merke ich mir den Referenzton am Anfang und setze jeden anderen Ton in Beziehung zum ersten Ton. Das richtige Intervall zum Referenzton zu bestimmen, ist eine Frage des Trainings. (Wenn man die Aufnahmeprüfung an einer Musikhochschule machen will, muss man sowas können.)
Sie guckt immer noch skeptisch.
– Aber irgendwie ist das schon wie Zauberei.