Nach fünf Wochen im neuen Job stehen jetzt die ersten Ferien vor der Tür. Da Fasching und Co. in Schweden unbekannt sind, heißt das hier Sportferien und konsequenterweise fahren auch 80% meiner Schüler in die großen schwedischen Skigebiete in Åre und Sälen. Aber auch wir haben gerade 15 cm Neuschnee und kein Tauwetter in Sicht. Aber bevor wir uns in die Loipen stürzen, wollte ich mal ein bisschen von meinem neuen Job erzählen.
Üblicherweise hat jede schwedische Kommune eine Musik- oder Kulturschule, ggf. mit Außenstellen in verschiedenen Orten oder Stadtteilen. Lediglich eine Handvoll der 290 Kommunen in Schweden haben keine Musikschule. Und wir? Wir wohnen in einer Kommune mit zwei kommunalen Musikschulen. Das hat vor allem historische Gründe, denn in den 70er Jahren wurden hier vier kleinere Kommunen von der großen Stadt eingemeindet. Vier Gemeinden? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, der Eingemeindung Widerstand zu leisten. Und da wohnen wir jetzt.
Auf dem Papier wurde die Eingemeindung zwar vollzogen, aber das gallische Dorf hat sich in vielen Punkten seine Eigenständigkeit bewahrt. Dazu gehört auch der Luxus einer eigenen Musikschule. Dort sind wir 7 Lehrer in Vollzeit (Streichinstrumente, Blechblasinstrumente, Holzblasinstrumente, Zupfinstrumente, Schlagwerk, Querflöte/Gesang und Klavier/Blockflöte) und dementsprechend familiär geht es zu.
(Zum Vergleich: In der großen Stadt, also in der Kulturschule, in der Jonas unterrichtet, gibt es über 50 Lehrer. Zusätzlich zum Instrumentalunterricht werden dort auch die Fächer Tanz, Theater, Kreatives Schreiben, Bildende Kunst, Zirkus, Textildesign, Comiczeichnen und digitale Musikproduktion angeboten.)
Alle (!) Erstklässler in unserer Kommune lernen ein Jahr lang das Angebot der Musik-/Kulturschule kennen. In Deutschland heißt sowas oft Instrumentenkarussell und ist ne feine Sache, aber eben nur, wenn sich die Eltern darum kümmern und das Kind anmelden (und dafür bezahlen). Hier heißt es kulåret, das „Lustigjahr“, und es steht einmal die Woche im Stundenplan. Jeweils vier Wochen lang kommen die Musikschullehrer in die Klasse (bei mir in den Dorfschulen sind das etwa 8-14 Kinder) und stellen ihre Instrumente vor. Der Klassenlehrer bleibt in dieser Zeit im Raum, was die Sache für alle Beteiligten einfacher macht. Oft sind auch noch weitere Erwachsene im Raum, denn Kinder „mit Diagnose“ (wie ADHS, Autismus, Leserechtschreibschwäche oder auch Downsyndrom) oder einer körperlichen Behinderung haben ein Anrecht auf einen personlig assistent, der sie den ganzen Tag begleitet und im Unterricht unterstützt, damit sie auf die gleiche Schule gehen können wie die Nachbarskinder auch.
Am Ende der ersten Klasse kennen die Kinder dann das komplette Angebot der Musikschule und dürfen wählen, welches Instrument sie spielen möchten. Auf diese Weise stürzen sich nicht alle nur auf die „coolen“ Instrumente Gitarre und Schlagzeug, nur weil sie nichts anderes kennen.
Als Zweitklässler kann man dann an der wöchentlichen „Orchesterschule“ in der Musikschule teilnehmen. Egal mit welchem Instrument, auch mit Gitarre, Blockflöte oder Klavier. Zu Beginn trifft sich das ganze Orchester + alle Instrumentallehrer und man singt ein gemeinsames Begrüßungslied, dann gehen die Lehrer mit ihrer Gruppe für eine halbe Stunde in den eigenen Unterrichtsraum und man erarbeitet gemeinsam ein Stück, das in den letzten zehn Minuten in voller Besetzung geprobt wird. Wir reden hier natürlich „nur“ von Stücken im Ein- bis Fünftonraum, aber wenn dann die Lehrer auch noch mitspielen, klingt das trotzdem nach ziemlich viel.
Alternativ oder zusätzlich können die Kinder ab der zweiten Klasse auch Einzelunterricht bekommen. In meiner Musikschule ist es so, dass der Instrumentalunterricht zusätzlich zum normalen Musikunterricht im Klassenverbund in den Schulalltag eingebunden ist. Ab zwei Schülern pro Instrument und Schule kommt der Musikschullehrer während der Unterrichtszeiten an die Grundschule, sodass die Eltern nicht nachmittags Taxi spielen müssen.
Vormittags bin ich daher öfters auswärts im Radius von 10 km unterwegs und warte im Musiksaal oder eigenen Klavierraum einer Grundschule auf meine Schüler, die für den Klavierunterricht dann eben 20 Minuten Mathe, Schwedisch oder was-auch-immer verpassen. Natürlich versuchen wir zusammen mit den Klassenlehrern, den Unterricht so zu koordinieren, dass nicht gerade ein Fach betroffen ist, das dem Schüler schwerfällt. In der kleinsten meiner Auswärtsschulen (66 Kinder in 6 Klassenstufen) ist der Musiksaal in der Bibliothek. Oder umgekehrt, wie man’s nimmt.

In den meisten Grundschulen herrscht drinnen Straßenschuhverbot und die Kinder gehen auf Strümpfen, was bei mir immer irgendwie ein Wohnzimmerfeeling erzeugt. Sogar viele Lehrer tragen keine Hausschuhe, nur Wollsocken. Nur ich komischer Ausländer komme mir wahnsinnig blöd vor, in Socken zu unterrichten. (Außerdem pedalisiert sich’s auf Socken so schlecht). Ständig Hausschuhe mit mir rumschleppen will ich aber auch nicht und für diesen Notfall gibt es am Eingang der Schulen immer ein Körbchen mit schlumpfblauen Plastikkondomen für die Füße:

Die älteren Grundschüler (ab 7. Klasse) kommen dann meist nachmittags in die Musikschule. Nicht, weil Teenagereltern eher als Fahrdienst dienen sollen, sondern weil die einzige Grundschule des „gallischen“ Teils der Kommune für die Klassen 7-9 neben der Musikschule liegt und Schule ja ohnehin eine Ganztagesangelegenheit ist.

In meinem Unterrichtsraum habe ich zwei Klaviere und zwei E-Pianos, was äußerst komfortabel ist. Eine gewöhnliche Unterrichtsstunde dauert zwar nur zwanzig Minuten (was ich persönlich ein bisschen zu kurz finde, zumindest bei den engagierteren Schülern), aber so kann ich die Schüler ein bisschen früher bestellen, sodass sie sich mit Kopfhörern am E-Piano einspielen können, während ich noch mit dem vorhergehenden Schüler beschäftigt bin.

Eigentlich ist Einzelunterricht bei uns der Standard, aber ich habe auch ein paar Zweiergruppen, die auf eigenen Wunsch zusammen Unterricht haben. Logischerweise dauert der Unterricht dann 40 Minuten. Nur Gymnasiasten, also Schüler der 10.-12. Klasse, erhalten 40 min Unterricht pro Woche. Anfangs waren die 20 Minuten für mich etwas gewöhnungsbedürftig, aber ich habe mich inzwischen dran gewöhnt.