Der schwedische Sommer ist kurz (gut, vielleicht nicht 2018 aber so grundsätzlich), und auf einen warmen Sommertag können ganz schön kalte Nächte folgen. Das ist für den Schweden an sich ein Problem, denn nach einem langen Winter, während dem man sich in seinem Haus eingeigelt hat, möchte man im Sommer am liebsten immer draußen sein. Nach einem gemütlichen Abendessen auf der Terrasse ins Wohnzimmer zu gehen, nur weil es draußen zu kalt wird, kommt da gar nicht in Frage. Erste Abhilfe schaffen Fleecedecken, von denen jeder Haushalt mindestens ein Dutzend hat, aber bei einem leichten Schauer oder Wind helfen die auch nicht weiter. Daher hat gefühlt jedes zweite Haus in Schweden einen uterum, einen Draußenraum.
Die beste deutsche Übersetzung wäre eigentlich Wintergarten, aber das trifft es irgendwie nicht richtig. Der uterum dient nämlich nicht als Überwinterungsort für empfindliche Pflanzen, sondern der Verlängerung des Sommers. Hier will man vor allem am Abend noch quasi-draußen sitzen, geschützt vor Wind, Regen und Mücken, und die Sommersaison etwas nach vorne und hinten verlängern. Viele der Anbauten sind auch gar nicht wärmeisoliert, stehen auf einer einfachen Bretterkonstruktion, werden mit Infrarotstrahlern beheizt und sind im Winter überhaupt nicht nutzbar. Natürlich gibt es auch avanciertere Modelle bis hin zum richtigen Wintergarten, aber der durchschnittliche uterum ist eher eine verglaste Terrasse.
Heutzutage gibt es diese Anbauten als fertige Bausätze für wenige tausend Euro, bestehend aus einem einfachen Holzrahmen, in den große Schiebefensterpartien eingesetzt werden und der mit einem isolierten, transparenten Kunststoffdach gedeckt wird. Ältere Modelle dagegen haben oft ziemlich grobschlächtig zusammengezimmerte halbhohe Wände mit durchgehenden, nicht zu öffnenden Fenstern und obendrauf ein Dach aus gewelltem Plastik. So ungefähr sah auch der uterum an unserem Haus aus. Mit einem wichtigen Unterschied: Die Fenster fehlten. Zugegeben, es gab Fenster, zwei nach Westen und zwei nach Norden, dazu eins in der Tür. Aber eine durchgehende Fensterfront? Fehlanzeige. Und die riesige Südwand, auf die quasi den ganzen Tag die Sonne schien? Fensterlos. Kein einziges Guckloch – abgesehen von den Ritzen zwischen den Brettern…

Ein richtiges drinnen-fast-wie-draußen-Gefühl stellte sich da natürlich nicht ein. Zusätzlich zu dem fehlenden Lichteinfall waren die Wände auch noch allesamt in einem depressiven Dunkelbraun gestrichen, damit es auch ja nicht zu hell werden konnte. Und zu guter Letzt sorgte die sorgfältige Platzierung vor den drei großen Fenstern zum Wohnzimmer und südlich der Terrasse dafür, dass sich auch im Haus ja kein Sonnenstrahl zuviel zeigen konnte.

Gebaut hatte dieses Ungetüm übrigens unser Vorvorbesitzer. Der mochte anscheinend keine Sonne, dafür aber Wärme. Nach Erzählungen unseres Nachbarn saß er am liebsten im Hochsommer in seinem dunkelbraunen „Wintergarten“ – der sich durchaus ziemlich aufheizen konnte – am offenen Kamin und heizte drauflos.
Der aufmerksame Leser wird gemerkt haben, dass ich von unserem uterum im Imperfekt schreibe und hat daraus vielleicht schon die richtige Schlussfolgerung gezogen: Die braune Bausünde steht nicht mehr. Schon als wir unser Haus gekauft haben, wussten wir, dass der Bretterverschlag weg sollte. Zum einen, weil er uns deutlich mehr störte als nutzte – die Male, die wir ihn genutzt haben, lassen sich wahrscheinlich an zwei Händen abzählen –, zum anderen war die Drainage darunter nicht mehr in Ordnung, die Kellerwand an dieser Stelle feucht.
Was also tun? Einfach nur abreißen? Oder stattdessen einen neuen uterum bauen? Und falls ja: wohin? Und wie gut soll der isoliert sein? Nach langem Hin und Her haben wir uns für einen richtigen Wintergarten mit isolierter Betonplatte entschieden, der dort gebaut werden sollte, wo bisher die Terasse war. Noch länger als diese Überlegungen dauerten dann meine vielen verschiedenen 3D-Zeichnungen von unterschiedlichen Wintergärten.
Und was wird jetzt gebaut? Ein schlichtes Pultdach, quer ans Haus gesetzt, dass eine große Glasfassade nach Süden ermöglicht. Der ungewöhnlich Anschluss der eigentlich einfachen Form und die Aussicht auf viel Glas in Richtung Sonne überzeugten uns.
In diesem Frühjahr waren wir dann soweit: Wir hatten eine Zeichnung, die uns gefiel, eine Baufirma und ein ungefähres Startdatum. Zeit, um eine Baugenehmigung zu beantragen. Dieser Prozess war erstaunlich unkompliziert, dauerte nur ein paar Wochen, lief (fast) vollständig digital und komplikationslos, so dass Ende August alles bereit für das Abrisskommando war. Mit etwas Glück könnte der Wintergarten bis Weihnachten stehen.

Die Operation „Mehr Licht“ dauerte nur wenige Stunden, an einem Vormittag war der komplette Bretterverschlag abgerissen und zu einem kleinen Häuflein auf unserem Rasen zusammengeschrumpft. Und in unserem Wohnzimmer hatte man plötzlich das Gefühl, jemand hätte das Licht angeknipst.

Noch am selben Tag erschien dann auch der etwas-größer-als-erwartet Bagger, der der Terrasse und der alten Fundamentmauer im Eiltempo den Garaus machte und wenig später war das komplette Loch für das neue Fundament und die Dränage ausgehoben.
In deutlich geringerem Tempo ging es weiter: Kies einfüllen, verdichten, Drainagerohre legen, mehr Kies einfüllen, verdichten, Holzrahmen für Sockel bauen, Armierungsstahl einsetzen, Sockel gießen, Mauer mauern, Kies und Sand auffüllen, Isoliermaterial auflegen, Armierungsgitter einsetzen, Betonplatte gießen, Betonplatte gegen Regen abdecken. Und dann: Warten, bis die Platte ausgehärtet war (ging schnell) und ein Zimmermannteam Zeit hatte (dauerte deutlich länger).
Die Zimmerleute kamen, sahen und… diskutierten: „Hmm, der Dachüberhang da, da war ja ne Säule, die Last müssten wir dann über einen Balken abführen… das könnte man so machen… wie dick muss der denn sein… wir müssen mal mit unserem Statiker reden, den Balken berechnen… und bestellt werden muss der dann wohl auch, glaub nicht, dass das Lagerware ist…“ Sagten’s, und verschwanden wieder. Und tauchten nicht wieder auf. Wusste ja vorher keiner, dass man da einen Balken eniziehen muss. Hatte ich vorher auch nicht erwähnt, nein nein. (Ironiemodus aus.) „Das gucken wir uns dann an, wenn es so weit ist.“ Zwei Wochen Pause – doof für uns, denn die Glaspartien können erst bestellt werden, wenn der Rohbau steht und genau Maß genommen wurde; Lieferzeit: sechs Wochen. Langsam wurde es eng mit unserem Traum vom Wintergarten als Weihnachtsgeschenk.
Der Vorteil an Holzbauten: Die Wände stehen innerhalb kürzester Zeit. Natürlich ohne Fassade, Innenleben und Verkleidung, aber das braucht man alles auch nicht für die Vermessung der Fenster. Zwei Tage brauchten die Zimmerleute für das Ständerwerk, davon einen für das Diskutieren der besten Methode und einen für den eigentlichen Aufbau. Dann wurde das Glas bestellt, und mit dem Liefertermin Ende November könnte es doch noch alles klappen.
Mittlerweile hat der Anbau ein fertiges Dach, eine wetterdichte Membran, eine Fassade, ist schon teilweise isoliert und das alte Dach, das jetzt ja nicht mehr gebraucht wird, ist auch verschwunden. Ein Kamin ist bestellt, der Laminatboden wartet im Keller auf seinen Einsatz und hoffentlich, hoffentlich klappt das noch mit dem Weihnachtsbaum im Wintergarten. Dann können wir den Sommer nicht nur ein bisschen verlängern, sondern das ganze Jahr draußen sitzen.