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Fortbildung


Diese Woche sind für unsere Schüler Herbstferien, während für die Lehrer Montag-Mittwoch kompetensutvecklingsdagar oder studiedagar, Fortbildungstage sind. Wir Musikschullehrer sind dabei in jeder Hinsicht den Lehrern an den allgemeinbildenden Schulen gleichstellt.

Übers Schuljahr verteilt haben wir insgesamt 16 solcher Fortbildungstage, an denen unsere Schüler frei haben und wir unsere „Kompetenzen entwickeln“. Kompetenzentwicklung ist dabei ein sehr weit gefasster Begriff, eigentlich fällt darunter alles, was sonst im Alltag zu kurz kommt.

Klassischerweise sind die letzten Tage der Sommerferien solche Tage, da wird die Grobplanung fürs neue Schuljahr festgelegt, neue Kollegen eingearbeitet, fachübergreifende pädagogische Zielsetzungen erarbeitet und natürlich auch die individuelle Unterrichtsvorbereitung begonnen. Auch am Ende des Schuljahres liegen meist ein paar Fortbildungstage, in denen man das Schuljahr in Ruhe abschließen kann oder – wie wir letztes Jahr – Orchesterfahrten unternehmen kann. Die restlichen Tage liegen so wie jetzt in den Ferien oder auch mal mittendrin, die Schüler werden an diesen Tagen im Hort betreut.

Oft verbringt man die Fortbildungstage mit den engsten Kollegen, plant Konzerte und Projektwochen, probt gemeinsam oder macht endlich mal wieder Ordnung im Instrumentenvorrat und in der Notenbibliothek.

An zwei oder drei der Fortbildungstage werden Vorlesungen oder Seminare von externen Dozenten gehalten, in denen es ausschließlich um pädagogische Fragestellungen geht, z.B. den Umgang mit verhaltensauffälligen Kindern. Sofern die Themen auch für uns Musikschullehrer relevant sind, sind wir bei den Vorlesungen der Grundschulen (Klasse 1-9) dabei.

Regelmäßig finden aber auch Fortbildungen nur für uns Musikschullehrer statt, in denen wir dann Kollegen aus den umliegenden Kommunen treffen, oft gekoppelt mit Vorträgen von Vertretern des schwedischen Musikschulverbandes oder Kulturpolitikern.

Unabhängig von den festgelegten Fortbildungstagen besteht aber auch sonst jederzeit die Möglichkeit, auf Fortbildungen zu fahren. Für Fortbildungen unter der Woche bekommen wir „frei“ und müssen die Stunden auch nicht nachholen, wenn nicht wirklich handfeste Gründe dagegen sprechen. Generell ist da die Haltung unserer Chefs die, dass eine Fortbildung ja keine Vergnügungsreise ist, sondern Arbeitszeit und außerdem eine Investition in die eigene Organisation, die sich langfristig wieder auszahlt in Form von motivierten und kompetenten Mitarbeitern. Erfreulicherweise sehen die Eltern der Schüler das genauso.

So war ich zum Beispiel kürzlich bei einem dreitägigen Kongress des schwedischen Klavierpädagogenverbandes. Die Kongressgebühr übernahm mein Arbeitgeber zur Hälfte, ebenso die Anreise. Als Jonas mit allen seinen Streicherkollegen letztes Jahr beim Kongress der Streicherpädagogen war, wurden sogar alle Kosten, inklusive Unterkunft, übernommen.

Der Klavierpädagogenkongress fand Freitag-Sonntag statt und selbstverständlich habe ich den Samstag und den Sonntag als Überstunden im Computersystem registriert.

Diese Woche ist daher für mich recht entspannt: am Montag haben meine Kollegen und ich die kommenden Wochen bis Weihnachten geplant und am Freitag habe ich zum ersten Mal seit 2009 mal wieder selbst Klavierunterricht – bei einem Hochschuldozenten in Göteborg, den ich beim Kongress kennengelernt habe.

Den Rest der Woche arbeite ich meine Überstunden ab:

Puzzle

Musikschule in Schweden


Nach fünf Wochen im neuen Job stehen jetzt die ersten Ferien vor der Tür. Da Fasching und Co. in Schweden unbekannt sind, heißt das hier Sportferien und konsequenterweise fahren auch 80% meiner Schüler in die großen schwedischen Skigebiete in Åre und Sälen. Aber auch wir haben gerade 15 cm Neuschnee und kein Tauwetter in Sicht. Aber bevor wir uns in die Loipen stürzen, wollte ich mal ein bisschen von meinem neuen Job erzählen.

Üblicherweise hat jede schwedische Kommune eine Musik- oder Kulturschule, ggf. mit Außenstellen in verschiedenen Orten oder Stadtteilen. Lediglich eine Handvoll der 290 Kommunen in Schweden haben keine Musikschule. Und wir? Wir wohnen in einer Kommune mit zwei kommunalen Musikschulen. Das hat vor allem historische Gründe, denn in den 70er Jahren wurden hier vier kleinere Kommunen von der großen Stadt eingemeindet. Vier Gemeinden? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, der Eingemeindung Widerstand zu leisten. Und da wohnen wir jetzt.

Auf dem Papier wurde die Eingemeindung zwar vollzogen, aber das gallische Dorf hat sich in vielen Punkten seine Eigenständigkeit bewahrt. Dazu gehört auch der Luxus einer eigenen Musikschule. Dort sind wir 7 Lehrer in Vollzeit (Streichinstrumente, Blechblasinstrumente, Holzblasinstrumente, Zupfinstrumente, Schlagwerk, Querflöte/Gesang und Klavier/Blockflöte) und dementsprechend familiär geht es zu.
(Zum Vergleich: In der großen Stadt, also in der Kulturschule, in der Jonas unterrichtet, gibt es über 50 Lehrer. Zusätzlich zum Instrumentalunterricht werden dort auch die Fächer Tanz, Theater, Kreatives Schreiben, Bildende Kunst, Zirkus, Textildesign, Comiczeichnen und digitale Musikproduktion angeboten.)

Alle (!) Erstklässler in unserer Kommune lernen ein Jahr lang das Angebot der Musik-/Kulturschule kennen. In Deutschland heißt sowas oft Instrumentenkarussell und ist ne feine Sache, aber eben nur, wenn sich die Eltern darum kümmern und das Kind anmelden (und dafür bezahlen). Hier heißt es kulåret, das „Lustigjahr“, und es steht einmal die Woche im Stundenplan. Jeweils vier Wochen lang kommen die Musikschullehrer in die Klasse (bei mir in den Dorfschulen sind das etwa 8-14 Kinder) und stellen ihre Instrumente vor. Der Klassenlehrer bleibt in dieser Zeit im Raum, was die Sache für alle Beteiligten einfacher macht. Oft sind auch noch weitere Erwachsene im Raum, denn Kinder „mit Diagnose“ (wie ADHS, Autismus, Leserechtschreibschwäche oder auch Downsyndrom) oder einer körperlichen Behinderung haben ein Anrecht auf einen personlig assistent, der sie den ganzen Tag begleitet und im Unterricht unterstützt, damit sie auf die gleiche Schule gehen können wie die Nachbarskinder auch.

Am Ende der ersten Klasse kennen die Kinder dann das komplette Angebot der Musikschule und dürfen wählen, welches Instrument sie spielen möchten. Auf diese Weise stürzen sich nicht alle nur auf die „coolen“ Instrumente Gitarre und Schlagzeug, nur weil sie nichts anderes kennen.

Als Zweitklässler kann man dann an der wöchentlichen „Orchesterschule“ in der Musikschule teilnehmen. Egal mit welchem Instrument, auch mit Gitarre, Blockflöte oder Klavier. Zu Beginn trifft sich das ganze Orchester + alle Instrumentallehrer und man singt ein gemeinsames Begrüßungslied, dann gehen die Lehrer mit ihrer Gruppe für eine halbe Stunde in den eigenen Unterrichtsraum und man erarbeitet gemeinsam ein Stück, das in den letzten zehn Minuten in voller Besetzung geprobt wird. Wir reden hier natürlich „nur“ von Stücken im Ein- bis Fünftonraum, aber wenn dann die Lehrer auch noch mitspielen, klingt das trotzdem nach ziemlich viel.

Alternativ oder zusätzlich können die Kinder ab der zweiten Klasse auch Einzelunterricht bekommen. In meiner Musikschule ist es so, dass der Instrumentalunterricht zusätzlich zum normalen Musikunterricht im Klassenverbund in den Schulalltag eingebunden ist. Ab zwei Schülern pro Instrument und Schule kommt der Musikschullehrer während der Unterrichtszeiten an die Grundschule, sodass die Eltern nicht nachmittags Taxi spielen müssen.

Vormittags bin ich daher öfters auswärts im Radius von 10 km unterwegs und warte im Musiksaal oder eigenen Klavierraum einer Grundschule auf meine Schüler, die für den Klavierunterricht dann eben 20 Minuten Mathe, Schwedisch oder was-auch-immer verpassen. Natürlich versuchen wir zusammen mit den Klassenlehrern, den Unterricht so zu koordinieren, dass nicht gerade ein Fach betroffen ist, das dem Schüler schwerfällt. In der kleinsten meiner Auswärtsschulen (66 Kinder in 6 Klassenstufen) ist der Musiksaal in der Bibliothek. Oder umgekehrt, wie man’s nimmt.

Musiksaal=Bibliothek

In den meisten Grundschulen herrscht drinnen Straßenschuhverbot und die Kinder gehen auf Strümpfen, was bei mir immer irgendwie ein Wohnzimmerfeeling erzeugt. Sogar viele Lehrer tragen keine Hausschuhe, nur Wollsocken. Nur ich komischer Ausländer komme mir wahnsinnig blöd vor, in Socken zu unterrichten. (Außerdem pedalisiert sich’s auf Socken so schlecht). Ständig Hausschuhe mit mir rumschleppen will ich aber auch nicht und für diesen Notfall gibt es am Eingang der Schulen immer ein Körbchen mit schlumpfblauen Plastikkondomen für die Füße:

Fußkondome

Die älteren Grundschüler (ab 7. Klasse) kommen dann meist nachmittags in die Musikschule. Nicht, weil Teenagereltern eher als Fahrdienst dienen sollen, sondern weil die einzige Grundschule des „gallischen“ Teils der Kommune für die Klassen 7-9 neben der Musikschule liegt und Schule ja ohnehin eine Ganztagesangelegenheit ist.

Haus der Musik

In meinem Unterrichtsraum habe ich zwei Klaviere und zwei E-Pianos, was äußerst komfortabel ist. Eine gewöhnliche Unterrichtsstunde dauert zwar nur zwanzig Minuten (was ich persönlich ein bisschen zu kurz finde, zumindest bei den engagierteren Schülern), aber so kann ich die Schüler ein bisschen früher bestellen, sodass sie sich mit Kopfhörern am E-Piano einspielen können, während ich noch mit dem vorhergehenden Schüler beschäftigt bin.

Unterrichtsraum

Eigentlich ist Einzelunterricht bei uns der Standard, aber ich habe auch ein paar Zweiergruppen, die auf eigenen Wunsch zusammen Unterricht haben. Logischerweise dauert der Unterricht dann 40 Minuten. Nur Gymnasiasten, also Schüler der 10.-12. Klasse, erhalten 40 min Unterricht pro Woche. Anfangs waren die 20 Minuten für mich etwas gewöhnungsbedürftig, aber ich habe mich inzwischen dran gewöhnt.

19. Dezember 2012 – Chorfantasie über »O Tannenbaum, du trägst ein‘ grünen Zweig«


Eines der wenigen deutschen Weihnachtslieder, das ich mir auch heute noch gerne anhöre, ist O Tannenbaum, du trägst ein‘ grünen Zweig. Wahrscheinlich liegt das vor allem daran, dass sich dieses Lied mit seinem eher nachdenklichen Tonfall nicht besonders gut als Kaufhausbeschallung eignet. Hinzu kommt, dass ich es mit einem der besten und prägendsten Lehrer in Verbindung bringe, dich ich während meines Studiums hatte: Peter-Michael Riehm. O Tannenbaum, du trägst ein‘ grünen Zweig war eines seiner Lieblingsbeispiele, um uns Studenten den Unterschied zwischen schlecht komponierten pseudo-Volksliedern wie O Tannenbaum, o Tannenbaum, wie grün sind deine Blätter – schneidiger Kommentar eines Kommilitonen: »Das ist halt eine gerrrade, prrreußische Tanne!« – und echter Volksmusik (im besten Sinne!) aufzuzeigen.

Kurz bevor ich dann bei diesem Lehrer mein Hauptfachstudium in Musiktheorie beginnen wollte, verstarb er ganz plötzlich. Nachdem wir dann letztes Jahr in Schweden angekommen waren und mit Göteborgs Vokalensemble ein Weihnachtskonzert vorbereiteten, schrieb ich folgende Chorfantasie in Gedenken an Peter-Michael Riehm.

O Tannenbaum, o Tannenbaum
du trägst ein‘ grünen Zweig.
Den Sommer, den Winter,
das dau’rt die liebe Zeit.

Warum sollt‘ ich nicht grünen,
da ich noch grünen kann.
Ich hab nicht Mutter noch Vater,
die mich versorgen kann.

Doch der mich kann versorgen,
das ist der liebe Gott,
der lässt mich wachsen, grünen,
drum bin ich stark und groß.

Von Baby-Elefanten und Bewerbungsgesprächen


Kurz nachdem Annika wusste, dass sie den neuen Job bekommen würde, entdeckte ich eine spannende Anzeige auf der Seite der arbetsförmedlingen: Die dortige Kulturschule suchte zum neuen Schuljahr einen Kontrabasslehrer, Teilzeit und tillsvidare (unbefristet). Zum Glück darf man in Schweden gleichzeitig arbeiten und studieren, was in Deutschland meines Wissens nur eingeschränkt möglich ist, so dass ich mich bedenkenlos bewerben konnte. Als ich einige Tage später bei der Kulturschule anrief, um zu fragen, wie weit denn die Auswahl schon gediehen sei, bekam ich meinen Termin für das Bewerbungsgespräch gleich per Telefon durchgegeben. Zusätzlich sollte noch eine kleine Probeprobe mit einem Ensemble der Schule stattfinden. Meine Freude war natürlich groß, denn zum einen vermisse ich das Kontrabassspiel, zum anderen aber auch, überhaupt unterrichten zu können. Außerdem fände ich es schön, nach dem Studium nicht in das große „Und-was-mache-ich-jetzt?“-Loch zu fallen, sondern zumindest teilweise zu wissen, wie es weitergeht.

Erst einige Wochen später, nachdem ich mir schon Sorgen gemacht hatte, ob ich mich denn jetzt wirklich vorstellen dürfte, bekam ich endlich auch die schriftliche Einladung inklusive der Noten für die Probe.
Gestern war es dann soweit. Das Vorstellungsgespräch verlief ziemlich genau so, wie ich es mir ausgemalt hatte: Eine ziemlich große Kommission – sechs Menschen in unterschiedlichen Funktionen – saß mit mir an einem runden Tisch. Wir redeten über alles mögliche, freundlicher Smalltalk wurde mit jobrelevanten Fragen vermischt. Neben meinen Erfahrungen als Kontrabasslehrer ging es ebenso um mein Studium und Annikas Job; sogar unser VW-Bus wurde zum Thema, denn der Schulleiter träumt anscheinend schon lange von einem Wohnmobil. Als er mich dann fragte, was wir denn im Sommer damit vorhätten, fragte ihn die Geigenlehrerin: »Warum, willst du es dir ausleihen?« Angenehm fand ich übrigens, dass mir ohne Nachfrage mitgeteilt wurde, dass es insgesamt nur drei Bewerbungen auf die Stelle gab – alle Geigen- und Klavierlehrer dürfen jetzt gerne neidisch gucken.

Am Nachmittag war dann die Probe angesetzt: Zuerst stand Henry Mancinis Baby Elephant Walk aus dem Film Hatari! auf dem Programm, gespielt vom Streichorchester der Kulturschule, danach ein klassisches Streichquartett von Johann Georg Distler. Leider waren sie mit dem Zeitplan anscheinend schon ziemlich im Verzug, da man aber die Kinder trotzdem pünktlich wieder entlassen wollte, hatte ich sehr wenig Zeit und konnte keinen wirklich schönen Bogen schlagen. Insgesamt habe ich mich aber nicht ganz schlecht geschlagen, glaube ich.

Nächste Woche wollen sie mir Bescheid geben. Außer dem Kontrabassunterricht könnte ich auch noch andere Aufgaben übernehmen, zum Beispiel E-Bass, Orchester, Band, Vorstellung der Streichinstrumente in Grundschulen, vielleicht sogar etwas Kompositionsunterricht.
Das alles ist sehr spannend, aber jetzt heißt es vorerst Bangen und Hoffen. Andererseits muss ich mir aber auch sagen, dass das mein erstes „echtes“ Bewerbungsgespräch außerhalb einer Hochschule war und dass ich noch ein Jahr Zeit habe, um mich umzugucken und hier und da zu bewerben, bevor mein Studium zu Ende ist. Ich habe also nichts zu verlieren.

Aber trotzdem…

Vikariat


Anders als in Deutschland, wo jede Schule tagtäglich aufs Neue jongliert, wenn Lehrkräfte kurz- oder längerfristig ausfallen, ist das Vertretungslehrersystem in Schweden kommunal organisiert. Stellt eine Schule fest, dass eine Lehrkraft ausfällt, dann ruft sie in der kommunalen Vertretungslehrerzentrale an, die dann aus einem Vertretungslehrerpool jemanden sucht und direkt zur entsprechenden Schule schickt. Das hat den Vorteil, dass dadurch insgesamt weniger Stunden ausfallen, weil es hier sehr viele kleine Schulen gibt, die gar keine Ressourcen hätten, sich anders zu organisieren. Andererseits haben die Vertretungslehrer so kaum eine Chance, sich auf den Unterricht vorzubereiten und natürlich kennen Lehrer und Schüler einander dann auch nicht.

Vor kurzem habe auch ich mich im lokalen Vikariepool registriert und prompt klingelte am Dienstagmorgen mein Handy mit einer Anfrage der kommunalen Vertretungszentrale, ob ich am selben Tag nachmittags ein vierstündiges vikariat (nein, ich will nicht Pfarrer werden) in einer förskola übernehmen könnte, dort sei ein förskolelärare krankgeworden. Vorschule heißt hier alles, was vor der Schule kommt, also Kinder von 1-5/6. Da in meinem Profil ausdrücklich steht, dass ich für größere Kinder ausgebildet bin, war ich zwar etwas überrascht über die Anfrage, aber Lehrer ist Lehrer und Job ist Job und immerhin habe ich jahrelange Erfahrung als Babysitter (schönen Gruß an die „Babys“, falls ihr hier zufällig vorbeischaut…).

Ablehnen ist in so einer Situation keine gute Idee, denn wenn man sich im Kalender der Online-Plattform für einen bestimmten Zeitraum als arbeitsbereit ankündigt und dann dennoch eine Vertretung für diesen Zeitraum ablehnt, kriegt man eine Notiz im Profil, die drei Monate lang gespeichert wird. Mit fünf Notizen fliegt man aus dem Pool, aber ich vermute, dass auch schon mit weniger Notizen die Chancen auf zukünftige Vermittlungen sinken.

Mit Babysittererfahrung und polizeilichem Führungszeugnis im Rucksack (das war die einzige „harte“ Voraussetzung, um in den Vikariepool aufgenommen zu werden) stand ich dann also pünktlich um eins auf der Matte der Apfelgruppe, die aus elf Drei- und Vierjährigen bestand. Und drei Betreuerinnen, davon eine Praktikantin. Ich wusste weder, was ich erwartete, noch was mich erwartete, denn das letzte Mal, dass ich einen Kindergarten von innen gesehen habe, war vor über zwei Jahrzehnten und ungefähr 1300 km von hier. Ach nein, vor acht Jahren oder so war ich noch beim Sommerfest eines meiner „Babys“, zählt das?
Nun ja, die beiden Vorschullehrerinnen begrüßten mich zwar sehr freundlich, machten aber keinerlei Anstalten, mich in irgendeiner Form einzuweisen; von den Namen der Kinder mal abgesehen – die ich nach ungefähr zehn Sekunden wieder vergessen hatte, weil ich gerade in die Spielgruppe „Frisör“ einiger Apfelmädchen integriert wurde und mich gegen einen Kamm im Ohr zur Wehr setzen musste. Ich wusste daher bis zuletzt nicht, ob und wenn ja: wo es eine Toilette für Menschen gibt, die schon wissen, wie man damit umgeht oder ob das …ähm… Trainingsgelände auch für die fröken* vorgesehen war.

Habe daher den Nachmittag lang darauf verzichtet, etwas zu trinken, um das Problem zu vermeiden. Auch so überflüssige Sachen wie Erste-Hilfe-Kasten oder wo das Telefon steht, hat man mir nicht gezeigt. Wäre ja auch alles halb so wild gewesen, wenn ich nicht die letzten eineinhalb Stunden mit den elf Äpfelchen alleine gewesen wäre. Das war anscheinend auch kein Zufall, sondern wohl von vornherein so im Arbeitsplan vorgesehen. Kurz nachdem ich gekommen war, ging die Praktikantin heim, eine Stunde später packte die Nächste ihre Sachen und um halb vier verschwand Erzieherin Nr. 3. Dass sie vorher nochmal die vier Kinder gewickelt hat, die noch nicht stubenrein waren, dafür war ich ihr sehr dankbar.

Das heißt jedoch nicht, dass die anderen sieben Äpfel diesbezüglich deutlich weiter gewesen wären, aber ich möchte jetzt nicht ins Detail gehen. Zum Glück waren alle Kinder so selbstständig, dass sie mir zeigen konnten, wo ihre Kiste mit den frischen Klamotten stand. Und Freundschaften unter Dreijährigen reichen glücklicherweise so weit, dass man sich gegenseitig auch mit Unterhosen aushilft.
Alles in allem war ich dennoch positiv überrascht, wie selbstständig die Kinder waren. Beim Nachmittagsfika wollte ich intuitiv die volle 1,5-Liter-Packung Milch nehmen und für alle an meinem Tisch einschenken, aber da traf ich auf höchste Entrüstung! Das macht man doch selbaaa! Und tatsächlich, in diesem Fall ging wirklich kein Tropfen daneben (anders als… aber lassen wir das).

Die letzte Stunde war dann trotzdem hart. Gegen vier wurden die elf Äpfel nämlich langsam müde und dementsprechend quengelig und weinen ist ja bekanntlich in dem Alter ansteckend. Da weint man schonmal aus Solidarität mit der besten Freundin mit, wenn bei der der Strumpf verkehrtherum am Fuß sitzt und die Antirutschnoppenschweinchen alle auf statt unter dem Fuß sitzen. Zumindest habe ich das so verstanden, denn weinende Dreijährige zu verstehen, finde ich ja schon auf Deutsch nicht immer einfach. Als der Strumpf dann umgedreht war, war die Welt aber wieder in Ordnung und mein Knie frei für den nächsten Patienten.

Das war Alexander, der auf einen Legostein getreten war. Auf meine Frage, wie er heiße (strategisches Ablenkungsmanöver!), antwortete er mit nuschlnuschl.
– Na komm, nuschlnuschl, setz dich mal her zu mir, dann schaun wir mal nach dem Fuß.
– Nääääj! Jag heter Alexander: A-L-E-X-A-N-D-E-R, R-E-D-N-A-X-E-L-A!
Auf meine Frage, wie alt er sei, streckte er mir drei Finger entgegen. Und dann tat der Fuß auch nicht mehr weh.

Insgesamt schien es keines der Kinder sonderlich zu stören, dass da auf einmal ein fremdes fröken saß. Auch die Eltern wirkten beim Abholen kaum überrascht, dass da jemand ganz Fremdes auf ihre Kinder aufpasste. Irgendwie war ich wohl die Einzige, die das seltsam fand. (Ok, wenn wirklich was Ernstes gewesen wäre, wäre im Nachbarhaus auch noch die Pfifferlingsgruppe gewesen. Aber trotzdem.)

Ich glaube, ich habe mich ganz gut geschlagen, vor allem in meiner Paradedisziplin „Vorlesen mit verschiedenen Stimmen“. Ein paar Äpfelchen waren zwar traurig, dass ich mit ihnen nicht das Schmetterlingslied singen konnte, dafür haben sie wahrscheinlich noch zu Hause das Lied von den deutschen Bienchen gesungen. Mein stimmhaftes „s“ in SummSummSumm hat sie nämlich schwer beeindruckt.
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*Fröken – wörtl.: Fräulein, die übliche Anrede der Kinder für die Vorschulpädagogen (auch männliche!), obwohl das Wort aus dem restlichen schwedischen Sprachgebrauch völlig verschwunden ist und sich die Vorschullehrer auch heftig dagegen wehren, so genannt zu werden.