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Zwischen Wollen und Sollen


Gerade haben wir eine Woche Herbst“ferien“ hinter uns. „Ferien“ in Anführungszeichen, weil die Schüler zwar Ferien, wir Lehrer aber Fortbildungstage haben. Da ich ja gerade Teilzeitstudent an der Musikhochschule in Ingesund/Arvika im Fach Orchesterleitung bin, passte es ganz gut, dass das zweite von insgesamt fünf Wochenendseminaren an diesem Wochenende lag, dieses Mal in Mjölby, denn im Anschluss an die zwei Tage Kurswochenende fand gleich noch das zweitägige Symposium für Leiter von Jugendorchestern statt.

Auch diesmal konnten unsere Dozenten und Kurskollegen aus Norwegen nur via Zoom teilnehmen, was zu teilweise absurden Unterrichtssituationen führte. An Vorlesungen und Seminare vor dem Bildschirm haben wir uns ja alle inzwischen gewöhnt, aber ein Orchester aus einem Ipad zu dirigieren ist eben doch für alle Beteiligten irgendwie… meeeh.

Ganz klein: Der Kurskollege im iPad dirigiert uns aus Norwegen, daneben sitzt unser Kursleiter.

Aber das war eigentlich nur ein Randphänomen dieser vier Tage. Aus Gründen war dieses Jahr die Teilnehmerzahl des Symposiums auf 40 begrenzt, in einem Saal für über 400 Personen, und man merkte, wie ausgehungert alle waren, endlich mal wieder spielen zu dürfen.

Beim Symposium mit Masterclass waren wir ein paar mehr Teilnehmer – endlich mal wieder ein richtiges Orchester.

Beim Spielen waren alle durch Plexiglasscheiben voneinander getrennt, plus 1,5m Abstand. Auch das drumherum – Hotel, Mahlzeiten, Kaffeepausen – war alles richtig toll coronamäßig organisiert, sodass man nie jemandem zu nah kommen musste, und alle fünf Meter stolperte man über Handdesinfektionsmittel.

An der Hotelrezeption: „Dippe deinen Finger (in Desinfektionsmittel), bevor du deinen Code eingibst!“

Am Ende der vier Tage fühlte man sich in Ideen mariniert und hatte so richtig Motivation für die Orchesterarbeit getankt. Und sowieso und überhaupt war die Welt mal für ein paar Tage in Ordnung, auch weil man vier Tage lang keine Zeit, Lust und Gelegenheit hatte, ins Handy zu gucken um die Nachrichtenlage zu checken, sondern einfach mal einer Bubble der Glückseligkeit leben durfte.

Zwei Tage später, am Donnerstag, wurden für fünf Regionen Schwedens „verschärfte Empfehlungen“ verkündet.

Nun hat es Schweden ja bekanntermaßen nicht so mit Verboten und gesetzlich verankerten Einschränkungen des öffentlichen Lebens, dennoch haben die „Empfehlungen“ der Folkhälsomyndigheten denselben Stellenwert einer deutschen Verordnung – mit dem kleinen Unterschied, dass man nicht belangt werden kann, wenn man dagegen verstößt. In Schweden regelt das die Selbstkontrolle, bzw. die soziale Angst davor, aus der Reihe zu tanzen.

Die „verschärften Empfehlungen“ die jetzt also in Stockholm, Västra Götaland, Skåne, Uppland und Östergötland und damit für rund 6 der 10 Millionen Einwohner Schwedens gelten, umfassen unter anderem:

  • Vermeiden von Aufenthalt in geschlossenen Räumen wie z.B. Geschäfte, Einkaufszentren, Bibliotheken, Museen, Theater, Bibliotheken, Schwimmhallen und Fitnesscentern. Ausgenommen sind Supermärkte und Apotheken.
  • Keine Teilnahme an Konferenzen, Vorstellungen, Konzerten, Training oder Wettkämpfen. Ausgenommen ist Training für Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren sowie Profisport.
  • Keine Feste und sozialen Kontakte mit Menschen außerhalb des eigenen Haushalts.

Im Vergleich zu wie es in Schweden im Frühjahr war, wo nur Abstand halten, Händewaschen und bei Symptomen zuhause bleiben kommuniziert wurden, sind das jetzt deutlich schärfere Maßnahmen und glaube ich ziemlich ähnlich mit dem, was ab Montag auch in Deutschland gilt. Abgesehen davon dass niemand wegen Verstößen bestraft werden kann.

Als Betriebsrat wurde Jonas gestern zu einer außerordentlichen Zoomkonferenz einbestellt, um zu diskutieren, was das jetzt für uns an der Kulturschule heißt. Da wir dem Selbstverständnis nach mehr Schule als Freizeitaktivität sind, wird der Unterricht weiterhin stattfinden, allerdings keine Konzerte, Schüler dürfen sich nicht mehr in den Korridoren aufhalten, Eltern sollen draußen warten. Was für die Orchester gilt, werden unsere Chefs im Einzelfall beurteilen. Hmpf.

Freitagmorgen war ich noch das letzte Mal beim Schwimmtraining, um 12:00 sollte die Schwimmhalle für die Öffentlichkeit dicht machen. Wir waren noch zu dritt. Jeder hatte drei Bahnen für sich. Yeah.

Leere Umkleidekabine morgens um 6:20, bevor um 12:00 alle Schwimmbäder dicht machen müssen.

Seit sechs Monaten in Schweden – I


Heute vor sechs Monaten, an einem Dienstag im August, sind wir in Schweden angekommen. Zeit also für einen kurzen Zwischenstand. Ausgehend von unseren Kategorien in der rechten Spalte werden wir die nächsten Tage ein wenig auf das letzte halbe Jahr zurückblicken.

Arbeta och studera – arbeiten und studieren:

Jonas:
Als Komponist habe ich fantastische Bedingungen an der Göteborger Musikhochschule. Meine Auftragskomposition für großes Orchester wird im April uraufgeführt und demnächst beim Sirén-Festival, bei dem drei Tage lang die ganze Hochschule im Dienste der Kompositionsklasse steht, stehen drei meiner Stücke auf dem Programm (mehr dazu). Die Chemie zwischen mir und meinen drei Hauptfachlehrern (Komposition, Komposition und Komposition) stimmt ebenfalls und mit meinen Kommilitonen komme ich immer mehr in Kontakt – ich bin ja nicht so oft in Göteborg und daher ergeben sich auch nicht so viele Möglichkeiten für Diskussionen mit den anderen Kompositionsstudenten der Hochschule.
Auch hier bei uns in der Kommune bin ich bereits als Komponist angekommen und erhielt von unserer Kommune Ale das Kulturstipendium 2011, was die Lokalpresse auch gebührend würdigte

Annika:

Die Dinge gehen vielleicht nicht immer gerade, aber immer irgendwie vorwärts...

Es hat zwar fünf Monate gedauert, aber im Januar hat es dann endlich mit einer Anstellung geklappt. Fünf Monate waren länger als erhofft, aber kürzer als befürchtet. So richtig fest im Sattel sitze ich zwar noch nicht, weil der Job nur teilzeit und befristet ist, aber dennoch fühlt es sich für den Moment gut an. Zumal sich allmählich zeigt, dass ich immer öfter zu Vorstellungsgesprächen eingeladen werde und eine unbefristete Festanstellung in einer Position, in der ich mich weder über- noch unterfordert fühle, nicht völlig außer Reichweite ist. Also alles im gelben Bereich mit Tendenz ins Grüne.
Außerdem profitiere ich von den zahllosen kostenlosen Weiterbildungsangeboten hier in Schweden. So viele Sprachkurse und eine Weiterbildung im Projektmanagement hätte ich mir in Deutschland nicht leisten können.


Linktipp


Heute gibt’s an dieser Stelle mal Eigenwerbung: Seit einigen Tagen ist in unserer Linksammlung in der rechten Spalte eine neue Seite erschienen: Nämlich meine eigene, auf der ich mich als Komponist vorstelle. Die Seite ist als Blog konzipiert und neben der Vita und einer Liste aller bisher geschriebenen Werke gibt es auch erklärende und kommentierende Texte zu jedem Stück, einige Seiten der Partituren zum Download, die Möglichkeit meine Noten zu bestellen und außerdem Hinweise auf kommende Konzerte, in denen meine Musik zu hören sein wird. Ich freue mich auf zahlreiche Besucher und hoffentlich die eine oder andere Kontaktaufnahme!

Hier nochmal die ganze Adresse: http://jonasmuething.wordpress.com/

Einfach so.


Ich glaube, Schweden tun nichts ohne Grund. Dinge einfach so zu tun, scheint hier etwas ganz Verpöntes zu sein. Dass jemand einfach so spazieren geht, d.h. ohne sichtbaren Grund durch den Wald hinter seinem Haus latscht, habe ich noch nie gesehen. Alle Menschen, die ich im Wald treffe, wenn ich dort spazieren gehe, haben einen bestimmten Grund, dort zu sein: einen Hund, einen Pilzkorb, Walkingstöcke, Laufschuhe. Oder wenn wir an den See gehen: die Schweden haben mindestens eine Angel, ein Boot oder ein Kind dabei, das gerade schwimmen lernt. Im Garten: hier sitzt niemand einfach so im Garten, schließlich kann man im Garten Rasen mähen, Unkraut zupfen oder Blumen gießen. Ich glaube, deshalb gibt es hier auch so viele Vereine: man braucht einfach einen Grund, um soziale Kontakte zu pflegen, und geht nicht einfach so jemanden besuchen und quatschen.

Nicht nur, aber auch deshalb, haben wir uns jetzt wieder einen Chor gesucht. Und siehe da: die Chorprobe ist mit knapp drei Stunden deutlich länger als bei den meisten vergleichbaren Chören in Deutschland, dafür ist die halbstündige fikarast fester Bestandteil jeder Probe. Fika ist gesellschaftlich toleriertes Rumsitzen mit gleichzeitigem Konsum koffeinhaltiger Getränke. Da die Chorprobe abends stattfindet, heißt fika hier: jede Woche bringt jemand anderes einen riesigen Korb mit Brot, Aufschnitt, Obst, Gemüse und Süßkram mit und schleicht sich kurz vor der Pause weg, um den Tisch für alle zu decken. Das fördert die Kommunikation im Chor tatsächlich ungemein.

Unser Einstieg in Göteborgs Vokalensemble war ziemlich gut getajmt (wie der Schwede sagt), denn wir konnten gleich mit zum ersten Probenwochenende. In einem B&B auf der Insel Tjörn an der Westküste probten wir von Freitagabend bis Sonntagmittag.

[Lekanders Bär och Boende ist ein ehemaliger Bauernhof, der irgendwann seinen Schweinestall zu Gästezimmern umgebaut hat. Sehr luxuriös für ein B&B, dabei gleichzeitig mit rustikalem Bauernhofcharme mit vielen alten Möbeln, wir können es jedem weiterempfehlen, der mal auf Tjörn Urlaub machen möchte.]

Zwei nichtsingende Ehemänner waren als Köche abgestellt und eigentlich sollte man über das Wochenende eher sagen: Wir haben von Freitag bis Sonntag gegessen und zwischendurch auch ab und zu geprobt. Frühstück – Fika – Mittagessen – Fika – Abendessen – Fika… Höhepunkt war der Samstagabend, als es ein ***Menü gab: Minz-Sternanis-Cider als Aperitiv, Blumenkohlcouscous mit Pastinaken als Vorspeise, gebratenes Fleisch mit selbstgesammelten Pfifferlingen, Backkartoffeln und Bohnensalat als Hauptspeise und American Cheesecake mit gefrorenen Waldbeeren als Dessert. Und Kaffee, natürlich.

Am Sonntagnachmittag hatten wir dann das dringende Bedürfnis nach Bewegung und sind noch ein paar Kilometer weiter ins Küstenstädtchen Skärhamn gefahren. Das Wetter war natürlich so, wie man es im Herbst an der Westküste erwartet: blåsigt. Selbstverständlich hatten wir die Kamera dabei, damit es nicht so aussah, als ob wir einfach so an einem trüben Herbsttag durch die Schären spazierten…

Doch zurück zum Chor: Der Chor ist ähnlich groß und ähnlich gut wie Chorioso, unser Karlsruher Chor. Das aktuelle Programm ist eher kleinteilig angelegt, (Palestrina, Schütz und diverse schwedische Komponisten wie Ninne Olsson, Sten Källman, Ingmar Wilestrand u.a.) – Allerheiligen und Weihnachten nahen… Und zufällig – die Welt ist klein – hat die Chorleiterin ein Jahr in Karlsruhe studiert und ist mit einem Stuttgarter verheiratet.
Vom der ersten Probe an haben wir uns in diesem kleinen, aber feinen Chor wohlgefühlt und wurden von allen sehr herzlich aufgenommen. Einfach so.

Die erste Woche zum Zweiten


Nun ist meine erste Woche an der Högskola för scen och musik (wörtlich: Hochschule für Bühne und Musik) vorbei. Zeit also für einen kleinen Rückblick:

Der eigentliche Semesterbeginn war zwar erst am 1. September, also am Donnerstag, für uns Neuankömmlinge waren jedoch die Tage von Montag bis Mittwoch für allgemeine Einführungsveranstaltungen vorgesehen. Also nahm ich früh am Montag den Bus nach Göteborg, um als allererstes alle wichtigen Personen – also vor allem die Verwaltung und die Leiter der einzelnen Studiengänge – kennen zu lernen und um einen Ausblick auf die kommenden Tage zu bekommen. Außerdem wurde uns eröffnet, dass alle „Erstis“ bei der offiziellen Semestereröffnung an einer Massenimprovisation teilnehmen sollten – was anscheinend eine gewisse Tradition in Göteborg hat. Für diese Improvisation wurde dann auch gleich geprobt, danach war der Montag für mich vorbei.

Der erste Kompositionsauftrag

Ming Tsao, mein hiesiger Hauptfachlehrer, hatte bereits einige Tage zuvor mit mir Kontakt aufgenommen, um für Dienstag einen Termin für einen ersten Einzelunterricht auszumachen. Nun wurde es also gleich ernst, der Ausgang dieser ersten Stunde war jedoch mehr als unerwartet: SNOA, die schwedische Orchesterakademie, in der sehr fortgeschrittene Studenten speziell auf das Orchesterspiel vorbereitet werden, führt einmal im Jahr ein Stück der Kompositionsklasse auf, und der Auftrag, dieses Stück zu schreiben, fällt auf mich! Was für ein Sprung ins kalte Wasser. Aber natürlich freue ich mich sehr über diese Gelegenheit für eine große Besetzung zu schreiben, in der Gewissheit, dass das Stück auch wirklich aufgeführt wird.

Semestereröffnung in familiärem Rahmen

Der Mittwoch war wiederum mehr der generellen Einführung gewidmet, neben einer Einführung in das lokale Computersystem und einer Rundwanderung durch das Gebäude stand nun auch die offizielle Semestereröffnung auf dem Programm, zu der vor allem zu sagen ist, dass ich noch nie eine so kurzweilige Semestereröffnung erlebt habe: mit Weltmusik und Jazz, halb improvisiertem Theater, einer spontanen Chorprobe und zirkusreifen Schlagzeugdarbietungen. Außerdem mit einem Rektor in Jeans und Hochschul-Poloshirt, der keine Reden hielt, sondern vor allem Spontaninterviews mit den einzelnen Abteilungen führte (Klassische Musik, SNOA (s.o.), Jazz, Schauspiel, Musical, Kirchenmusik, Oper, Komposition und Pädagogik). Und last but not least: die Hochschule leistete sich eine Simultanübersetzung ins Englische für alle internationalen Studenten (und das waren weitaus weniger als an meiner früheren Hochschule)!

Am Donnerstag und Freitag gab’s dann speziellere Informationen für die (insgesamt 29) Masterstudenten aller musikalischen Fächer der Hochschule, ein Begleitseminar zu unseren Masterprojekten, einen Film für die Komponistenklasse und – als speziellen Service für die gesamte Universität – Sprachcoaching für unsere Masterarbeit und auch für andere Texte auf Englisch und Schwedisch. Insgesamt also eine äußerst ereignisreiche Woche, aus der ich ein bisher äußerst positives Fazit über die Hochschule ziehen kann: Die Ausbildung ist sehr klar strukturiert, ohne einengend zu sein. Die Ausstattung der Hochschule ist fantastisch, insbesondere dann, wenn man sich nicht nur dafür interessiert, ob auch in jedem Zimmer ein Flügel steht – denn das ist nicht unbedingt der Fall. Die Atmosphäre ist sehr angenehm und der Unterricht, den ich bisher hatte, war sehr gut.

Initiationsritus für Erstsemester und meine erste schwedische Sprechrolle auf der Bühne

Abschließend muss hier aber auch noch über den nicht-fachlichen Teil gesprochen werden: Am Freitagabend war nämlich Insparksfesten, die Semestereröffnung des Studentkår (AStA). Eine schwedische Tradition verlangt es, dass sich sämtliche Neuankömmlinge an der Hochschule einem Initiationsritus unterziehen müssen, der wohl je nach Fachbereich äußerst unterschiedlich ausfallen kann. Bei uns bot sich dafür natürlich eine Mischung aus Schauspiel und Musik an, so dass wir in kleine Gruppen eingeteilt wurden, um eine Szene einzustudieren. Alle Gruppen sollten einen schwedischen Schlager, der am Melodifestival (Eurovision Song Contest, einem der wichtigsten gesellschaftlichen Ereignisse hier in Schweden) teilgenommen hat, im Stile eines Disney-Films interpretieren. In unserem Fall mussten wir also Arielle, die Meerjungfrau und den Grand-Prix-Gewinner von 1984 Diggi Loo Diggi Ley miteinander verbinden, was mir direkt meine erste schwedische Sprechrolle als Triton sowie den ersten Wettbewerbsgewinn in Schweden einbrachte!

Maestro – Schweden sucht den Superdirigenten


Vor ein paar Tagen haben wir mal spaßeshalber unseren Fernseher in die vorhandenen Steckdosen eingestöpselt, uns aber eigentlich nicht viel davon versprochen. Doch siehe da, wir haben tatsächlich ein paar Programme, welche die Telia, das schwedische Pendant zur Telekom, uns anscheinend kostenlos zur Verfügung stellt. Dazu zählen SVT 1 und SVT 2, die als staatliche Sender vom Status her vergleichbar sind mit ARD und ZDF. Außerdem gibt es einen Sender, der den ganzen Tag ausschließlich Opern- und Konzertmitschnitte zeigt, einen Kinderkanal und zwei oder drei weitere Sender, deren Programmschwerpunkte sich uns noch nicht vollständig offenbart haben, weil jeder einzelne sich irgendwo zwischen Pro 7, Discovery Channel und arte bewegt. Ach ja, und wir haben Eurosport. Danke dafür…

Die Öffentlich-Rechtlichen: Nachrichten und Dokus

Auffällig ist, dass es auf allen diesen Sendern kaum Spielfilme gibt, weder schwedische noch internationale, die scheinen auf anderen Programmen zu laufen. Dafür gibt es gefühlt 30 Minuten pro Stunde irgendwelche Nachrichten: lokale, regionale, nationale, Wetter-, Sport-, Promi- und Kulturnachrichten. Wenig Börse, wenig Internationales. Auch amerikanische Serien, Seifenopern, oder Talkshows (sowohl „Anne Will“ als auch Krawalltalk) muss man auf unseren Sendern lange suchen. Dafür gibt es „Wer weiß am meisten?“, das Sendungskonzept wird im Untertitel mit frågesport umschrieben.
(Klammer auf: Bevor hier ein falscher Verdacht aufkommt: nein, wir sitzen nicht den ganzen Tag vor der Kiste, sondern ich beziehe mein wohlrecherchiertes Halbwissen gerade überwiegend aus dem Studium der Homepage von SVT :-) Klammer zu.)

Und es gibt Unmengen von schwedischen, englischen und amerikanischen Reportagen über menschliche Einzelschicksale, schwedische Geschichte, fremde Landschaften, Länder, Kulturen und Tierwelten sowie massenweise Magazine zu den Themen Gartenpflege, Inneneinrichtung und Essenszubereitung. Und: Maestro.

Chorleitungsunterricht als Bildungsfernsehen für die breite Masse

Maestro ist irgendwas zwischen „Deutschland sucht den Superstar“ für Promis und meinen ersten Semestern Dirigierunterricht. Das Konzept ist schlicht: sechs schwedische Prominente – eine Comedienne, eine Popsängerin, eine Kinderbuchautorin, ein Nachrichtensprecher vom Typ „Ulrich Wickert“, ein Kampfsportler und ein Schauspieler (ich kannte sie allesamt nicht) – werden innerhalb von sechs Wochen zu Dirigenten „ausgebildet“ und am Ende jeder Woche schickt eine Jury den oder die Schlechteste nach Hause. Vom ersten Teil haben wir nur die letzten Minuten gesehen, aber uns schon köstlich amüsiert. Heute war Teil 2: Chorleitung. Die komplette Folge kann man sich auf SVT.se drei Wochen lang online anschauen (ist auch ohne Schwedischkenntnisse über weite Strecken unterhaltsam).

Zu Beginn der Woche erhielt jeder Kandidat ein anspruchsvolles Chorstück, welches am Ende der Woche mit dem Schwedischen Rundfunkchor aufgeführt werden sollte. Dazu der Moderator: „Ich will euch nicht nervös machen, aber das ist der beste Chor der Welt.“ (Das ist tatsächlich keine Übertreibung, der Chor wurde über 30 Jahre lang von Eric Ericson, dem Chorleiter schlechthin geleitet.) Die Kamera begleitete die Kandidaten dann die Woche über, wie sie Unterricht in Schlagtechnik, Stimmbildung, Körperschulung und Rhythmik bei Professoren an der Königlichen Musikhochschule in Stockholm erhielten. Und ich war ernsthaft überrascht, wieviele Elemente daraus ich in meinem Studium tatsächlich auch so erlebt habe. Zum Beispiel im Wasser zu dirigieren, um das „Wedeln“ zu verlieren und ein Gefühl für Klanggewicht zu bekommen. (Auch wenn ich manchmal dachte „gut, dass jetzt kein Außenstehender zuschaut“, wenn ich in chorischer Stimmbildung mit der Zunge am linken oberen Backenzahn auf einem Bein stehend mit den Armen fuchtelnd Vibratoübungen gemacht habe). Als „Probenopfer“ wurden Schul- und Kirchenchöre herangezogen, die die Stücke ohne störenden Möchtegern-Dirigenten wahrscheinlich genauso oder besser gesungen hätten. Aber egal. Großartig war dann die zweite Hälfte dieser Doku (ab Min. 34:30), als schließlich der Rundfunkchor dirigiert wurde. Gnadenlos ehrlich hat dieser Chor jeden Wedler der Kandidaten 1:1 umgesetzt, einschließlich unfreiwilliger Crescendi, Tempo- und Taktwechsel. So gelacht haben wir selten.

In der Jury saßen eine Chorleitungsprofessorin, der königliche Hoforganist sowie ein weiterer Chorleiter. Die Beurteilungen fielen – wie nicht anders zu erwarten – bei allen Kandidaten freundlich und zurückhaltend aus: „Ich glaube, sie hatte ein wenig Schwierigkeiten, das Tempo zu halten“, so eine Sängerin über die Kandidatin ab 37:15. Und den Profis hat man den Drang, während des Stücks zu lachen, wirklich fast nicht angesehen.

Singender Thaiboxer mit Fremdschämfaktor – aber kein Dieter Bohlen

Insgesamt fand ich diese Sendung jedoch trotz des hochtrabenden Titels erfreulich realitätsnah. Man hätte auch ein „Best of“ der peinlichsten Augenblicke der Woche daraus machen können (z.B. den singenden Thaiboxer in Endlosschleife) und eine misanthropische Jury hinsetzen können, die sich am liebsten selbst im Mittelpunkt sieht. Aber gar nicht. Vielmehr hat das schwedische Fernsehen hier auf eine unterhaltsame Weise gezeigt, wie an Musikhochschulen tatsächlich unterrichtet wird – zumindest manchmal. Auch wenn es natürlich lächerlich ist, dass in der Mensa eine Orgel steht, bzw. im Orgelsaal das Mittagessen serviert wird (ca. Min. 13:00). Das gibts noch nicht mal in Schweden…

Geschafft!


Endlich ist es geschafft. Am Mittwoch hatte ich tatsächlich meine letzte und abschließende mündliche Prüfung an der Musikhochschule. Danach habe ich erst einmal ausgiebig ausgeschlafen und an diesem Tag gar nichts mehr gemacht, seit gestern bin ich aber wieder unter den Lebenden. Jetzt muss ich nur noch auf die Noten für meine schriftliche Abschlussprüfung und meine Bachelor-Arbeit warten, dann darf ich mich Bachelor of Arts nennen. Zum einen heißt das natürlich, dass ich endgültig meine alte Hochschule hinter mir gelassen habe und nun nichts mehr zwischen mir und meinem Studium in Göteborg steht. Ganz aktuell kann ich mich nun aber auch ganz und gar unserem Umzug widmen, worauf ich mich schon seit Wochen freue – obwohl ich zugeben muss, dass ich das Kisten einpacken nicht so attraktiv finde wie das Einräumen unserer schwedischen Möbel-Neuerwerbungen; oder noch besser das Suchen dieser neuen Möbel auf vielen, vielen loppisar (Flohmärkte).

Datenschutz auf Schwedisch


Seit einer Woche läuft in Deutschland Zensus 2011 – die erste Volkszählung, bei der in der gesamten Europäischen Union gleichzeitig die gleichen Daten über die Bevölkerung gesammelt werden. Die letzte Volkszählung in Deutschland hatte, nach Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht und daraus resultierenden sechs Jahren Verzögerung, zu großen Protesten und Boykottaufrufen geführt. Man fürchtete den gläsernen Bürger, die Entwicklung hin zum Überwachungsstaat und hatte generelle Bedenken bezüglich des Datenschutzes und der Wahrung der menschlichen Grundrechte. Zwar wird die diesjährige Volkszählung nicht von derartig heftiger Kritik begleitet, trotzdem wird auch Zensus 2011 von allgemeiner Skepsis begleitet, was denn der Staat mit all den gesammelten Daten anfangen will.

Zwar weiß ich nicht, wie die Schweden zu dieser Volkszählung stehen. Dass sie aber eine grundsätzlich andere Haltung zum Thema Datenschutz haben, äußert sich beispielsweise in der schwedischen Personennummer: Diese Nummer erhält jeder, der in Schweden gemeldet ist oder war und behält diese ein Leben lang. Ein wenig also wie eine Sozialversicherungsnummer, nur dass man die personnummer bereits bei der Geburt zugeteilt bekommt und dass man sie wesentlich häufiger braucht. Nicht nur wenn man eine Wohnung mieten möchte, sollte man sie parat haben. Auch beim Abschluss eines Handyvertrags, beim Kaufen eines Buches im Internet und sogar beim Pizzaservice wird man danach gefragt – und muss dann unter Umständen nicht einmal mehr Name, Adresse und Telefonnummer angeben: Diese kann der Pizzabote dann beim skatteverk, dem schwedischen Finanzamt, nachschlagen. Und nur wenige Schweden scheinen ein Problem mit dieser freien Verfügbarkeit ihrer persönlichen Daten zu haben.

Bisher sind wir noch nicht besonders mit dieser Offenheit im Umgang mit Daten in Kontakt gekommen, denn noch wohnen wir nicht in Schweden und haben keine personnummer. Als Annika aber neulich egogoogelnd bzw. jonasgoogelnd im Netz unterwegs war, stieß sie auf diese Seite. Hier hat die Musikhochschule Göteborg die Namen sämtlicher Personen veröffentlicht, die in diesem Jahr an der Hochschule angenommen wurden – ohne dass ich mein Einverständnis dazu erklärt hätte oder auch nur darüber informiert worden wäre. Mir selbst macht diese Tatsache zwar nichts aus, ich würde aber gerne einmal den Skandal an einer deutschen Universität erleben, wenn auch nur die Noten einer Klausur ohne Verschlüsselung über die Immatrikulationsnummer in einem Flur am hintersten Ende des Campus ausgehängt würden.

Destination: Göteborg


Das lange (ewige?) Warten hat ein Ende. Heute war der Stichtag, heute kamen die Antworten der Musikhochschulen in Piteå und Stockholm. Und mit diesen wurde uns die große Entscheidung unseres neuen Wohnorts abgenommen: Ich habe zwei Absagen bekommen, leider gibt es für mich weder in Piteå noch in Stockholm keinen Studienplatz. Vor einigen Monaten wäre ich wahrscheinlich ziemlich enttäuscht gewesen, dass wir nicht in den (ganz) hohen Norden können, die letzten Wochen haben aber meine Meinung darüber geändert. Vielleicht ist es der Frühling oder die Tatsache, dass ich in Göteborg wahrscheinlich besser in der schwedischen (Komponisten-)Szene Fuß fassen kann oder aber auch der Gedanke, dass der Umzug einfacher und billiger wird, auf jeden Fall erscheint mir Göteborg mittlerweile sehr attraktiv.

Im Hafen von Göteborg

Annika hat mich daran erinnert, dass mir bei meinem Vorstellungsgespräch im letzten Sommer das Auswahlverfahren erklärt wurde: Ich musste dort nicht nur mit anderen Komponisten, sondern mit Bewerbern aller Studienfächer um insgesamt gerade einmal 25 Master-Plätze kämpfen. Wenn ich darüber nachdenke, dass an den anderen Hochschulen das Auswahlverfahren wohl ähnlich abgelaufen ist, bin ich gleich doppelt glücklich, dass es in Göteborg geklappt hat.

Aus aktuellem Anlass habe ich auch noch auf der Webseite der Hochschule in Göteborg herumgesucht und mir noch einmal den Studiengang und die Professoren angesehen. Die Infos sind zwar etwas dürftig, vor allem was den genauen Studienablauf angeht, in den nächsten Tagen werde ich daher direkt Kontakt aufnehmen, um konkretere Auskünfte zu bekommen. Was ich bisher herausgefunden habe, klingt aber sehr spannend: Es gibt zwar nur wenige Kompositionstudenten an der Hochschule, diese stehen aber sehr in der öffentlichen Präsentation der Hochschule. Außerdem scheint man als Student gleich mehrere Hauptfachlehrer zu haben. Das klingt alles sehr spannend.

Ich darf Master…


Das ewige Warten auf Neuigkeiten von den schwedischen Musikhochschulen hat heute unerwartet ein Drittel-Ende genommen. Eigentlich rechne ich seit einigen Tagen mit einer E-Mail aus Piteå. Nachdem es dort schon wieder Probleme mit studera.nu gab und ich eine Absage erhalten hatte, die später telefonisch wieder revidiert wurde, gab es nun Post aus Göteborg: Eine Zusage, (digital) unterschrieben vom Rektor. Offensichtlich also kein Computerfehler, sondern eine echte Bestätigung, dass wir im Sommer nach Schweden umziehen können und dass die Bedenken der letzten Zeit – „was machen wir eigentlich, wenn gar nichts klappt?“ – zum Glück völlig umsonst waren. Bis zum 12. Mai muss ich mich nun entscheiden, ob ich den Studienplatz dort annehmen möchte. Bis dahin sollte ich dann auch Nachrichten aus Piteå und Stockholm erhalten haben.

Der Eingang zu Artisten, der Musikhochschule in Göteborg

Ein riesiger Stein ist uns also schon einmal vom Herzen gefallen, und obwohl wir nach wie vor gerne in den Norden Schwedens ziehen wollen, haben wir doch zumindest eine Option sicher. Und wenn man ehrlich ist, ist Göteborg nicht die schlechteste Alternative… Eigentlich ist ja sowieso keine unserer Alternativen schlecht. Aber endlich wird die Frage der Ortswahl etwas konkreter, es geht vorwärts!