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Wieder in Göteborg


Während unseres Engagements bei den Göteborger Symfonikern hatten wir die Gelegenheit beim Schopf gepackt und uns gleich für ein weiteres Projekt buchen lassen. Diese Aktion unter dem Titel „Kreatives Zusammenspiel“ ist deutlich kleiner angelegt als „Komm herein„. Nur ungefähr dreißig bis vierzig Kinder im Grundschulalter kommen gleichzeitig ins Konzerthaus, um an zwei Workshops teilzunehmen. Ein Teil der Gruppe bewegt sich angeleitet von einer Rythmik-Pädagogin und begleitet von einem Holzbläserquintett zu Musik; unsere Aufgabe ist es, einen einen Kompositions-Crashkurs zu betreuen, in dem jede Klasse mit Hilfe einfacher grafischer Notation ein eigenes Stück schreibt, dass dann von einem Trompeter, einer Cellistin und einem Schlagwerker aufgeführt wird. Danach dürfen die Gruppen natürlich tauschen und auch den jeweils anderen Workshop erleben.

Eigentlich hätte Annika schon vorige Woche zwei Vormittage übernehmen sollen, aber auf Grund des EU-Gipfels in Göteborg am letzten Freitag (hat man davon eigentlich irgendetwas mitbekommen neben Jamaika-Verhandlungen und Klima-Konferenz?) war die gesamte Stadt seit Mittwoch wie eingefroren – wichtige Durchgangsstraßen waren gesperrt, Busse fuhren nur sporadisch und ganze Innenstadtbereiche schienen hermetisch abgeriegelt worden zu sein – und deshalb musste das Projekt für vorige Woche abgesagt werden. Diese Woche, in der ich Dienst habe, findet aber alles wie geplant statt (abgesehen von extremen Verspätungen von Schülern, Musikern und auch mir, verursacht durch einen Schneesturm heute Nacht).

Neben meinem Workshop habe ich auch die Verantwortung für die erste Begrüßung der Klassen. Dabei muss man natürlich erklären, in was für einem Haus sie sich eigentlich befinden. Vom Projektleiter, der diesen ganzen Tag konzeptioniert hat, hatte ich den Tipp bekommen, vom alten Göteborger Konzerthaus von 1905 zu erzählen, dass 1928 fast vollständig abbrannte. Eigentlich fand ich die Geschichte gar nicht so interessant für Kinder dieser Altersgruppe, aber auf diese Weise ergibt sich ein schöner Ausgangspunkt, um später im Kompositionsworkshop ein paar ganz besondere Noten herzuzeigen: Während der Südflügel des alten Gebäudes schon lichterloh brannte, waren ganze Menschenmassen damit beschäftigt, Noten und Instrumente zu retten. Einige der Noten hatten allerdings schon Brandschäden wie Rauchflecken und angesengte Ecken erlitten, und eine solche Partitur mit dazugehörigen Stimmen konnte ich heute den Kindern präsentieren, sozusagen als Beweis, dass das mit dem Brand wirklich passiert ist. Dass die Stimmen alle wunderschön von Hand kopiert waren, das erfreute allerdings vor allem mich.

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Angesengte und von Rauch beschädigte Noten von Haydns „Die [sieben letzten] Worte des Erlösers am Kreuze“ aus der Bibliothek der Göteborger Symfoniker.
P.s.: Wer mehr über das alte Konzerthaus und dessen Brand erfahren möchte, findet auf dieser Seite einige Informationen und Bilder (auf Schwedisch), unter anderem einen Augenzeugenbericht (auf veraltetem Schwedisch).

In diesen heil’gen Hallen…


So fühle ich mich gerade jeden Morgen, wenn ich in aus dem Auto steige und meinen temporären Arbeitsplatz betrete. Wie es zu so hochtrabenden Gefühlen kommt?

Ihren Anfang nimmt die Geschichte am Montag: Ich komme halb abgehetzt aus dem kulår (Instrumentenkarussell im Klassenverbund für Erstklässler) und will ein paar Dinge in der Verwaltung erledigen. Im Korridor höre ich, wie eine unserer Sekretärinnen am Telefon spricht: „Braucht ihr einen Kontrabasslehrer, oder was?“ Ich werde natürlich sofort hellhörig und habe einige Augenblicke später selber das Telefon in der Hand. Am anderen Ende spricht die Tochter ebenjener Sekretärin, Kontrabassistin bei den Göteborger Symfonikern, mit etwas heiserer Stimme: „Wir haben hier im Orchester ein Riesenproblem, die ganze Woche über kommen Schulklassen für Kinderkonzerte und um uns Musiker zu treffen. Aber das halbe Kontrabassregister ist krank und wir brauchen dringend jemanden, der den Kindern den Kontrabass zeigen kann.“

Die Gelegenheit, bei den Göteborger Symfonikern einspringen zu dürfen, lasse ich mir natürlich nicht nehmen. Und so fahre ich seit Dienstag und bis Samstag jeden Morgen zum Konzerthaus in Göteborg, nehme dort in einem Übungsraum zwei bis vier Gruppen à 8 Kinder in Empfang und entführe sie in die faszinierende Welt der tiefen Töne.

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Das Kontrabasszimmer

Bei den Konzerten darf ich leider nicht mitspielen, noch nicht einmal orchesterintern darf man bei Produktionen aushelfen, für die man nicht geprobt hat. Aber allein die Tatsache, im Konzerthaus arbeiten zu können und sich frei hinter den Kulissen unter Musikerkollegen zu bewegen, ist eine fantastische Abwechslung zum Musikschulalltag. Ein wenig wie Höhenluft schnuppern, schließlich führt das Orchester Namen wie Gustavo Dudamel, Kent Nagano oder Neeme Järvi in der Liste seiner Chefdirigenten.

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Das Konzert beginnt – im wunderschönen und akustisch traumhaften Großen Saal des Göteborger Konzerthauses,

Morgen muss ich die einstündige Fahrt nach Göteborg nicht einmal alleine auf mich nehmen: Die Krankheitsfälle im Orchester nehmen zu und es wird noch mehr Verstärkung gebraucht. Als ich mich heute in meinem Zimmerchen eingerichtet hatte, kam der Orchesterchef herein und begrüßte mich mit den Worten: „Es geht das Gerücht, dass du eine Frau hast…“ Morgen fährt also Annika mit und weiht einige glückliche Kinder in die Geheimnisse von Klaviermusik und -mechanik ein.

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Der Probensaal des Orchesters