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13. Dezember 2015 – Lucia


Fällt Lucia so wie dieses Jahr auf ein Wochenende, so finden die Luciafeiern an Schulen und Arbeitsplätzen bereits am Freitag statt. Dieses Jahr war ich an einer anderen Schule als die letzten zwei Jahre, denn die andere Schule war schneller und hatte mich bereits Anfang August für ihren Luciazug gebucht. Ich war nicht ganz undankbar dafür, nachdem die eine Schule mich letztes Jahr zwar eingespannt hatte, mit den Kindern die Lucialieder einzustudieren, mir dann am Luciamorgen (nachdem ich alleine Keyboard und Lautsprecher in die Turnhalle geschleppt hatte), aber eröffnete, dass es doch viiiiiel schöner wäre, die 15 Viertklässler unbegleitet singen zu lassen und mich stattdessen beorderte, den Wassereimer zu bewachen, falls mit den Kerzen etwas schiefgehen sollte. So bin ich bislang selten gedemütigt worden und ich hatte mir fest vorgenommen, nie wieder an dieser Schule Lucia zu feiern (Lucia 2013 an jener Schule war ja auch schon doof gewesen) und so sagte ich der anderen Schule gerne bereits im August mein Mitwirken an allen Luciafeierlichkeiten zu.

Wegen Sparmaßnahmen hat diese Schule gerade keinen Musiklehrer und daher die Einstudierung in die Hände der Klassenlehrerinnen der beiden sechsten Klassen gelegt. Die eine der beiden Lehrerinnen kam Anfang November leicht panisch zu mir, weil sie noch nie eine Luciafeier organisieren musste und selbst zugab, keine Ahnung zu haben, wie man aus 32 Sechstklässlern, die keinen Bock haben zu singen, einen Luciachor macht. Eine Frage schien ihr besonderes Kopfzerbrechen zu bereiten:

– „Annika, hier in den Noten aus dem Weihnachtsliederbuch, da stehen doch immer nur der Text und die Melodie. Ich habe früher ja mal Flöte gespielt und kann Noten lesen und ich finde auch alle Töne auf dem Klavier, aber wenn ihr von der Musikschule das spielt, dann klingt das immer nach viel mehr Tönen… wie macht ihr das?“

Ich erkläre ihr kurz das Prinzip „Liedbegleitung nach Akkordsymbolen“ und dass es im Musiklehrerstudium ein Pflichtfach gibt, das „Schulpraktisches Klavierspiel“ heißt. Es scheint sie zu trösten, dass ich noch hinzufüge, dass ich genauso wenig Ahnung hätte, wenn mein Chef mich plötzlich dazu verdonnern würde, Mathe und Chemie zu unterrichten.

– „Letztes Jahr, da hatten wir eine Praktikantin hier und die konnte ein bisschen Keyboard spielen, aber die hat dann gar keine Melodie gespielt und dann wussten die Kinder nie, auf welchem Ton sie anfangen sollten zu singen.“

– „Mhm, vermutlich hat die Praktikantin dann nur die Akkorde gespielt.“

(Ja, wenn man nur Akkorde spielt, womöglich nur in Grundstellung und dann noch möglichst im Bass, dann erschwert das das Singen erheblich, anstatt es zu erleichtern – vor allem, wenn man mit Kindern singt.)

Sie seufzt tief und fragt dann leicht verzweifelt:

„Könntest du denn beides gleichzeitig spielen, Melodie und Akkorde?“

Würde man einen Profifußballer fragen, ob er gleichzeitig rennen und den Ball dribbeln kann, was würde der wohl antworten? Ich bin zwar deutlich schlechter bezahlt als ein Fußballer, aber… nein, Melodie und Akkorde gleichzeitig zu spielen, stellt kein größeres Hindernis für mich dar. Ich kann dabei sogar singen, den Chorkindern Einsätze zunicken, den anderen Kindern strenge Blicke zuwerfern, wenn sie zu laut werden und wenn es sein muss auch noch gleichzeitig meinen Schlüsselbund aus der Hosentasche ziehen, weil jemand ganz dringend den Schlüssel zum Musiksaal braucht.

Ich verkneife mir jedoch ein Lachen oder einen sarkastischen Spruch, weil ich merke, dass sie ernsthaft verzweifelt ist und die Erwartung ihres Schulleiters schwer auf ihren Schultern lastet. Lucia, das ist nicht irgendein Schulfest, da gibt es so viele Erwartungen und Traditionen, so viele „Aber-das-ist-doch-immer-so-gewesen“, so viele Kollegen und Eltern, die am Ende im Zweifelsfall besser wissen wollen, wie alles hätte sein sollen – ich kann gut verstehen, dass man da verzweifelt, wenn dann auch noch die Klasse nicht singen will (oder auch nicht kann, weil sie keine Hilfestellung bekommt). Sechstklässler sind diesbezüglich außerdem deutlich schwieriger zu motivieren als die unteren Klassen. Und der „Oh-was-sind-die-süß-wenn-sie-singen-Faktor“, der auch trotz noch so schiefem Gejaule den Eltern Tränen der Rührung auf die Wangen zaubert, ist auch nicht mehr der gleiche, wenn ein Teil der „süßen Kleinen“ bereits auf dem Weg in den Stimmbruch ist.

Ich beruhige sie also und demonstriere ihr kurz, wie das klingt, wenn ich einen Chor begleite – mit Melodie und Akkorden. Vorspiel und Zwischenspiel zwischen den Strophen gibt es gratis als Sahnehäubchen dazu.

Danach wirkt sie deutlich entspannter und als ich ihr verspreche, vorher mit den Schülern zwei Proben zu machen und dass ich auch das Einsingen vor den drei Aufführungen übernehmen könne ist sie richtig erleichtert.

Die drei halbstündigen Vorstellungen – eine am Vorabend für die Eltern und zwei am Morgen für Schüler und Personal der Schule und Vorschule – liefen letztlich sehr nett ab. Ich war wirklich nur für den musikalischen Teil verantwortlich, die Lehrerinnen kümmerten sich um die weißen Luciagewänder mit den blauen und roten Bändern für die Mädchen, um Spitzhüte und Sternenstäbe für die Jungen, um Kerzen, Wunderkerzen und Batterien für die Luciakrone.

In der abgedunkelten Mensa stand ein ordentliches E-Piano, ich musste keine Lautsprecher spazieren tragen und sogar an eine Pultlampe für mich hatten sie gedacht. Ich wurde selbstverständlich zum Glöggfika hinterher eingeladen, der Schulleiter hat sich bei mir bedankt und ich bekam sogar noch ein Blümchen von den beiden Lehrerinnen.

Der Komiker Robert Gustavsson und die Schlagersängerin Lena Philipsson treffen in ihrer Luciaparodie den Kern einer klassischen Schulluciafeier ziemlich gut: überambitionierte Mädchen, Jungs, die nie genau wissen, wann sie ihr Solo mit dem Staffanslied haben, ein bisschen Rumgeschubse auf der Bühne und heruntergeleierte Gedichte. Aber so herzig…