Seit wir in Schweden leben, passen wir uns immer mehr den lokalen Bräuchen an. Irgendwann fing es ganz harmlos an, zum Beispiel damit, dass wir statt eines Butterbrotes eine matlåda mit Resten vom Essen vom Vortag mit zur Arbeit nahmen. Oder dass wir nie Bargeld dabei hatten und deshalb auch jeden Kaffee oder Schokoriegel mit Karte zahlen mussten. Neulich sind wir wieder einen Schritt weiter gegangen: Seit neuestem habe ich eine Kundenkarte von unserem lokalen Supermarkt. Nicht etwa, um Rabatte zu kassieren – die sind nämlich eher lächerlich –, sondern um die Waren selber zu scannen und so die Kassenschlange zu umgehen. Dafür ziehe ich vorm Einkauf meine Karte durch ein Terminal, welches dann einen Scanner freigibt, den ich mit durch den Supermarkt nehme. Damit scanne ich dann alle Waren, die ich haben will und am Ende muss ich nur wieder den Scanner zurückbringen, bezahlen und kann dann mit fertig gepackten Einkaufstaschen einfach gehen.
Wem dieser Schritt jetzt zu radikal ist, aber trotzdem den Schweden in sich entdecken will, der kann es auch zunächst mit diesen einfachen, zehn ersten Schritten versuchen:
Nachdem unser Supermarkt endlich fertig umgebaut ist und man wieder halbwegs entspannt einkaufen kann, gibt es dort eine Neuheit: einen Milchzapfautomaten. Man kauft eine Flasche, stellt sie in den Automaten und drückt auf mjölka (= melken) und schon sprutzt frische, kalte Milch vom Bauern aus dem Nachbardorf in die Flasche. Das kostet zwar etwas mehr (zehn Kronen (ca. ein Euro) für die Flasche, die man dann aber natürlich immer wieder benutzen kann, und 15 Kronen (ca. 1,50 Euro) für die Füllung, wobei der Liter Ökomilch hier sonst um die zwölf Kronen kostet), dafür bekommt der Bauer aber auch angeblich doppelt so viel bezahlt, als wenn er die Milch an eine Molkerei verkaufen würde.
Unser Supermarkt hat an-, aus- und umgebaut und ist jetzt fast doppelt so groß wie vorher und hat das dreifache Sortiment. Ein freundlicher Mitarbeiter hat zur Orientierung das hier aufgehängt:
Das erleichtert die Suche nach dem täglichen Allerlei wirklich ungemein!
und wir neulich mal gegenseitig unsere Kalender upgedated haben und festgestellt haben, dass wir bis Weihnachten noch genau 0 (in Worten: null!) gemeinsame freie Wochenenden haben, weil wir dieses Jahr zusammen 21 (in Worten: einundzwanzig!) Lucia- und Weihnachtskonzerte/-auftritte/-feiern mit unseren Schülern und Chören haben, überkam uns am vergangenen Wochenende der Rappel. Ein bisschen Adventsstimmung wollten wir zwei miteinander haben, ganz ohne Jingle Bells und Kinder. Und wenn der komplette Advent einschließlich Totensonntag mit Schulweihnachtsgedöns verbucht ist, müssen wir eben Mitte November einen gemeinsamen gemütlichen Adventssonntag einschieben und endlich mal das Lebkuchenförmchen einweihen, das wir vor zwei Jahren geschenkt bekommen haben und welches seitdem jungfräulich im Schrank steht.
Samstagmorgen ruft Jonas mich aus dem Supermarkt an: „Kannst du mal googeln, in welchem Regal im ICA die Oblaten stehen? Bei den Backzutaten find ich die nicht.“ Gegoogelt. Nichts gefunden. Rückruf bei Jonas: „Hast du schon beim Brot geguckt? Beim Müsli? Bei den Keksen?“ Nichts. Nichts. Und nichts.
Ich rufe eine schwedische Freundin an. „Oblaten? Die Dinger, die man immer beim Abendmahl kriegt? Was wollt ihr denn damit?“ Ich erkläre ihr das Konzept Elisenlebkuchen. Sie erklärt mir, dass es in der Kirche zwar immer zwei Sorten Oblaten gebe – normale und glutenfreie – sie aber keine Ahnung habe, woher die kommen. Die hätten allerdings auch immer einen „Prägedruck“ mit nem Kreuz oder nem Jesus oder beides drauf, also vermutlich nicht ganz das, was wir suchen – obwohl… für Weihnachtsgebäck…? Sie frage aber mal ihren Mann, der sei viel ehrenamtlich in der Kirche unterwegs, sei aber gerade nicht da, sie rufe mich später zurück.
Als nächstes rufe ich eine deutsche Freundin an, die seit 10 Jahren hier lebt. Sie bestätigt das Nichtvorhandensein von Backoblaten in schwedischen Supermärkten, gibt mir aber noch zwei Tipps mit auf den Weg: Lidl und der Monstermaximegasupermarkt. Backoblaten sind bei ihr ansonsten auch „Importware“ und leider aufgebraucht.
Rückruf der schwedischen Freundin: Aaaaalso… ob wir schon im Supermarkt beim Wein geguckt hätten? In schwedischen Supermärkten gibt es ja bekanntlich keinen Alkohol, dafür gibt es die staatlichen Monopolläden. Es gibt aber alkoholfreien Wein (weiß und rot!) zum Kochen (und für Gottesdienste), ganz verschämt hinten in der Schmuddelecke, da könnten eventuell auch auch Oblaten stehen.
Ansonsten gebe es spezielle Bäckereien, die in speziellen Öfen die Oblaten für die Schwedische Kirche backen. Die kann man auch online bestellen. Bei ihnen der Missionskirche gibt es aber nur „normales“ Brot zum Abendmahl, das allerdings auch glutenfrei. Ob ich das Rezept wolle? Ansonsten könne ich doch mal bei der Pfarrerin anrufen, das wäre ja quasi ein Notfall, die gibt mir bestimmt welche.
Ich als Heidenkind habe dann doch etwas Skrupel, die Pfarrerin um geweihte Oblaten für unser deutsches Backwerk zu bitten, auch wenn die Pfarrerin auch meine Klavierschülerin ist und sicher ein offenes Ohr für meine Not hätte.
Also wieder Jonas im Supermarkt angerufen, er steht inzwischen an der Kasse, die Idee mit dem Wein hatte er aber auch – erfolglos.
Nachdem wir den Wochenendeinkauf versorgt haben, setzen wir uns wieder ins Auto und fahren die 10 Kilometer zum nächsten Lidl. Wir waren noch nie in einem schwedischen Lidl – was für ein Erlebnisshopping! Es gibt Dominosteine, Herzensternebrezeln, abgepackte Elisenlebkuchen in verschiedenen Größen, Baumkuchen, Marzipanbrot, Stollen und… – keine Oblaten. Hmpf. Als eiserne Reserve decken wir uns mit diversem Süßzeug ein, falls unser Lebkuchenprojekt scheitern sollte.
Die nächste Station ist der Monstermaximegacoop. Am Samstag. Bei Dreckswetter. Dagegen ist unser Haussupermarkt ein Dorfladen. Wir entwerfen einen Schlachtplan: Jonas sucht bei Backwaren, Brot, Müsli und Keksen, ich bei Allergikern, Diätzeug, alkoholfreiem Wein und bei den ausländischen Spezialitäten. Und beim Kinderpartyzubehör, zuckerfreies Esspapier wäre ja auch eine Lösung. Uhrenvergleich! Handycheck! Und los!
Nach einer halben Stunde treffen wir uns erschöpft und mit leeren Händen und langen Gesichtern an der Kasse wieder. Alles was Jonas gefunden hat, ist ein Päckchen Papierbackförmchen für schwedische Kanelbulle (Zimtschnecken), ein bisschen wie Muffinförmchen, aber nicht ganz so tief.
Auf dem Heimweg diskutieren wir die verschiedenen Alternativen – was anderes backen/gar nicht backen/auf dem Backblech backen/in den neuerworbenen Papierförmchen backen. Wir entscheiden uns für letzteres – auch weil ich bin diese Woche beim Job fürs Fika zuständig bin und Jonas meint, wenn ich komische Kekse in schwedischen Papierförmchen mitbringe, finden meine Kollegen die Lebkuchen vielleicht nicht ganz so exotisch.
Den Nachmittag verbringen wir dann mit unserer fast noch neuen Küchenmaschine und dem jetzt nicht mehr neuen Lebkuchenförmchen.
Essensfotografie ist ja so gar nicht mein Ding, daher sehen die nächsten Bilder auch nicht besonders appetitlich aus. Jegliche Assoziationen mit Hackfleisch/Katzenfutter/ekligen Sachen verbitte ich mir allerdings! :-)
Als die vier Bleche Lebkuchen dann abgekühlt waren und mit Zuckerguss begossen waren, war dann auch der Akku im Foto leer, daher gibt es keine Bilder der fertigen Lebkuchen. Aber seid versichert: sie schmecken himmlisch (auch ohne geweihte Oblaten)…
Dienstag:
Hej!
Ich bin kürzlich hierher gezogen und bin seither Stammkunde in eurem Supermarkt. Ihr habt ein tolles Sortiment und ich kaufe gerne bei euch ein. Leider vermisse ich jedoch ein paar Sachen, die ich oft kaufe und ich wollte fragen, ob ihr die nicht ins Sortiment aufnehmen könntet:
– 1,5-Liter-Flaschen Mineralwasser im Sechserpack. 12 einzelne Flaschen zu tragen ist ziemlich schwierig, zwei Sechserpacks wären dagegen kein Problem.
– Kakaopulver mit weniger Zucker und mehr Kakao
– Gnocchi di patate
Ich würde mich freuen, wenn ihr diese Sachen in euer Sortiment aufnehmen könntet.
Viele Grüße, Jonas
Mittwoch:
Hej Jonas!
Vielen Dank für Deine Anregungen, ich habe sie an die Verantwortlichen in den jeweiligen Abteilungen weitergeleitet und sie gebeten, die Sachen fortan zu bestellen. Sobald die Sachen im Regal stehen, melden wir uns wieder bei Dir.
Willkommen in unserem Supermarkt!
Viele Grüße, Christian (Geschäftsführer)
Donnerstag:
Hej Jonas!
Natürlich werden wir die von Dir gewünschten Waren umgehend bestellen. Das Kakaopulver habe ich bereits bestellt. Wir hatten das aus dem Sortiment genommen, weil es sich so schlecht verkauft hat, aber jetzt starten wir einfach einen neuen Versuch! Ab Samstag steht es dann im Regal. Wegen der anderen Sachen melden wir uns nochmal.
Viele Grüße, Mikael
Donnerstag, zwei Stunden später:
Hej Jonas!
Schön, dass Dir unser Supermarkt gefällt. Ich arbeite hier in der Getränkeabteilung und wollte bloß nochmal nachfragen, welche Mineralwasser-Marke Du gerne hättest und ob Du lieber aromatisiertes oder natürliches Wasser haben möchtest.
Viele Grüße, Johan
Freitag:
Hej Jonas!
Ich habe Deine Mail erhalten und ich bin die, die für die Bestellung der Gnocchi di patate zuständig ist. Ich bin mir nicht ganz sicher, was Du mit Gnocchi di patate meinst, sind das frische Nudeln aus dem Kühlregal? Möchtest Du eine bestimmte Geschmacksrichtung oder einfach „normale“ Gnocchi?
Viele Grüße, Anna (Abteilungsleiterin Delikatessen)
Mittwoch:
Hallo nochmal! :-)
Jetzt hab ich die Gnocchi di patate gefunden und habe Dir ein Paket zurückgelegt. Die Tüten liegen auch schon im Regal, aber ich habe Dir mal vorsichtshalber ein Paket rausgelegt – nicht, dass sie schon wieder ausverkauft sind, wenn Du das nächste Mal vorbeikommst. :-)
Viele Grüße, Anna
Ich mag Senf. Und insbesondere mag ich an Senf, dass er so unterschiedlich schmecken kann: Süßer Senf, aromatischer Dijon-Senf oder englischer Senf, der einem die Tränen in die Augen schießen lässt. Glücklicherweise hält jeder schwedische Supermarkt ein breites Angebot verschiedener Senfsorten bereit, und die meisten davon sind wohl kaum im Ausland erhältlich. Einige Sorten habe ich bereits durchprobiert; leider waren nicht alle gleich lecker, weshalb sich in unserem Kühlschrank eine kleine Parade mit angebrochenen Senfgläsern tummelt, die irgendwie nicht leer werden. Andere Sorten habe ich allerdings auch schon mehrfach nachgekauft, wie zum Beispiel den würzigen, grobkörnigen Senf aus Skåne. Mein absoluter Favorit aber ist Nisses Hemlagade Senap (Nisses hausgemachter Senf).
Schwedischer Senf ist eigentlich immer mehr oder weniger süß. Manchmal nennt er sich auch scharf, aber so richtig scharf wird’s nie – außer bei Nisse. Er zieht in die Nase wie frisch geriebener Meerrettich, ist dabei aber süß wie Weißwurstsenf; eine Kombination von richtig scharf und richtig süß, wie ich sie sonst noch nie gegessen habe.
Hausgemachter Senf aus dem Supermarkt? Obwohl ich Nisses Hausmachersenf gerne mag, dachte ich bisher, ein ganz gewöhnliches Massenprodukt vor mir zu haben, wie „Opas Köttbullar“, „Eingelegter Hering nach traditionellem Rezept“ oder „Omas Apfelkuchen“, denn immerhin bekommt man den Senf hier in quasi jedem Supermarkt. Bis ich neulich auf dieses Video stieß:
Als Schüler jobbte Nils „Nisse“ Andersson in einer Imbissbude, wo er lernte, Senf herzustellen. Später bewirtete er dann ein breites Publikum als Platzwart beim lokalen Fußballverein und als er dann seinen eigenen Supermarkt eröffnete wollten die Kunden Nisses Senf auch für zu Hause kaufen. Irgendwann begann er dann mit der Produktion im kleinen Rahmen, aber erst sein Sohn Tommy – der aus dem Video – kaufte eine große Rührmaschine und Abfüllanlage, um größere Mengen herzustellen. Obwohl… größere Mengen? Der Senf wird nach Bedarf produziert und die Jahresmenge beträgt 100.000 bis 150.000 Gläser – viel ist das nicht. Verkauft wird fast ausschließlich in Västra Götaland – und auf die Frage, ob man über eine Erweiterung des Sortiments nachdenkt, antwortet Tommy: »Das ist ja eigentlich nur ein Hobby, ich habe doch auch noch einen richtigen Job.«