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Ich habe ein richtig schlechtes Gewissen…


… obwohl ich nichts Verbotenes getan habe. Ich habe eigentlich noch nicht einmal etwas Ungewöhnliches getan und ich kann mich an Zeiten erinnern, als ich noch viel weiter gegangen wäre. Aber der schwedische Staat hat es geschafft, dass ich mich schuldig fühle.

Das fing schon an, als ich den Laden betrat, den ich bisher vermieden habe, wie in Karlsruhe die Sex-Shops: Man weiß genau, wo sie liegen, irgendwie ist man ja schon neugierig, wie es drinnen aussieht, aber es ist doch zu verrucht, als dass man hinein gehen würde – es könnte einen ja jemand sehen. Und statt in unauffälligen braunen Tüten müssen die Kunden ihre Waren auch noch in ziemlich auffälligen lila Tüten heraustragen, die förmlich schreien: »Schaut her, ich werde mich gleich dem Exzess hingeben!«

Richtig schlimm wurde es dann, als ich hinter mir eine bekannte Stimme hörte: Oh mein Gott, ein Kollege! Gut, dass ich meine feuerrote Dienstjacke im Auto gelassen hatte: Die Kulturschule darf mit diesem Milieu natürlich unter keinen Umständen in Verbindung gebracht werden!

Als ich dann endlich meine Einkaufsliste abgehakt hatte, wuchs die Scham in mir: Mein putziges Einkaufswägelchen quoll über von der verruchten Ware und ich konnte immer nur kleinste Mengen auf das winzige Förderbandbändchen an der Kasse legen. Die angebotenen Tüten waren ebenfalls lächerlich klein, so dass ich mit gleich drei davon den Laden verlassen musste – wie peinlich. Noch schlimmer war allerdings, dass ich zwei der Produkte offen und für alle sichtbar zum Auto bringen musste, da sie nicht in die Tüten passten.

Und was hatte ich nun erstanden? Zwölf Flaschen Bier, acht Fläschchen Cider und zwei Bag-In-Box-Weine für Annikas Geburtstagsfeier. Wenn ich bedenke, welche Türme von Bierkästen ich schon ohne jegliche Schuldgefühle aus Getränkemärkten herausrangiert habe, finde ich es spannend, wie es der staatliche Alkoholmonopolist Systembolaget schafft, den Kunden Gewissensbisse zu bereiten – während gleichzeitig eine Kaufberatung angeboten wird, die Ihresgleichen sucht. Inklusive der kostenlosen Beratung für Suchtkranke und deren Angehörige.

8. Dezember 2012 – Glögg


Jetzt haben wir schon Musik, eine Geschichte, was in der Glotzekiste, Kurioses vom Polarkreis und was zu Essen. Was fehlt für die Weihnachtsstimmung? Das passende Getränk! Wir hätten anzubieten: Bier, Aquavit, Milch, saft (= Fruchtsirup)… aber das trinkt man ja eigentlich immer. Etwas weihnachtlicher wird’s mit julöl, besonders stark gebrautem Weihnachtsbier. Oder julmust, schwedisches Malzbier. Noch besser ist Mumma, ein Cocktail aus sockerdricka (Limonade mit Ingwer), dem Lieblingsgetränk von Michel aus Lönneberga, julöl und Portwein. Ich will eigentlich gar nicht wissen, wie das schmeckt…

Aber bei der Kälte ist es wohl doch am besten, etwas Warmes zu sich zu nehmen. Brevlåda empfiehlt: Glögg. Schon Gustav Vasa kannte das klassische Rezept aus Rotwein, Honig, Zimt, Ingwer, Kardamom und Nelken. Heute gibt es die verschiedensten Glöggvarianten zu kaufen, im Supermarkt natürlich nur bis zur erlaubten Maximaldrehzahl von 2,25 % Vol., den harten Stoff (Starkvinsglögg) verteilt dann der Staat im Systembolaget. Die Geschmacksrichtungen reichen von Apfel-Zimt über Preiselbeer-Pfefferkuchen und Mandel-Feige bis zu Mocca-Schokolade.

Neben diesen geschmacklich manchmal fragwürdigen Neukreationen unterscheidet sich Glögg vor allem in zwei Punkten von deutschem Glühwein: Man trinkt ihn zum einen aus kleinen Tässchen, in die man zum anderen zuvor noch einige Rosinen und Mandeln gelegt hat. Damit man diese dann auch essen kann hat der ideale Glöggbecher noch einen kleinen Löffelhalter integriert.

Glöggmys
Glöggmys – ein Dankeschön von Göteborgs Vokalensemble für die Organisation der Chorreise

Glögg kann man entweder genauso herstellen wie Glühwein, also indem man den Rotwein zusammen mit den Gewürzen erwärmt und diese dann vor dem Trinken herausfischt. Oder aber man benutzt die althergebrachte Methode aus einem Rezeptbuch aus den 1840ern. Dann wärmt der Glögg dank Branntwein nämlich noch besser:

Zutaten:

1 Flasche Rotwein
1 dl eau de vie (Obschdler)
20 Gewürznelken
5 Zimtstangen, in kleinere Stücke zerbrochen
1 Teelöffel zerstoßener Kardamom
1 Stück Ingwer
Schale einer Pomeranze (alternativ Orange)
2 dl Zucker
1 1/2 Teelöffel Vanillezucker
Geschälte Mandeln und Rosinen

  1. Alle Gewürze in ein Glas geben und mit dem Schnaps übergießen.
  2. Mindestens 24 Stunden warten.
  3. Die Gewürze absieben, dabei den aromatisierten Schnaps auffangen.
  4. Den Wein zusammen mit dem Schnaps vorsichtig erwärmen.
  5. Ein paar Mandeln und Rosinen in einen Becher geben, warmen Glögg darübergießen.
  6. Skål!

Nu är vi vänner…


Vor einigen Wochen haben wir spontan bei einem Konzert von Skepplandas Kirchenchor ausgeholfen, weil dort gerade Mangel an Mittelstimmen herrschte und weil der Kantor auch unser Chorleiter im Nya MotettEnsemble ist. Weit hatten wir’s ja eh nicht. Die Veranstaltung war nichts Großes, nur ein Musikgottesdienst, dessen unausgesprochenes Motto wohl „Die schönsten Choräle aus den bekanntesten Bach-Kantaten“ war.

Während der Fikapause zwischen Generalprobe und Konzert saßen wir zufällig mit den beiden Geigern aus dem Muggerensemble (für Nichtmusiker: Mugge = Musik gegen Geld) zusammen in der Sonne, jeder ein Käsebrötchen in der Hand. Die beiden, verheiratet und etwa ein Jahrzehnt älter als wir, schienen sich unglaublich zu freuen, zwei andere Musiker zu treffen, ergriffen sofort die Initiative und so tauschten wir, ganz altmodisch auf eine Serviette gekritzelt, Telefonnummern und (Post-!)Adressen aus. Keine Emailadressen, kein Facebook (haben wir nicht).

Auch wenn wir uns sehr über diesen kurzen, aber herzlichen Kontakt gefreut hatten, wussten wir zunächst nicht, ob die Aufforderung, sich bald mal zu melden, wirklich ernst gemeint war – man will sich ja nicht aufdrängen. Und so lag die Serviette einige Zeit auf unserem Flügel herum und war auf dem sicheren Weg ins Notenstapel-Nirvana, wo sich auch schon wichtige Visitenkarten von Dirigenten, Versicherungsunterlagen, diverse Monatszeitschriften des Mieterbundes und ein Steuerbescheid tummeln…

Glücklicherweise war der Flügel nach dem Umzug und der Heizperiode inzwischen so verstimmt, dass wir neulich den Klavierstimmer hier hatten und das ist immer der notwendige Impuls, mal wieder den Flügel aufzuräumen (neben Elternbesuchen). Dabei fiel mir die Serviette wieder in die Hand. Mit dem Gedanken „wenn nicht jetzt, dann nie“ und ein wenig Herzklopfen rief ich die Nummer an. (Obwohl ich inzwischen ganz passabel schwedisch spreche, ist telefonieren immer noch eine Herausforderung).

Fünf Minuten später war ich um eine Wegbeschreibung und eine Einladung zum Lammsteakessen reicher.

Am Samstag darauf standen wir dann mit einer Flasche Pfälzer Wein (Vorrat von Weihnachten) auf der Matte und wurden begrüßt mit den Worten: „Eigentlich haben wir bisher ja nur 20 Minuten miteinander geredet, aber es fühlt sich an, als würden wir uns schon ewig kennen.“ Und das Eis war gebrochen.

Es folgten fünf sehr unterhaltsame Stunden mit exzellentem Essen, einem Spaziergang am nahegelegenen See und intensiver Fachsimpelei übers Angeln – der Gastgeber hat sich gerade die erste Angel seines Lebens gekauft und wir können gerade so einen Fisch von einer Ente unterscheiden.

Als wir uns schließlich in jeder Hinsicht ge- und erfüllt auf den Heimweg machten, sagte sie zum Abschied: „Nu är vi verkligen vänner! – Jetzt sind wir wirklich Freunde.“ Ich glaube, das war ernst gemeint: Demnächst gehen wir gemeinsam Bootfahren und Angeln. Und noch haben wir ein paar Flaschen Pfälzer Wein…