Neulich in meiner 2./3. Klasse: Wir hören das Andante aus Haydns 94. Sinfonie („mit dem Paukenschlag“) und ich erzähle ein wenig über Joußeff Hajdn und zeige ein Bild des alten Mannes mit Perücke. Haydns Namen spreche ich schwedisch aus, das passiert einfach so, ich kann Namen nicht deutsch (oder gar österreichisch) aussprechen, wenn ich gerade Schwedisch spreche, nicht mal meinen eigenen.
– Ebba: „Der sieht gar nicht schwedisch aus.“
– Ich: „Das könnte vielleicht daran liegen, dass er kein Schwede ist. Aber dass der Mann so aussieht, liegt vor allem daran, dass er vor über 200 Jahren gelebt hat. Und zu der Zeit sahen manche Leute in Schweden so ähnlich aus. “
Schnell google ich ein Bild von Carl von Linné und projiziere es an die Tafel. Linné sah zwar eher aus wie Bach, zumindest in der Wikipedia, aber wir wollen jetzt nicht kleinkariert sein. Perücke ist Perücke und von Carl von Linné haben die meisten schonmal gehört.
– Ebba: „Und aus welchem Land kommt Haydn jetzt?“
Bevor ich antworten kann, meldet sich Hakim. Hakim geht in die zweite Klasse und ist vor ein paar Monaten mit seiner Familie aus Syrien geflohen. Er spricht fast nie freiwillig, weder mit den Lehrern, noch mit seinen Klassenkameraden, obwohl er es inzwischen problemlos könnte. Aber singen, das mag er und im Stuhlkreis sitzt er meist neben mir, so wie jetzt auch.
Ich freue mich, dass Hakim plötzlich so viel Engagement zeigt, dass er sich gleich „schnippmelden“ muss und nehme ihn dran.
– Hakim: „Ich glaube, Joseph Haydn kommt aus Syrien oder einem anderen arabischen Land.“
– Ich: ?
– Hakim (stolz): „In Syrien heißen ganz viele Männer Yussuf. Mein Onkel auch!“ Und ganz leise setzt er hinzu:
„Aber wir wissen nicht, ob er noch lebt.“
Ich bin hilflos und habe nicht den blassesten Schimmer, wie eine angemessene Reaktion in dieser Situation aussehen könnte. Was sagt man, wenn Syrien plötzlich auf Bullerbü trifft?
Nach der Stunde, als Hakim mir hilft, die Tafel zu wischen, sage ich, dass ich es toll finde, wenn er sich von sich aus meldet und dass er schon so toll schwedisch kann, dass er sich nicht verstecken muss. Und dann verrate ich ihm noch mein kleines Geheimnis, nämlich den eigentlichen Grund warum ich so komisch spreche. Dass ich nämlich zuhause auch eine andere Sprache spreche als in der Schule, genau wie er. Allerdings nicht arabisch, sondern eher so wie Haydn.
– „Aber du hast keine Perücke auf“ grinst Hakim, bevor er im Treppenhaus verschwindet.
Perücke, das Wort hat er heute neu gelernt.
[Personennamen geändert.]